... oder wenigstens volkswirtschaftlich nachhaltigere

Von Tunde Szabo, Senior Economist in der Abteilung Life Sciences der Europäischen Investitionsbank

Im Kino läuft gerade „Mary Poppins‘ Rückkehr“. Erinnern Sie sich noch, wie alles begann? Also: Bisher hatten die Geschwister Jane und Michael wenig Glück mit ihren Kindermädchen. Daher schreiben sie selbst eine Stellenanzeige – die ihr Vater prompt zerreißt und in den Kamin wirft. Durch einen geheimnisvollen Zufall landet sie in den Händen von Mary Poppins, die kurz darauf vor ihrer Tür steht.

Einer der Wünsche der Kinder an ihre neue Nanny (abgesehen von „rosigen Wangen“) ist, dass sie ihnen „niemals Rizinusöl geben“ darf. Rizinusöl (oder Lebertran in einigen anderen Fassungen der Geschichte) erhielten Kinder früher oft als Medizin. Rizinusöl wirkt abführend, Lebertran versorgt uns mit Vitamin D, und beide sollen unglaublich gesund sein. Aber – und das ist der Punkt – beide schmecken scheußlich, also darf das neue Kindermädchen ihnen diese Medizin auf keinen Fall verabreichen.

Als Erwachsene schlucken wir dagegen gerne eine bittere Medizin, wenn wir uns damit Ungemach – oder Schlimmeres – ersparen. Genauso müssen wir auch unsere Investitionen im Gesundheitssektor sehen. Wir müssen heute langfristig denken und intelligent investieren, um in der Zukunft bessere Gesundheitssysteme zu haben. Volkswirtschaftlich nachhaltig sind Gesundheitsausgaben aber nur, solange die dafür anfallenden sozialen Kosten nicht über dem geschaffenen Wert liegen.

Finanziell und volkswirtschaftlich nachhaltig

Wir sind bereit, viel für das Gesundheitswesen auszugeben, wenn die Menschen dadurch gesund und produktiv bleiben und der Gesellschaft nützlich sein können. Es geht also nicht nur um die finanzielle Rendite.

Volkswirtschaftlich gesehen lassen sich Gesundheitseinrichtungen mit Unternehmen vergleichen, die Dienstleistungen erbringen. Gesundheitsleistungen haben natürlich ihren Preis, bringen aber der Gesellschaft materielle und immaterielle Vorteile. Gleichzeitig sind bei den Kosten und beim Nutzen zwei Seiten zu bedenken: die finanzielle (die sich auf dem Firmenkonto niederschlägt) und die volkswirtschaftliche (die die Allgemeinheit betrifft und daher schwerer zu messen ist).

Bei Gesundheitsinvestitionen prüft das Life-Sciences-Team der EIB beides: die finanzielle und die volkswirtschaftliche Seite. Beiden Analysen ist gemeinsam, dass sie den Nettonutzen eines Projekts ermitteln und dabei das Szenario „mit Investition“ dem Szenario „ohne Investition“ gegenüberstellen. Nun zum Unterschied: Bei der finanziellen Analyse werden Kosten und Nutzen für das Unternehmen verglichen, während die volkswirtschaftliche Analyse Kosten und Nutzen für die Allgemeinheit gegenüberstellt.

Finanzieller und volkswirtschaftlicher Nutzen

Die EIB hat meist mit großen Investitionen im Gesundheitssektor zu tun. Diese lohnen sich oft finanziell nicht, bringen aber der Gesellschaft beträchtliche Vorteile. Von allen Wirtschaftssektoren, welche die EIB fördert, klaffen im Gesundheitswesen die finanzielle und die volkswirtschaftliche Rentabilität wahrscheinlich am weitesten auseinander.

Gesundheitsprojekte erwirtschaften in der Regel nur geringe finanzielle Gewinne. Umso größer ist aber ihr Nutzen, wenn man die geretteten Leben, die geringeren Neuinfektionen und Erkrankungen, die qualitätsadjustierten Lebensjahre (QALY), die rückläufigen Krankenstände und Ähnliches bedenkt. Dieser volkswirtschaftliche Nutzen hat einen erheblichen Geldwert. Leider ist dieser Wert nur schwer zu messen, obwohl nationale und internationale Einrichtungen schon öfter Messgrößen dafür entwickeln wollten.

Der QALY beispielsweise ist eine allgemeine Messgröße für die Belastung durch Krankheit und misst sowohl die Lebensqualität als auch die Anzahl der Lebensjahre. Normalerweise wird er zur volkswirtschaftlichen Beurteilung medizinischer Eingriffe herangezogen. Ein QALY entspricht einem menschlichen Lebensjahr in vollkommener Gesundheit. Um eine typische Messgröße für den Geldwert eines qualitätsadjustierten Lebensjahrs zu veranschaulichen, werfen wir einen Blick auf Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (die auf der „durchschnittlichen Bereitschaft der Bevölkerung“ basieren, für einen bestimmten erwarteten Nutzen zu zahlen). Demnach kostet ein qualitätsadjustiertes Lebensjahr etwa das Ein- bis Dreifache des Pro-Kopf-BIP eines Landes.

