Natur- und Klimakrise hängen eng zusammen. Wir können die eine nicht ohne die andere bewältigen

Natur und Biodiversität sind die existenzielle Grundlage für Mensch und Wirtschaft. Doch das haben wir zu lange ignoriert und die Welt damit an den Rand des ökologischen Abgrunds manövriert. Natur- und Klimakrise hängen eng zusammen. Wir können die eine nicht ohne die andere bewältigen. Im Dezember trifft sich die Staatengemeinschaft im kanadischen Montreal. Eva Mayerhofer, EIB-Expertin für Biodiversität, erklärt, warum der Gipfel so wichtig ist.

Warum ist Biodiversität so wichtig?

Alle Bereiche der Wirtschaft haben auch etwas mit der biologischen Vielfalt zu tun – mal mehr, mal weniger. Jedenfalls hängt über die Hälfte unseres BIP davon ab. Natur und Biodiversität erbringen für uns lebenswichtige Leistungen wie Nahrung und sauberes Wasser. Sie schützen uns vor Überschwemmungen, sichern den Nährstoffkreislauf, filtern Wasser und sorgen für die Bestäubung.

Weil all das so unbemerkt im Hintergrund abläuft, haben wir uns nichts dabei gedacht, der Natur derart zuzusetzen. Nun sind die Kipppunkte für die Biodiversität erreicht – vor allem, weil wir ihren Wert nicht anerkannt und die Risiken für die Wirtschaft, den Finanzsektor und auch das Wohl dieser und künftiger Generationen ignoriert haben.

Corona hat uns wachgerüttelt: Der Ausbruch von Infektionskrankheiten, die zum Teil auf die veränderte Bodennutzung und den Raubbau an der Tierwelt zurückzuführen sind, ist nur ein Beispiel für die Risiken unseres rücksichtslosen Umgangs mit der Natur.

Biodiversität ist ein wertvolles Gut, mit dem wir viel zu verschwenderisch umgehen. Während sich das weltweite Bruttonationalprodukt pro Kopf seit 1992 verdoppelt hat, sind die Ökosystemleistungen weltweit um 40 Prozent pro Kopf zurückgegangen. Diese nicht nachhaltigen, ineffizienten Wachstumsmuster zeigen, dass wir ein „naturpositives“ Wachstum brauchen und dringend davon abkommen müssen, den wirtschaftlichen Erfolg am BIP zu messen. Wichtig ist auch zu erkennen, dass Klima, Natur und Entwicklung untrennbar miteinander verbunden sind. Das haben wir auf der COP26 mit dem gemeinsamen Bericht von IPBES und IPCC getan. Wenn wir noch irgendwie auf 1,5-Grad-Kurs kommen wollen, müssen wir die Natur schützen.

Die Biodiversität stand dieses Jahr bei der COP27 in Ägypten ganz oben auf der Agenda. Was wurde dort vereinbart?

Nach der COP26 war klar, dass die Natur kein Nebenschauplatz mehr ist. Auf der COP27 wurde ihre kritische Rolle durch einige wichtige Entscheidungen hervorgehoben.

Zum einen bestand Konsens darüber, dass bei Klima- und Naturfinanzierungen strukturelle Reformen angesagt sind. Jeder Euro und jeder Dollar, der ausgegeben wird, muss multidimensional wirken und zu drei Zielen beitragen: Naturschutz, oder sagen wir Biodiversität, UN-Nachhaltigkeitsziele und Klimaresilienz.

Es war unmöglich, auf der COP27 nicht über Geld zu sprechen. Aber jede und jeder hat da eine andere Vorstellung. Vor allem der Durchbruch bei der Finanzierung von Verlusten und Schäden machte Schlagzeilen. Dieses Jahr wurde auch viel darüber diskutiert, dass wir innovative Mechanismen brauchen, um Natur- und Klimaschutz auf nationaler und Ökosystemebene zu verankern. Ein Ergebnis war der 10-Punkte-Plan zur Finanzierung der biologischen Vielfalt, der auf der 77. UN-Generalversammlung im September von der britischen Regierung vorgelegt wurde. Der Plan zeigte im Vorfeld der Weltklimakonferenz (COP27) im November und der UN-Biodiversitätskonferenz (COP15) im Dezember, wie man die weltweite Finanzierungslücke bei der Biodiversität schließen könnte.

Zudem kam ein Schwester-Abkommen zum Übereinkommen von Paris ins Gespräch, das die Dynamik von Paris auf Naturbelange übertragen soll. Die Idee wurde auf der COP27 vehement verfochten. Leider schaffte sie es nicht in die Abschlusserklärung.

