„Lissabon und Dublin verzeichnen einen großen Zustrom von ausländischen Tech-Fachkräften mit sehr hohen Gehältern.“
Anselm Leahy sitzt in der schicken weißen Küche seiner neuen Dubliner Wohnung. „Als ich zum ersten Mal reinkam, war ich völlig geflasht. Ich konnte es gar nicht glauben“, sagt er und zeigt im Wohnzimmer auf das große Erkerfenster mit Blick ins Grüne. „Ich war einfach total glücklich.“
Die Wohnung gehört zu einem Sozialwohnungsprojekt der Focus Ireland Association. Das ist eine staatliche Organisation, die Kredite für den Bau von bezahlbarem Wohnraum in Irland vergibt. Leahy ist vor knapp zwei Jahren eingezogen. Davor war er lange obdachlos. Als sein Vater starb und seine Mutter ins Altenheim zog, landete er auf der Straße. „Ich hatte einfach meinen Lebenswillen verloren“, sagt Leahy. „Diese Wohnung hat mich in vielerlei Hinsicht verändert: seelisch, körperlich und geistig. Ich fühle mich wieder wie ein Mensch. Ich kann mir eine Zukunft für mich vorstellen. Ich habe wieder Hoffnung.“
In Städten wie Dublin gibt es so wenig bezahlbaren Wohnraum, dass viele kein Dach über dem Kopf haben. Vor allem Arbeitslose, einkommensschwache Familien, Zugewanderte und junge Berufstätige. In den vergangenen 15 Jahren sind die Mieten in der EU im Schnitt um 25 Prozent gestiegen, die Kaufpreise um 50 Prozent. Jeder zehnte Mensch in Europa gibt mindestens 40 Prozent seines verfügbaren Einkommens für Wohnen aus.
Gleichzeitig ist der Anteil von Sozialwohnungen am Gesamtangebot seit 2010 rückläufig, während vulnerable Gruppen wie Obdachlose oder neu Zugewanderte wachsen. Die Hälfte der Wohnhäuser in Europa wurde vor 1980 gebaut. Viele davon müssen saniert werden. Vor allem die Energieeffizienz lässt oft zu wünschen übrig (Klasse D oder schlechter). Diese Gebäude auf neue EU-Standards zu heben, ist teuer und dauert.
Dabei hat der Mangel an bezahlbarem Wohnraum handfeste Konsequenzen: Junge Menschen verschieben das Kinderkriegen oder lehnen Zusagen der besten Unis ab, Lehr- und Pflegekräfte arbeiten nicht mehr in Großstädten – einfach, weil sie sich dort keine Wohnung leisten können.
„Diese Menschen und ihre Schicksale sind der lebende Beweis für die Wohnungskrise und deren Auswirkungen auf Europa“, sagte Dan Jørgensen, der EU-Kommissar für Energie und Wohnungswesen, bei einer Veranstaltung der EIB zu bezahlbarem Wohnraum Anfang März. „Das gefährdet die soziale Gerechtigkeit und den sozialen Zusammenhalt. Es schwächt unsere Wirtschaft und schadet unserer Wettbewerbsfähigkeit.“
Das Problem liegt auf der Hand: Die Nachfrage nach Wohnraum ist in den vergangenen zehn Jahren schneller gewachsen als das Angebot, und die Einkommen sind nicht so stark gestiegen wie die Preise. Die Lösung ist deutlich komplizierter. Die EU muss fast eine Million Wohneinheiten bauen, um die Angebotslücke zu schließen. Dazu braucht es:
- innovative, schnellere und billigere Bauweisen
- eine Regulierungsreform für schnellere Baugenehmigungen und einen Investitionsrahmen, damit Bauträger bezahlbaren Wohnraum schaffen
- Finanzierungslösungen für Wohnungsbau und Sanierung
„Wir müssen mehr bauen und den Bestand besser nutzen“, sagt Chiara Fratto, die als Volkswirtin bei der EIB die Wohnraumproblematik untersucht.

