Gribouilli vernetzt und schult Kindermädchen in Paris. Dafür gab es den ersten Preis beim Wettbewerb für Soziale Innovation 2023 des EIB-Instituts

Als Aminata Diouf noch als Kindermädchen in Paris arbeitete, ging sie mit ihren Schützlingen oft in den Park. Dort kam sie mit anderen Nannys ins Gespräch.

„Dabei wurde mir klar, dass uns wesentliche Dinge fehlten, etwa Erfahrungsaustausch und Schulungen“, erinnert sie sich. „Wir Kindermädchen waren isoliert. Wir hatten alle die gleichen Fragen und Sorgen, aber es gab keine Strukturen für uns. Und auch keine pädagogischen Programme für die Kinder.“ Hinzu kam die prekäre berufliche Situation: Alle hatten Angst um ihren Job.

Das wollte Diouf nicht hinnehmen. Denn was gab es Wichtigeres, als sich um Kinder zu kümmern? „Wir hatten Erfahrung, aber warum erkannte das niemand an? Warum waren wir so allein?“, fragte sie sich. Diouf begann, die Namen und Telefonnummern ihrer Kolleginnen zu sammeln. Und 2016, nach 15 Jahren als Kindermädchen, teilte sie der Familie, bei der sie arbeitete, höflich mit, dass sie ihren Beruf aufgeben würde – um ihm zu mehr Anerkennung zu verhelfen.

In zweien ihrer drei Töchter, die sie alleine großgezogen hatte, fand sie Mitstreiterinnen. Zusammen gründeten sie die Berufsorganisation Gribouilli – französisch für „Gekritzel“.

„Bei Kritzeleien laufen bunte Linien quer durcheinander. Diese Linien stehen für die Leben der Kinder, Eltern und Kindermädchen. Und jede Linie bringt mehr Farbe ins Spiel“, erklärt Dioufs älteste Tochter Maïmonatou Mar, eine promovierte Chemikerin.

Gribouilli belegte beim Wettbewerb für Soziale Innovation des EIB-Instituts 2023 in der Sonderkategorie „Lösungen für nachhaltige Städte und Gemeinden“ den ersten Platz.

Nannys, vernetzt euch

Laut Mar lebt fast die Hälfte der rund 50 000 Kindermädchen in Frankreich in Paris. Fast alle sind Frauen über 40. Sie stammen meist aus Amerika, Afrika und Südostasien und arbeiten oft 50 Stunden pro Woche – manchmal unter sklavenähnlichen Bedingungen.

Diouf und ihre Töchter organisierten für sie samstags Coaching-Workshops, geleitet von erfahrenen Nannys, anfangs von Diouf selbst.

Zuerst luden sie die Kindermädchen auf ihrer Kontaktliste ein. Dann wurden es schnell mehr. Dank Mundpropaganda sind es mittlerweile 1 500 Teilnehmerinnen in ganz Paris. „Die Frauen laden einander per WhatsApp ein“, erzählt Mar. „‚Du musst am Samstag unbedingt kommen, es ist wichtig. Tolle Veranstaltung, für uns und von uns.‘“.

Wer die Jahresgebühr von 20 Euro nicht zahlen kann, darf kostenlos an den Workshops teilnehmen.

Mar: „Uns ist wichtig, dass alle mitmachen können, die unsere Unterstützung brauchen.“

Die Teilnehmerinnen reden über ihre Erlebnisse und Probleme bei der Arbeit. So lernen sie voneinander und geben Wissen weiter.

Manchmal gibt es Vorträge von externen Fachleuten über Themen wie Autismus oder praktische Probleme wie die Suche nach einer Unterkunft. Mar: „Unser Angebot macht die Frauen stärker, denn Wissen bedeutet Stärke. Wir nehmen ihnen die Probleme nicht ab, sondern wir helfen ihnen, sie selbst zu lösen.“

Trainings für arbeitslose Kindermädchen

Neben den Workshops bietet Gribouilli Programme für arbeitslose Kindermädchen an. Dort lernen sie, sich gut zu verkaufen, Flyer und Visitenkarten zu erstellen und sich online zu bewerben.

Weiter stehen Job-Dating-Veranstaltungen auf dem Programm, um Kontakte zwischen Kindermädchen und interessierten Familien herzustellen. Gribouilli arbeitet außerdem an einem Tool, das die Arbeit der Kindermädchen bewertet – einschließlich Zeugnis. „Wir wollen, dass die Frauen motiviert sind und Freude an ihrer Arbeit haben“, betont Mar. „Sie stehen psychisch unter Druck. Es ist frustrierend, wenn man nach acht Jahren in einer Familie den Job verliert und dann nicht vorzeigen kann, was man gemacht hat.“

Die Workshops sind gut für das Selbstvertrauen der Frauen. Nach dem Autismus-Workshop gab es viel positives Feedback: „Es war toll, mitgemacht zu haben. Ein erhebendes Gefühl. Ich fühle mich nützlich.“ „Ich habe so viel gelernt und gehe hier mit erhobenem Kopf raus.“ „Meine Kinder freuen sich für mich. Sie sehen, dass ich mich verändert habe und sind stolz auf mich.“

Endlich Anerkennung

Auch Eltern steht Gribouilli bei Verhandlungen über die häusliche Kinderbetreuung zur Seite, denn gute Informationen dazu sind oft Mangelware. Die Organisation veranstaltet Gratis-Webinare für Familien und informiert in den Stadtteilen über Angebote für Familien.  

Nach Schätzungen der französischen Regierung können 150 000 Eltern im Land nicht arbeiten, weil es an bezahlbarer Kinderbetreuung fehlt.

2021 gründete Gribouilli eine Genossenschaft, um Kindermädchen an einkommensschwache Familien zu vermitteln, bezahlt vom Staat. Jetzt wird das Angebot auch auf Familien ausgeweitet, die für die Betreuung zahlen können. Gribouilli wendet sich damit an große Unternehmen, die einen Teil des Gehalts der Kindermädchen übernehmen. Wenn alles nach Plan läuft, bringt das genug Geld ein, um die gemeinnützigen Angebote wie die Workshops zu finanzieren. 

Ein französisches Gesetz hat vor Kurzem sämtliche Leistungen der Kinderbetreuung unter einem Dach zusammengeführt, und Gribouilli hat dafür gekämpft, dass auch Kindermädchen berücksichtigt werden.

 „Die häusliche Kinderbetreuung war unsichtbar und wurde nicht richtig verstanden“, berichtet Mar. „Deshalb wollen wir ihr einen festen Platz geben und zeigen, dass sie andere Betreuungsformen ergänzen kann.“

Gribouilli plant, sein Angebot auch auf andere französische Städte auszuweiten. Bis 2026 will man 10 000 Kindermädchen erreichen. Doch während die Organisation beständig wächst, bleibt die Finanzierung ein großes Problem. Bisher lebte Gribouilli vor allem von öffentlichen Mitteln und Unternehmensspenden – und vom Engagement der Kindermädchen, die sich gegenseitig coachen und unterstützen. Der erste Platz beim Wettbewerb für Soziale Innovation war daher wichtig: wegen des Preisgelds, aber auch wegen der europaweiten Anerkennung.

„Die Frauen waren einfach nur überwältigt“, erinnert sich Mar. „Endlich die ersehnte Anerkennung. Sie haben auch die anderen Projekte gesehen und wie sie die Welt verändern. Und jetzt wissen sie: Als Erstplatzierte stehen sie dabei in der ersten Reihe.“