Auf der Uno-Klimakonferenz in Ägypten muss die EU endlich einen energiepolitischen Schulterschluss mit Afrika erzielen, mahnt Werner Hoyer.
Die Europäische Union hat für den grünen Umbau der Wirtschaft ehrgeizige Pläne. Die 27 Mitgliedsstaaten sollen bis 2050 klimaneutral werden, in einem ersten Schritt müssen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 sinken. Dem Nachbarkontinent Afrika will die EU dabei helfen, seine Industrialisierung mit Strom aus Wind und Sonne emissionsarm zu gestalten.
Ab dem 6. November soll die Uno-Klimakonferenz im ägyptischen Sharm-el-Scheikh Schwung in die Kooperation beider Kontinente bringen. Tatsächlich brauchen wir gerade wegen der Energiekrise endlich einen energiepolitischen Schulterschluss mit Afrika.
Seit fossile Energien knapp und teuer geworden sind, kauft Europa weltweit Öl und Flüssiggas – koste es, was es wolle. In Rekordtempo entstehen neue Terminals und Pipelines. Allen voran Deutschland bietet beispielsweise dem Senegal Hilfe bei der Erschließung neuer Gasfelder an – wenn das Gas dann nach Europa fließt.
Europas oberste Priorität ist es, die Ausfälle russischer Gaslieferungen schnell zu ersetzen, um auch im Winter Energiesicherheit zu gewährleisten. Was fehlt ist die politische Kraft, gleichzeitig konsequent den klimafreundlichen Umbau des Energiesystems voran zu treiben. Bei Windparkausschreibungen in Deutschland etwa gibt es viel zu wenige Bewerber.
Fatalerweise verhindert gerade das kurzfristige Krisenmanagement eine nachhaltige Beendigung der Energiekrise. Alte Abhängigkeiten von fossilen Energieimporten werden durch neue ersetzt, nur zu höheren Preisen. Dabei liegt es auf der Hand: Je schneller erneuerbare Energien fossile Brennstoffe verdrängen, desto eher gelingt es uns, strategische Autonomie vor allem von Russland zu erreichen.
Der beschleunigte Ausbau von Wind- und Sonnenenergie und die Errichtung eines echten europäischen Netzverbundes wären die nachhaltigsten Gaspreisbremsen. Gelingt das nicht, läuft die EU Gefahr, sich auch in späteren Wintern mit dem Füllstand von Gasspeichern befassen zu müssen, mit Kohlelieferungen und Laufzeiten von Atomkraftwerken. Die Erderhitzung würde dann vollends außer Kontrolle geraten.
In Afrika wiederum sehen rohstoffreiche Staaten Europas Versorgungskrise Krise als Chance, Unterstützung für die Erschließung neuer Gasfelder zu bekommen. Die Afrikanische Union hat für die Uno-Klimakonferenz eine klare Botschaft formuliert: Afrika will Gaskraftwerke bauen – im Glauben, dass ohne fossile Energie Wohlstand für den Nachbarkontinent nicht erreichbar ist.
Tatsächlich redet der reiche Westen zwar viel von erneuerbaren Energien, kauft selbst aber massiv fossile Brennstoffe. Dass Europa die grüne Industrialisierung Afrikas fordert, bedient auch alte antikoloniale Reflexe: Weiße wollen Schwarzen vorschreiben, was sie tun oder lassen sollen. Kurz: Europa hat ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Das schadet nicht nur uns und den Afrikanern, sondern der ganzen Welt. Wie sehr die Erderhitzung menschliches Leben bedroht, hat der letzte Sommer überdeutlich gezeigt: Dürren und Waldbrände in Europa, Überschwemmungen in Asien und Lateinamerika, verheerende Stürme in den USA. Afrika leidet schon lange unter der Ausdehnung seiner Wüsten.
Umso dringender ist es, dass Europa die afrikanische Sicht zwar ernst nimmt, seinerseits aber auch als Vorreiter beim schnellen Ausbau erneuerbarer Energien in Erscheinung tritt. Europa muss beweisen, dass es seine grüne Transformation voranbringt und dabei wirtschaftlich erfolgreich bleibt.
Will Europa 2050 klimaneutral sein, wird es Afrika als Partner brauchen. In vielen energieintensiven Industrien können Kohle und Gas nur durch grünen Wasserstoff ersetzt werden. Ein großer Teil davon muss künftig im sonnen- und windreichen Afrika sowie in Asien oder Lateinamerika produziert und in die EU exportiert werden. Wie seinerzeit in der Industriellen Revolution hängt unser Erfolg davon ab, Innovationen in Rekordtempo voranzutreiben und neue Technologien schnell einzusetzen.
Noch hat Europa bei grüner Technologie einen Vorsprung vor den USA, Südkorea und China. Diesen Vorsprung gilt es auszubauen. Europas grüne Investitionsoffensive wird viel Geld kosten, laut EU-Kommission bis 2030 pro Jahr zusätzlich 350 Milliarden Euro. Mit dem Einsatz von Finanzinstrumenten, die staatliche Garantien mit langfristigen Krediten von Förderbanken und dem Geld privater Investoren kombinieren, ließen sich erhebliche Mittel für Investitionen bereitstellen. Die Europäische Investitionsbank steht bereit, in diesem Jahrzehnt eine Billion Euro für den Klimaschutz zu mobilisieren.
Europa wird Afrika nur dann von erneuerbaren Energien überzeugen können, wenn Politiker nicht nur neue Flüssiggas-Terminals einweihen, sondern viel öfter Windparks. Solarpaneele sollten die neue Norm auf unseren Dächern werden.
Afrika hat Recht, dass es Wohlstand nur mit günstiger Energie gibt. Strom ließ sich aber schon vor der Energiekrise am günstigsten aus Sonne und Wind herstellen.
Dieser Artikel wurde zuerst im Handelsblatt und im Tagesspiegel in Deutschland am 3. November 2022 veröffentlicht.