Eine Branche bremst
Mehr bauen. Das ist die beste Lösung. Aber die Pandemie hat die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage weiter vergrößert, denn dadurch wurde es für Bauträger schwerer, Baugenehmigungen, Material und Personal zu bekommen. Der Wohnungsbau ging zurück und bekam dann durch steigende Zinsen einen weiteren Dämpfer. Die Notenbanken stemmten sich mit Zinserhöhungen gegen die Inflation, die nach der Pandemie in die Höhe schnellte, unter anderem wegen Angebotsengpässen und hohen Energiepreisen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine.
In den 1990er-Jahren und Anfang der 2000er wurden viel mehr Wohnungen gebaut. Aber die globale Finanzkrise, großteils ausgelöst durch Probleme am US-Hypothekenmarkt, ließ die Bau-Investitionen regelrecht einbrechen. „Und sie haben sich nie mehr ganz erholt“, sagt Sinnott.
Dass in Städten zu wenige neue Flächen zur Verfügung stehen, ist ein zusätzliches Problem für den Wohnungsbau. Europas Innenstädte sind ja ohnehin schon dicht bebaut, und vielerorts gibt es natürliche Begrenzungen wie Parks oder Grünflächen, die für Neubauten nicht zur Verfügung stehen.
Außerdem müsste auch der Bausektor selbst neu aufgestellt werden. Da gibt es zwar ein paar große Bauträger. Die vergeben den Großteil der Arbeiten aber an kleinere Firmen, die wiederum Schwierigkeiten haben, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden. Ihre Produktivität ist niedrig und sie können sich keine digitalen Tools oder Fortbildungen leisten, die mehr Effizienz bringen könnten. Rund 75 Prozent der Bauunternehmen in der EU investieren laut Investitionsbericht der EIB-Gruppe nicht in Innovationen. „Das sind sehr kleine Firmen“, sagt Sinnott. „Die haben manchmal noch nicht einmal einen Computer. Und sie leben von Projekt zu Projekt.“
Viele Unternehmen in Europa entwickeln innovative Technologien und Baustoffe, um schneller bessere Wohngebäude bauen zu können. Der Sektor braucht mehr Unterstützung, um diese neuen Technologien integrieren zu können.
Ungefähr die Hälfte der EU-Länder bieten irgendeine Form von staatlich reguliertem sozialem und bezahlbarem Wohnraum – wenngleich es bei den Regeln und Anspruchskriterien große Unterschiede gibt. Die größten Programme finden sich in Österreich, Dänemark und in den Niederlanden (20 Prozent der Bestandswohnungen). Etwas kleinere haben Finnland, Frankreich und Irland (10–20 Prozent). Am wenigsten sozialen Wohnraum gibt es in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. EU-weit lassen sich 14 Millionen Wohneinheiten als sozialer Wohnraum bezeichnen. Ihr Anteil am Gesamtangebot ist in den vergangenen zehn Jahren aber stetig gesunken. 2021 fiel er um drei Prozentpunkte auf acht Prozent.
Das Ergebnis sind Mieten, die deutlich schneller steigen als die Einkommen.
Gewinner und Verlierer
Kaufen und Mieten ist seit 2010 immer teurer geworden – trotz der kurzzeitigen Rückgänge 2011 und 2013, teils infolge der europäischen Schuldenkrise. Von 2010 bis Ende 2024 stiegen die Mieten um 26,7 Prozent, die Kaufpreise um 55,4 Prozent. Einige der heftigsten Steigerungen gab es in Ungarn (234 Prozent), Estland (228 Prozent) und Portugal (120 Prozent). Italien war das einzige Land mit einem Preisrückgang (-4 Prozent).
Für alle, die schon Wohneigentum hatten, sind die Preissteigerungen ein unerwarteter Segen. Fratto, die im EIB-Investitionsbericht das Kapitel über den Wohnungsmarkt mitverfasst hat, sagt, davon hätten auch einkommensschwache Eigentümer profitiert. Vor allem, weil die Immobilie bei ihnen in der Regel einen großen Teil des Gesamtvermögens ausmacht. „Wer im Eigenheim wohnt, hat durch die Preissteigerungen einen enormen Vermögenszuwachs verzeichnet“, sagt sie.
