Die EU will klimaneutral werden – die Klima- und Energiewende ist eine riesengroße Chance, die Industrie zu modernisieren, Arbeitsplätze zu schaffen und Wachstum zu fördern.

Von Janel Siemplenski Lefort

In ihrer langfristigen Klimastrategie ruft die Europäische Union die Mitgliedsländer auf, im Kampf gegen die Erderwärmung eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Und sie zeigt, wie die europäische Wirtschaft bis 2050 auf kosteneffiziente und sozial verträgliche Weise emissionsneutral werden kann.

Europas Weg in die Klimaneutralität bis 2050 ist eine große Herausforderung. Es ist aber auch eine riesengroße Chance, unsere Wirtschaft zu modernisieren und Wachstum, Beschäftigung, technologischen Fortschritt und soziale Teilhabe zu fördern. Die Klima- und Energiewende ist wirtschaftlich und technisch machbar. Dies gilt umso mehr, je kostengünstiger emissionsarme Technologien werden.

Wenn sie eine neue emissionsneutrale Wirtschaft aufbauen will, muss die EU einen entsprechenden Regelungsrahmen schaffen: Sie muss die Besteuerung von Energie neu ordnen und Klimafinanzierungen erleichtern. Die Europäerinnen und Europäer müssen sich damit auseinandersetzen, wie sie Güter produzieren und konsumieren und wie sie Wachstum und Wohlergehen ins Lot bringen können.

Dabei müssen wir die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft vor den Folgen des Klimawandels schützen und die Lasten des Umstiegs auf eine emissionsarme Wirtschaft gerecht auf die Gesellschaft verteilen.

Jedes Jahr veröffentlicht die Hauptabteilung Volkswirtschaftliche Analysen den Investitionsbericht der EIB, in dem sie einen Überblick über die Lage der europäischen Wirtschaft gibt. Der Investitionsbericht 2019/2020 beschreibt in einem eigenen Kapitel, wie Europa die Energiewende für sich nutzen kann.

Was bringt uns die Klima- und Energiewende?

  1. Mehr Arbeitsplätze. Grüne Energie hat bisher vier Millionen Stellen in Europa geschaffen. Hinzu kommen 492 000, wenn sich die Welt verpflichtet, den Klimawandel zu bekämpfen, so Schätzungen der Europäischen Kommission. Wenn die Energiewende vorankommt, können bis 2050 weitere 0,3 Prozent Arbeitsplätze mehr entstehen. Nach einem ehrgeizigeren Szenario könnte eine Senkung der globalen Emissionen zu 0,9 Prozent mehr neuen Stellen führen.
     
  2. Neue wachstumsstarke Branchen. Die erneuerbaren Energien sind den Kinderschuhen entwachsen. Sie können jetzt ohne Subventionen expandieren. Die Kosten für Solarenergie sind zwischen 2010 und 2018 um 75 Prozent gesunken, die für Windenergie um 35 Prozent. Trotzdem bleiben viele Probleme. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds sind fossile Brennstoffe weiterhin billig, und die Industrie wird stark subventioniert (allein 2017 mit 5,2 Billionen US-Dollar!). Die Subventionierung fossiler Brennstoffe schwächt die Kostenwettbewerbsfähigkeit der erneuerbaren Energien.
     
  3. Weniger Energieabhängigkeit. Die Abhängigkeit der EU von Energieimporten dürfte bis 2050 von 55 Prozent auf 20 Prozent zurückgehen. Diesen Schluss zieht die Europäische Kommission in einer detaillierten Untersuchung der langfristigen Emissionsstrategie des Kontinents. Erneuerbare Energie, die vor Ort produziert wird, kann bereits zunehmend mit fossilen Brennstoffen konkurrieren.
     
  4. Mehr Wettbewerbsfähigkeit. Die europäische Industrie hat ihre Energieintensität – d. h. die Energie, die für die Erzeugung von einer Einheit Wirtschaftsleistung benötigt wird – zwischen 2005 und 2017 um 20 Prozent verringert. Einige Branchen wie die Stahl-, Zement-, Chemie-, Glas- und Kunststoffindustrie müssen ihre Energieeffizienz noch verbessern. Die Energieeffizienz der EU und ihre Wettbewerbsfähigkeit insgesamt könnten weiter gesteigert werden, wenn wir industrielle Prozesse durch Digitalisierung und Automatisierung optimieren und mehr wiederverwerten und wiederverwenden.
     
  5. Selbst ist der Verbraucher. Die Verbraucherinnen und Verbraucher werden in der Energiewende eine aktive Rolle spielen: Sie werden ihre Energienachfrage anpassen und selbst Energie in das Netz einspeisen. Die Energiewende wird Konsumenten allmählich zu „Prosumenten“ machen, die überschüssigen Strom wieder verkaufen. Die meisten EU-Länder haben dafür bereits den rechtlichen Rahmen geschaffen.
     
