Ein Bericht über den Wiederaufbau der Ukraine rät zu gezielterer Hilfe und engerer Zusammenarbeit

Wie baut man ein Land auf, in dem ein Krieg wütet? Keine Frage, mit der sich die Europäische Investitionsbank normalerweise beschäftigt. Aber jetzt, nach dem russischen Angriff, hilft die Bank der Ukraine nach Kräften. Also drängt sich die Frage auf.

„Wir kümmern uns eigentlich um Finanzierungen und befassen uns nicht mit Hilfsstrategien für Länder im Krieg“, sagt Jean-Erik de Zagon, der das Kiewer Büro der EIB leitet. „Aber wir brauchten einen Plan für die immensen Summen, die wir in den Wiederaufbau der Ukraine stecken.“

Gemeinsam mit der Boston Consulting Group durchforstete die Europäische Investitionsbank öffentliche Dokumente über den Krieg, vor allem die Ergebnisse der internationalen Lugano-Konferenz im Juli 2022 über den Wiederaufbau der Ukraine. Mehr als 30 Kreditreferentinnen, Ingenieure und andere Fachleute der EIB arbeiteten danach an dem Bericht, der im Februar 2023 vorgelegt wurde und die Erkenntnisse zusammenfasst.

Supporting Ukraine: A Study on Potential Recovery Strategies for Ukraine liefert eine schonungslose Analyse des Aufbaubedarfs. Das jährliche Bruttoinlandsprodukt der Ukraine wird kriegsbedingt wohl um über 30 Prozent schrumpfen, so der Bericht. Alle Bereiche der Wirtschaft leiden, besonders aber die Schwerindustrie, die Energieversorgung und der Außenhandel.

Die Ukraine muss ein souveräner Staat bleiben – das ist die Voraussetzung für den Wiederaufbau und die langfristige Modernisierung.

„Wenn die Ukraine jetzt nicht überlebt, wird nichts funktionieren“, meint auch de Zagon. „Sie muss den Krieg gewinnen, was schon schwer genug ist. Und dann müssen wir auch die Menschen im Land und die Wirtschaft am Laufen halten.“

Die Probleme sind gewaltig:

  • Sechs Millionen Menschen mussten ihr Zuhause verlassen.
  • Die Prüfung, Genehmigung und Auszahlung von Krediten und Zuschüssen für die Wirtschaft und den Wiederaufbau stockt. Für einen effektiven Wiederaufbau des Landes müssen Kredite und technische Hilfe direkt bei den jeweiligen Stellen, Städten oder Regionen ankommen. Dazu braucht es kreative Investitionspläne, um die Risiken zu streuen.
  • Die wirtschaftlichen Fortschritte der letzten Jahre sind zunichtegemacht: Um 62 Prozent sind die monatlichen Exporte gegenüber vor dem Krieg gesunken.
  • Kleine und mittlere Unternehmen haben im Schnitt Umsatzeinbußen von fast 80 Prozent. Knapp ein Drittel dieser Firmen ist in sicherere Gebiete umgezogen; 66 Prozent können ihre Beschäftigten nicht bezahlen.

Lösungen für den Wiederaufbau der Ukraine

Der Ukraine-Bericht skizziert, wie die Europäische Investitionsbank und andere Organisationen dem Land helfen können, damit es überlebt und wieder auf die Beine kommt.

1) Mehr Hilfe jetzt sofort

„Wenn wir nicht schon in der Krise mehr tun, geraten wir so weit in Rückstand, dass später alles noch schwieriger wird“, sagt de Zagon. „Die Menschen in der Ukraine brauchen jetzt Hilfe: Essen, Medikamente, ein Dach überm Kopf, Schulen, Krankenhäuser.“

Die sogenannten Solidaritätskorridore erleichtern Gütertransporte zwischen der Ukraine und angrenzenden Ländern. Sie sind wichtig, um die Wirtschaft am Leben zu halten und Grundbedürfnisse zu decken.

2) Unterstützung in Schlüsselbereichen

Das Geld muss da investiert werden, wo es der Wirtschaft am meisten hilft. Der Bedarf der Ukraine übersteigt die verfügbaren Mittel bei weitem. Also müssen sich die internationalen Finanzinstitute auf Investitionen konzentrieren, die der Wirtschaft dienen und das Fundament für einen langfristigen Wiederaufbau schaffen.

„Wir müssen sehr schwere Entscheidungen treffen, wofür wir das Geld vergeben“, so de Zagon. „Welche Projekte müssen wir zuerst finanzieren, welche Straßen zuerst reparieren? Welche Infrastruktur wird heute gebraucht? Welche Wohnungen sollten wir bauen, welche Lebensmittel sind wichtig? Und all das muss nachhaltig sein und Steuern abwerfen, damit der Staat seine Rechnungen bezahlen kann.“



3) Engere Zusammenarbeit mit der Europäischen Union

Die Zukunft der Ukraine hängt auch von ihrer Annäherung an andere Demokratien ab, vor allem jene in ihrer Nachbarschaft. Eine bessere Zusammenarbeit und Verflechtung mit der EU ist gut für die Ukraine und für Europa, gut für den Welthandel und gut für die gesamte demokratische Welt, so der Bericht.

4) Wiederaufbau in der Hand der Ukraine

Die Ukraine muss ihren Wiederaufbau selbst in die Hand nehmen – das stärkt die Souveränität und Eigenverantwortung des Landes. Die Ukraine braucht zwar internationale Organisationen, die sie beraten und den Wiederaufbau überwachen; aber wenn der Krieg vorbei ist, muss sie irgendwann wieder unabhängig werden von ausländischer Hilfe.

„Wir können mit unseren Ideen und unserer Erfahrung kommen, aber letztlich tragen die Regierung und das Volk die Verantwortung“, meint de Zagon. „Wir sollten es ihnen überlassen, den Wiederaufbau zu planen.“

5) Zusammenarbeit

Hunderte Organisationen sind in der Ukraine aktiv. Internationale Finanzinstitute sollten prüfen, wie sie durch Zusammenarbeit und engere Partnerschaften am besten helfen können.

„Es wird so vieles gebraucht, und es fehlt an allen Ecken und Ende. Deshalb müssen wir uns zusammentun und abstimmen“, so de Zagon, der sich jede Woche mit Ukrainerinnen und Ukrainern, EU-Institutionen und Hilfsorganisationen aus aller Welt trifft. „Im Team ist so viel mehr möglich!“