Und auch Menschen mit Zweitwohnsitz an beliebten Ferienorten können sich über steigende Immobilienbewertungen und einen boomenden Mietmarkt freuen. „Eine vermietete Zweitimmobilie kann enorm lukrativ sein“, sagt Fratto.
Das Ganze hat aber eine Kehrseite: Wer jung ist, mietet oder jetzt erst kaufen will, bekommt auf dem Immobilienmarkt kaum noch einen Fuß in die Tür. Selbst in Ländern, wo die Preise relativ konstant geblieben sind, gibt es Hürden, die Kaufwillige abhalten – zum Beispiel hohe Anzahlungen. In Italien sind die Preise für Wohnimmobilien stabil geblieben, aber Anzahlungen von durchschnittlich 35 Prozent des Kaufpreises können viele einfach nicht aufbringen.
Insgesamt ist der Anteil junger und einkommensschwacher Menschen unter den Eigenheimbesitzern in den vergangenen zwanzig Jahren zurückgegangen:
- Unter den 24- bis 35-Jährigen ist die Eigentumsquote von 2005 bis 2023 um 5,9 Prozentpunkte gefallen – von 64 auf 58 Prozent. Bei der Gesamtbevölkerung beträgt der Rückgang nur 0,8 Prozentpunkte.
- Unter den einkommensschwachen Haushalten ging die Eigentumsquote von 2005 bis 2023 um 9 Prozentpunkte zurück – von 71 Prozent auf 62 Prozent.
Menschen, die innerhalb der EU umgezogen sind, schneiden ebenfalls schlechter ab: Unter denjenigen, die in den vergangenen zehn Jahren in ein anderes EU-Land gezogen sind, haben 18 Prozent Wohneigentum – gegenüber 69 Prozent bei denjenigen, die in diesem Land geboren wurden. Die Diskrepanz bleibt dem EIB-Investitionsbericht zufolge noch Jahre nach der Ankunft in einem neuen Land bestehen. Mehr als zwanzig Jahre nach dem Umzug liegt die Eigentumsquote bei den Zugezogenen bei 40 Prozent und damit immer noch deutlich niedriger als bei den Einheimischen.
Das zeigt: Wer wegen der wirtschaftlichen Chancen in ein anderes Land zieht, wird am Ende dafür bestraft. Dabei ist diese Flexibilität gut und notwendig für Europas Wirtschaft.
Wirtschaftliche Folgen hoher Preise
Hohe Wohnkosten halten Menschen davon ab, in boomende Städte und Regionen zu ziehen. Das führt dazu, dass Unternehmen und staatliche Stellen Schwierigkeiten haben, qualifizierte Leute zu finden. Die Gehälter steigen, die Produktivität geht zurück und letztlich leidet das Wirtschaftswachstum.
Und die Innovationskraft nimmt ab. Wenn ehrgeizige junge Berufstätige, Gründerinnen und Gründer in attraktiven Städten keine Wohnung finden, hören Unternehmen irgendwann auf, dort zu investieren oder zu expandieren. „Da gibt es ganz unterschiedliche Szenarien, wie die Wohnungsnot die Produktivität beeinträchtigt“, sagt Sinnott.
Eine Studie in den USA kommt zu dem Ergebnis, dass ein besseres Wohnungsangebot in wichtigen Städten das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um bis zu 9 Prozent hätte steigern könnte. Fratto arbeitet an einer vergleichbaren Analyse für europäische Wohnungsmärkte.
Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum vergrößert auch die soziale Ungleichheit. Junge Menschen aus weniger wohlhabenden Familien können Angebote von Top-Universitäten oder Jobs in Großstädten nicht annehmen. Das schränkt die soziale Mobilität ein und verstärkt das soziale Gefälle. „Da wirst du an den besten Universitäten deines Landes genommen, meistens in der Hauptstadt, und dann kannst du nicht hingehen, weil deine Eltern zu wenig Geld haben“, sagt Sinnott.