  6. Führend bei der Dekarbonisierung. Berücksichtigt man die historischen Anstrengungen, die Emissionen der Wirtschaft zu senken, schneidet die EU besser ab als die USA und China. Europa hat bereits vor fast zwei Jahrzehnten begonnen, die Wirtschaft von CO2-Emissionen zu entkoppeln. Unsere Wirtschaft ist heute 20 Prozent weniger CO2-intensiv als 2000. 2018 war die europäische CO2-Intensität 20 Prozent niedriger als die der Vereinigten Staaten und 70 Prozent niedriger als die Chinas.
     
  7. Klimainvestitionen sind krisensicher. Die Investitionen in erneuerbare Energien sind in den letzten zwanzig Jahren kräftig gestiegen. Selbst die Finanzkrise konnte ihnen weniger anhaben als anderen Investitionsarten.

Chancen der Klima- und Energiewende

Die Umstellung auf eine emissionsneutrale Wirtschaft bietet auch enorme Chancen, einige der drängendsten Probleme der EU in Angriff zu nehmen. Veraltete Steuersysteme, Fachkräftemangel, ausbleibende Investitionen, wachsende Ungleichheit – alle diese Fragen könnten wir auf Europas Weg aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zumindest teilweise lösen. Dazu müssen wir

die Energiesteuern reformieren

Die EU-Energiesteuerrichtlinie ist seit ihrer Verabschiedung 2003 unverändert geblieben, obwohl sich Europas Klima- und Energiepolitik entscheidend weiterentwickelt haben und viele Technologien für saubere Energie entstanden sind. Die geltende Richtlinie behindert Investitionen in hochmoderne neue Brennstoffe wie Wasserstoff, E-Fuels (Power-to-Gas, Power-to-Liquid), Biomethan und organische Brennstoffe. Da die Richtlinie keine klaren rechtlichen Vorgaben zur Besteuerung dieser neuen Produkte und Verfahren enthält, ist deren steuerliche Bevorzugung nicht gesichert. Angesichts fehlender Steuervorschriften ist auch die Stromspeicherung für Investoren in der EU weniger interessant.

In ihrer derzeitigen Form kann die Energiebesteuerung nicht dazu beitragen, dass Europa seine Klimaziele erreicht. Für die neue Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen ist eine Reform der Besteuerung ein zentrales Element ihres europäischen Grünen Deals.

neue Investitionen anstoßen

Wenn die Energiewende gelingen soll, müssen die Investitionen in den Energiesektoren bis 2050 auf jährlich 2,5 bis 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Dies wären rund 1,5 Prozent des BIP mehr als jetzt. Ein Großteil dieser Investitionen (60–65 Prozent) wird zur Gebäudesanierung, Verbesserung industrieller Prozesse und Einbindung neuer Verkehrstechnologien benötigt. 35–40 Prozent würden in den Ausbau der Energieinfrastruktur fließen sowie in den Bau von Kraftwerken, die erneuerbare Energiequellen nutzen, von neuen Energiespeicheranlagen und von Fabriken, die emissionsfreien Wasserstoff und synthetische Brennstoffe produzieren.

Um private Investitionen zu mobilisieren, muss der öffentliche Sektor als Katalysator wirken: Er muss die richtigen Preissignale setzen, investitionsfördernde Regelungen erlassen, Normen festlegen und – etwa über Energieaudits – informierend wirken. Aber auch der Staat muss klare Signale aussenden, wohin der Weg geht, die politische Unsicherheit beenden und das nötige Vertrauensklima schaffen, damit Unternehmen investieren.

die Klima- und Energiewende sozial verträglich gestalten

Die Kosten des Klimawandels werden die Ärmsten am härtesten treffen. Bei einkommensschwächeren Haushalten verschlingen die Energiekosten einen immer größeren Teil des verfügbaren Einkommens. Umso schwerer wird es ihnen fallen, Gebäudesanierungen oder Energieeffizienzmaßnahmen zu bezahlen, ohne die Europa nicht klimaneutral werden kann. Der Staat sollte die Belastung abfedern und die Schwächsten aktiv schützen. Andernfalls findet die Energiewende immer weniger Rückhalt in der Öffentlichkeit.

Im November 2019 genehmigte der Verwaltungsrat der EIB eine neue Finanzierungspolitik im Energiesektor. Er betonte auch, dass die Bank, Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit fördern muss. Die EIB verpflichtet sich als Bank der EU,

  • ab Ende 2021 Projekte auf der Grundlage fossiler Energieträger ohne CO2-Minderung nicht mehr finanziell zu unterstützen
  • sich bei ihrer Finanzierungstätigkeit auf Innovationen für saubere Energie, Energieeffizienz und erneuerbare Energien zu konzentrieren
  • durch Finanzierungen der EIB-Gruppe bis 2030 eine Billion Euro an Investitionen in Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit anzustoßen
  • bis Ende 2020 alle ihre Finanzierungsaktivitäten auf die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens auszurichten