Kleine Unternehmen sind der Motor der europäischen Wirtschaft. Doch vielen fehlt das digitale Know-how, um in der Pandemie wettbewerbsfähig zu bleiben. Deshalb helfen ihnen nun digitale Innovationszentren bei der Umstellung

Von Alberto Casorati, Arnold Verbeek und Shiva Dustdar

Unternehmen, die digital auf starken Beinen stehen, haben die Coronapandemie bisher ganz gut überstanden. Ob Onlinevertrieb, intelligentes Bestandsmanagement oder Telearbeit – mit der entsprechenden Technologie ging es für sie trotz Lockdowns und Kontaktbeschränkungen weiter.

Kleine Betriebe sind dabei allerdings klar im Nachteil. Von den Lockdowns ausgebremst, fehlen vielen von ihnen die digitalen Tools, um in dieser Ausnahmesituation zu überleben. Hinzu kommt: In EU-Ländern wie Italien, die besonders unter der Pandemie leiden, sind kleine Unternehmen tendenziell weniger digitalisiert. Das geht aus einer aktuellen Studie des Beraterteams für Innovationsfinanzierungen der Europäischen Investitionsbank (EIB) mit dem Titel „Financing the digitalisation of small and medium-sized enterprises: The enabling role of Digital Innovation Hubs“ hervor.

In dem Bericht analysiert das Team die digitale Kluft und schlägt Lösungsansätze vor:

  • Weniger als 20 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in Europa sind hoch digitalisiert. Bei den Großen sind es hingegen fast 50 Prozent.
  • Kleine Unternehmen sind ein wichtiger Konjunkturmotor. Ob und wie sie die Krise überstehen, entscheidet über die Erholung und das künftige Wachstum der europäischen Wirtschaft.
  • Kleine Unternehmen brauchen Kredite für ihre Digitalisierung. Dafür müssen Banken besser verstehen, wie die Firmen mit entsprechender Technologie effizienter werden.
  • Hier und da in Europa helfen digitale Innovationszentren einigen Branchen bereits bei der Digitalisierung. In unterversorgten Regionen brauchen wir aber noch mehr von diesen Zentren. Und sie müssen sich stärker für kleine und mittlere Unternehmen ins Zeug legen.

Was sind digitale Innovationszentren? Das sind zentrale Anlaufstellen, die Firmen helfen, ihre Produkte, Dienstleistungen und Prozesse mit geeigneten Technologien zu verbessern. Das macht sie wettbewerbsfähiger. Bei diesen Innovationszentren bekommen Europas kleine Unternehmen die Digitalberatung, die sie in dieser schwierigen Zeit besonders dringend brauchen. 

KMU – ein wichtiger Motor für die Wirtschaft

Man kann gar nicht genug betonen, wie wichtig kleine Betriebe für Europas Wirtschaft sind. Sie stellen 99,8 Prozent aller Unternehmen außerhalb des Finanzsektors und zwei Drittel aller Arbeitsplätze in der Europäischen Union.

Außerdem tragen kleine und mittlere Unternehmen ganze 56,2 Prozent zur Wertschöpfung im Nichtfinanzsektor bei. In Belgien, Italien und Spanien – drei Ländern, die besonders stark von der Pandemie betroffen sind – sind es sogar mehr als 60 Prozent.

In der Coronakrise hat sich gezeigt, wie anfällig KMU für Angebots- und Nachfrageschocks sind. Die Lockdowns könnten das Aus für schätzungsweise 50 Prozent der kleinen Unternehmen in Europa sein, denen der finanzielle Puffer fehlt.

Kleine Unternehmen sind oft das Rückgrat der besonders coronagebeutelten Branchen. Laut OECD trifft die Pandemie vor allem Transportunternehmen, verarbeitendes Gewerbe, Bau, Groß- und Einzelhandel, Gastronomie und Hotellerie sowie Immobilienagenturen. Ganz zu schweigen von Dienstleistern wie Frisör- und Kosmetiksalons.

Innovationszentren springen in der Pandemie in die Bresche

Digitale Innovationszentren sensibilisieren Unternehmen für digitale Fragen. Sie helfen, den Bedarf zu ermitteln, Know-how aufzubauen und Lösungen einzuführen. Ihr Angebot umfasst Beratung und praktische Hilfe, Seminare und Konferenzen sowie Branchenkontakte und Adressen digitaler Dienstleister.   

Dabei setzen sie drei Schwerpunkte:

  • Einführung von Innovationen: Die Zentren helfen Unternehmen herauszufinden, wo sie digitalisieren können und welche innovativen Technologielösungen sich dafür eignen.
  • Geschäftsentwicklung: Gemeinsam wird analysiert, wie sich neue Technologien auf das Geschäft des Unternehmens auswirken. Gegebenenfalls muss das Geschäftsmodell angepasst werden.
  • Aufbau von Kompetenzen: Über Seminare, Konferenzen und andere Veranstaltungen wird die Belegschaft digital fit gemacht.

In der Coronapandemie unterstützen die digitalen Innovationszentren Unternehmen dabei, gemeinsam Lösungen zu entwickeln – von Robotik für Gesundheitsdienstleister bis hin zu neuen Verfahren für die Herstellung von Masken im Inland.

Im Corona-Hotspot Lombardei startete das dortige Innovationszentrum eine Großaktion mit dem regionalen Industrieverband Confindustria Bergamo, um einheimischen Textil-, Mode- und Chemieunternehmen zu helfen, ihre Produktion auf dringend benötigte chirurgische Masken für Gesundheitspersonal umzustellen.

Damit sich die Unternehmen im Dschungel der Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften zurechtfinden, richtete Confindustria Bergamo eine Webseite mit leicht verständlichen Informationen über Regeln und technische Anforderungen ein. Außerdem startete das Innovationszentrum eine Ausschreibung für Labore, die Versuchsmasken prüfen können.