Die Wohnungsnot hinterlässt auch wirtschaftlich langfristige Narben. Wer einmal obdachlos war, hat danach schlechtere Job-Chancen. In der EU hatten in den vergangenen fünf Jahren mehr als 13 Millionen Menschen Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden. In dieser Gruppe ist die Arbeitslosenquote mit 15 Prozent höher als in der Gesamtbevölkerung (8 Prozent), auch wenn die Obdachlosigkeit keine finanzielle Ursache hatte.
Wege aus der Wohnungskrise
Die Lösung klingt einfach: mehr bauen. Aber wer schnell und relativ billig neuen Wohnraum schaffen will, stößt je nach Region auf eine Reihe von Problemen:
- Die Bauwirtschaft braucht Innovationen und Investitionen, um produktiver zu werden. Der Einkauf von Baumaterial muss effizienter werden, die Branche muss stärker auf modulares Bauen setzen, weil das die Bauzeiten verkürzt und robotergestützte Massenproduktion ermöglicht. Und es braucht innovative neue Baustoffe für mehr Energieeffizienz und weniger Emissionen. Öffentliche Baufinanzierungen könnten auf solche Projekte konzentriert werden, damit in diesem Bereich eine stabilere Nachfrage entsteht. Dann könnten Baufirmen in Anlagen und Ausrüstung investieren, um mehr produzieren und die Kosten senken zu können.
- Regulierungsvorschriften und langwierige Genehmigungsverfahren bremsen Wohnungsbauprojekte. Das Wirrwarr an Regeln auf lokaler, regionaler, nationaler und EU-Ebene macht alles unglaublich kompliziert und bürokratisch. Eine Harmonisierung der Vorschriften und standardisierte Kennzahlen zur Gebäudeleistung (zum Beispiel bei Energie) würden Innovationen fördern. Außerdem brauchen wir mehr Bauland für große Wohnprojekte.
- Es braucht mehr Investitionen in Energieeffizienz und Sanierungen. Viele europäische Städte sind so dicht bebaut, dass wir den Immobilienbestand optimal nutzen, sprich alte und marode Häuser und Wohnungen sanieren müssen. Das verbessert die Wohnbedingungen und senkt die Energiekosten. Allerdings sind Sanierungen teuer, vor allem für die Eigentümerinnen und Eigentümer. Deshalb brauchen wir neue, innovative Finanzierungen für Investitionen in Energieeffizienz.
- Wir brauchen mehr Geld und bessere Regulierung für sozialen und bezahlbaren Wohnraum. Neue Finanzierungsmodelle könnten Investitionen auslösen, aber parallel dazu braucht es öffentliche Maßnahmen für die Entwicklung von sozialem und bezahlbarem Wohnraum. In vielen Ländern fehlt ein rechtlicher und politischer Rahmen, der den Bau solcher Wohnungen fördert. Immerhin versuchen sie inzwischen, einen solchen Rahmen nach dem Vorbild anderer EU-Länder zu schaffen. Neue Möglichkeiten, Zuschüsse mit kommerziellen Finanzierungen zu kombinieren, könnten ebenfalls helfen, privates Kapital zu mobilisieren.
Die EIB hat seit 2018 fast eine halbe Million Sozialwohnungen in 16 Ländern finanziert – auch die von Anselm Leahy in Dublin. Trotzdem müssen wir und alle anderen noch mehr tun. Die Wohnungskrise verschärft die Ungleichheit und schränkt die Chancen für eine ganze Generation junger Menschen ein. „Das schafft einen Generationenkonflikt“, sagt Sinnott. „Es ist schwierig, die staatliche Grundversorgung aufrechtzuerhalten. Manchen Gruppen wird eine Vermögensquelle verbaut. Und es verhindert notwendige Zuwanderung.“
„Die Wohnungskrise ist eine fundamentale Belastung für Europas Wirtschafts- und Sozialmodell“, sagt Sinnott.
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