Es gab Fortschritte bei den Netto-Null-Emissionen, aber keine Verpflichtung für die Regierungen, den Verlust an Artenvielfalt bis 2030 zu stoppen, um ihre Netto-Null-Ziele zu erreichen. Die Verknüpfung zwischen Klima und Biodiversität kam in den Vereinbarungen nicht vor. Eine herbe Enttäuschung. Allerdings gab es starke Signale für den politischen Willen, die Wälder zu schützen, sichtbar an der Schaffung einer Wald-Klima-Partnerschaft (Forest and Climate Leaders’ Partnership) und an Zusagen, den Waldverlust bis 2030 zu stoppen. Das ist ein echter Fortschritt.

In den Verhandlungen sagten auch erstmals Brasilien, Indonesien und die Demokratische Republik Kongo zu, sich für den Stopp der Entwaldung einzusetzen.

Außerdem gelang es, die Bedeutung naturbasierter Lösungen festzuhalten und Wäldern, Meeren und der Landwirtschaft jeweils eigene Abschnitte zu widmen. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Naturschutz.

Wie optimistisch sind Sie für die COP15 im Dezember in Montreal?

Auf der COP15 dreht sich alles um die UN-Biodiversitätskonvention, eine der drei Rio-Konventionen von 1992, und um Klima und Wüstenbildung. Dieses Treffen ist besonders wichtig, weil dort der Rahmen neu verhandelt wird. Die 2010 in Aichi (Japan) vereinbarten Ziele für 2020 wurden weitgehend verfehlt. Deshalb brauchen wir jetzt einen neuen globalen Rahmen für die biologische Vielfalt.

Es könnte nicht mehr auf dem Spiel stehen. Die Tagesordnung ist prall gefüllt, und der Entwurf für den neuen Rahmen enthält 20 Ziele. Sie beruhen auf den Vorschlägen für weniger Pestizideinsatz, den Umgang mit invasiven Arten, die Reform und Abschaffung umweltschädlicher Subventionen und vor allem für mehr Naturfinanzierungen mit öffentlichen und privaten Mitteln.

Wir brauchen einen ehrgeizigen Rahmen. Sonst werden wir mit den 20 neuen Zielen in derselben Sackgasse enden wie mit denen für 2020. Der neue Rahmen wird bei den fünf Hauptursachen für den Naturverlust ansetzen – veränderte Nutzung von Land und Meer, Raubbau, Klimawandel, Umweltverschmutzung und invasive Arten. Auch das Nahrungssystem wird zentral einbezogen.

Für eine erfolgreiche Umsetzung des Rahmens muss auch geklärt werden, in welchem Umfang die reichen Länder den Entwicklungsländern bei der Finanzierung unter die Arme greifen sollen. Das ist der Knackpunkt, um den besonders verbissen gerungen wird. Er steht einer Einigung am meisten im Weg. Zu rund 1 800 strittigen Punkten müssen alle 196 Unterzeichner einen Konsens finden. Nur wenn sie sich in Montreal einigen, können wir den Naturverlust stoppen.

Ich bin nicht sonderlich optimistisch. Eine der meistdiskutierten Fragen ist, in welchem Umfang sich die reichen Länder beteiligen sollen. Derzeit fordern die Entwicklungsländer mindestens 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr, parallel zu den 100 Milliarden für Klimafinanzierungen. Nötig sind jedoch 100 Milliarden bis 700 Milliarden US-Dollar pro Jahr.

Die EU, Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich haben bereits zugesagt, ihre Finanzierungen zu verdoppeln. Doch damit sind wir erst bei 40 bis 60 Milliarden pro Jahr.

Es bleibt also fraglich, ob es uns gelingt, die Dynamik von Paris auf die Biodiversität zu übertragen.

Was tut die Europäische Investitionsbank für die Artenvielfalt?

Das Thema Biodiversität und Natur ist in unserem Klimabank-Fahrplan verankert. Schauen Sie sich unseren neuen Umweltrahmen an, den wir auf der COP27 vorgestellt haben. Darin beschreiben wir, was wir für die ökologische Nachhaltigkeit tun, so wie im Klimabank-Fahrplan definiert.

Die EIB hat zugesagt, spätestens ab 2025 mindestens 50 Prozent ihrer Finanzierungen für Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit bereitzustellen. Es gibt vier Ziele für die ökologische Nachhaltigkeit: Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung, Kreislaufwirtschaft, Schutz und nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen sowie Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen.

Finanzierungen direkt für die Natur werden immer ein Schattendasein führen. Viel mehr lässt sich erreichen, wenn man bei den Ursachen für den Verlust an biologischer Vielfalt ansetzt. Viele Unternehmen haben sich „naturpositive“ Ziele gesetzt. Mit Klimafinanzierungen, die stärker auf eine naturpositive Wirtschaft ausgerichtet sind, schützen wir die Natur.