Als sich die Gesundheitskrise verschärfte, aktivierte das digitale Innovationszentrum der Lombardei seine Kontakte in der Chemie-, Textil- und Verpackungsindustrie, um eine regionale Lieferkette für Masken auf die Beine zu stellen. Dafür sichtete das Team fast 1 000 E-Mails interessierter Unternehmen und beantwortete Tausende von Anrufen. In täglichen Zoom-Meetings mit Confindustria Lombardia und anderen Industrieverbänden der Lombardei wurde das Ganze koordiniert.

Von den Tausenden Anträgen blieben letztlich nur drei übrig – Italiens Istituto Superiore di Sanità erteilte Ende April einem Hersteller und Anfang Juni zwei weiteren Herstellern eine Zulassung. Zusammen produzieren die drei Unternehmen inzwischen pro Tag 50 000 bis 100 000 Masken.

Auch andere digitale Innovationszentren haben Initiativen in der Pandemie auf den Weg gebracht. DIH-HERO, ein europaweites, auf Robotik für das Gesundheitswesen spezialisiertes Netzwerk digitaler Innovationszentren startete eine Covid-19-Ausschreibung für Technologien und Lösungen, die schnell im Gesundheitswesen eingesetzt werden können. DIHNET, eine Gemeinschaft digitaler Innovationszentren, analysiert hingegen die unmittelbaren und langfristigen Bedarfe öffentlicher Einrichtungen und kleiner Unternehmen nach der Pandemie. Dabei wird auch untersucht, wie sie mit digitalen Tools krisenfester werden könnten.

Hemmnisse abbauen

Kleinen und mittleren Unternehmen fehlt es bei der Digitalisierung vor allem an Wissen. Digitale Innovationszentren bieten ihnen ein Forum, um Ideen auszutauschen, sich mit neuen Technologien und Prozessen vertraut zu machen und Geschäftschancen zu erschließen.

Viele EU-Länder haben erkannt, dass kleine Unternehmen bei der Digitalisierung Schützenhilfe brauchen. In Irland und Portugal hilft das Beraterteam für Innovationsfinanzierungen der EIB bei Initiativen wie Schulungen und dem Einsatz von Finanzierungsinstrumenten. Ein ähnliches Projekt ist in Italien geplant.

In der Ukraine hat die EIB kürzlich einen Kredit über 50 Millionen Euro für UNIT.City unterzeichnet, einen neuen Innovationspark in Kiew. Damit hilft die Bank beim Aufbau eines der größten Technologiezentren in Mittel- und Osteuropa. Auf 25 Hektar werden sich neben Start-ups und IT-Trainingszentren auch Hightech-Unternehmen, Forschungseinrichtungen sowie Inkubatoren und Accelerators ansiedeln. Das Vorhaben wird von InnovFin – Wissenschaft unterstützt, einer gemeinsamen Initiative der Europäischen Kommission und der EIB zur Förderung von Forschung und Innovation.

Gemeinsam mit dem Europäischen Investitionsfonds (EIF) und der Kommission entwickelt die EIB weitere Initiativen, um die Digitalisierung kleiner und mittlerer Unternehmen voranzutreiben. Ein Beispiel ist das neue Pilotprogramm Digitalisierung von EIF und Kommission im Rahmen der COSME-Garantiefazilität für KMU-Kredite. Über dieses Finanzierungsprogramm kann der EIF kleine Unternehmen bei Digitalprojekten unterstützen.

Die Digitalisierungsinitiative ergänzt andere Maßnahmen der EIB für kleine Unternehmen nach dem Coronaschock. Als Antwort auf die Covid-19-Krise richtet die EIB-Gruppe den Paneuropäischen Garantiefonds im Volumen von 25 Milliarden Euro ein. Über diesen Fonds will die EIB-Gruppe ihre Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen ausweiten. Dabei wird sie mit lokalen Geldgebern und nationalen Förderinstituten zusammenarbeiten. Der Garantiefonds soll bis zu 200 Milliarden Euro mobilisieren. Weitere Initiativen der EIB:

  • Über eine Garantie von einer Milliarde Euro, die aus bestehenden Programmen gestellt wird, will die EIB bis zu acht Milliarden Euro für kleine Unternehmen mobilisieren.
  • Zweckgebundene Liquiditätslinien an Banken im Volumen von zehn Milliarden Euro sollen die Versorgung von KMU und Midcaps mit Betriebskapital sichern.
  • Über Programme zum Ankauf von Asset-Backed Securities können Banken einen Teil des Risikos ihrer KMU-Kredite an die EIB übertragen und dadurch weitere Kredite vergeben. So will die Bank weitere zehn Milliarden Euro für KMU mobilisieren.

Zusätzlich zu diesen Initiativen empfiehlt die EIB in ihrer Studie, für Digitalprojekte ein Finanzierungsinstrument mit Risikoteilung einzurichten und Eigenkapitalinstrumente oder Fremdkapitalprodukte für kleine Unternehmen zu entwickeln.

Generell sollte die Unterstützung kleiner Unternehmen bei der Digitalisierung Teil der europäischen Covid-19-Nothilfemaßnahmen sein. Die Innovationszentren sind bereits gut aufgestellt, um den digitalen Wandel voranzubringen. Kleine und mittlere Unternehmen müssen resilient genug sein, um den Coronaschock und künftige Krisen zu überstehen – schließlich sind sie das Rückgrat der europäischen Wirtschaft.

Alberto Casorati und Arnold Verbeek gehören zum Beraterteam für Innovationsfinanzierungen der Europäischen Investitionsbank. Shiva Dustdar leitet die Abteilung Beratung für Innovationsfinanzierungen.