Ein weiteres Beispiel ist die Entwicklung von Impfstoffen, die oft hohe Anfangsinvestitionen erfordert (personell und materiell gut ausgestattete medizinische Forschungseinrichtungen und hohe immaterielle Investitionen in Forschungsaktivitäten). Ob sich diese Investitionen in einem vernünftigen Zeitrahmen rentieren, lässt sich am Anfang nicht sagen. Niemand weiß, ob die Käufer des Impfstoffs (meistens staatliche Stellen) den vollen/angemessenen Preis zahlen können, der den Marktgesetzen entsprechen würde. Deshalb wäre es in einem freien Markt nicht effizient, in die Impfstoffentwicklung zu investieren. Dies würde jedoch das Wohlergehen der Gesellschaft klar verschlechtern – es läge ein Marktversagen vor. Die EIB spielt eine wichtige Rolle bei der Behebung solcher Fälle von Marktversagen.

Volkswirtschaftliche Analysen – eine Herausforderung

Wer Gesundheitsprojekte nur unter finanziellen Aspekten prüft, bevorzugt verständlicherweise Projekte, die möglichst lukrativ sind, etwa weil die soziodemografischen Gegebenheiten günstig oder die Krankenkassenregeln vorteilhaft sind. Das Problem dabei: Die Behandlung „weniger rentabler“ Patienten oder Behandlungen, für die es keine private Zusatzversicherung gibt, werden dem Staat überlassen. Es zeigt sich immer wieder, dass die Kräfte des Marktes im Gesundheitssektor versagen und die verfügbaren Mittel nicht effizient verteilt werden.1 Wir können von einem Gesundheitsversorger nicht verlangen, immer „rentabel“ zu sein.

Eine rein finanzielle Analyse reicht also nicht aus, um zu prüfen, ob die EIB für ein Gesundheitsprojekt einen Kredit vergeben kann. Es ist auch eine volkswirtschaftliche Analyse notwendig, um den Nutzen des Projekts für die Allgemeinheit zu ermitteln.

Um der Komplexität dieser Aufgabe gerecht zu werden, verwenden wir bei der EIB eine Multikriterienanalyse. Es handelt sich um eine Checkliste mit quantitativen und qualitativen Indikatoren, die in kein herkömmliches Muster passen, sei es der Nettogegenwartswert oder die volkswirtschaftliche Rentabilität.

Investitionstrends

Warum ist es so wichtig, wie wir unsere Gesundheitsprojekte prüfen? Hauptsächlich deshalb, weil die steigenden Gesundheitskosten einen gewaltigen Druck ausüben. Dafür gibt es vier Hauptgründe:

  1. Bevölkerungswachstum. Die Weltbevölkerung ist von einer Milliarde Menschen im Jahr 1800 auf 7,6 Milliarden im Jahr 2018 gewachsen und nimmt weiter um jährlich rund ein Prozent zu. Mitte 2030 dürfte sich die Weltbevölkerung auf 8,6 Milliarden belaufen, Mitte 2050 auf 9,8 Milliarden und 2100 auf 11,2 Milliarden.
  2. Alterung der Bevölkerung. Offiziellen UN-Angaben zufolge wird sich die Zahl der Menschen über 60 (derzeit weniger als eine Milliarde) bis 2050 mehr als verdoppeln und bis 2100 mehr als verdreifachen. Weltweit wächst die Gruppe der über Sechzigjährigen schneller als alle jüngeren Altersgruppen. Bis 2060 wird die durchschnittliche Lebenserwartung in der EU von 77 Jahren (Daten von 2008) auf 85 für Männer und von 82 auf 89 für Frauen steigen. Aufgrund der besseren Gesundheitsfürsorge leben die Menschen länger – und mehr ältere Menschen brauchen mehr Gesundheitsfürsorge. Die Renten für diese Senioren müssen von der erwerbsfähigen Bevölkerung finanziert werden, die jedoch im Verhältnis schrumpft.
  3. Technischer Fortschritt. Durch Innovationen leben wir länger – und besser –, aber das hat seinen Preis. Unsere Behandlungsmethoden werden wirksamer, weshalb wir bereit sind, mehr Geld dafür auszugeben.
  4. Steigendes Einkommensniveau. Da weniger Menschen in Armut leben, können sich mehr Menschen Gesundheitsdienste leisten.

Wenn wir die Kosten nicht in den Griff bekommen, werden sich die Ausgaben für öffentliche Gesundheitsdienste und Langzeitpflege in den OECD-Ländern bis 2060 mehr als verdoppeln und von 6,2 Prozent des BIP auf 13,9 Prozent steigen.2 Auch mit Kostendämmungsmaßnahmen dürften sich die Ausgaben für diese beiden Bereiche auf 9,5 Prozent des BIP belaufen.

Sollen wir diese bittere Pille wirklich schlucken? Die Kosten mögen gerechtfertigt sein – wenn volkswirtschaftliche Nachhaltigkeit bedeutet, dass lebensverbessernde Gesundheitskosten immer legitim sind, und wenn wir unterstellen, dass sich der Nutzen im BIP niederschlägt. Wenn wir allerdings mit der Lebensqualität zufrieden sind, die uns das derzeitige Gesundheitssystem bietet, und wenn die Gesundheitskosten schneller als das BIP wachsen, werden die Ausgaben volkswirtschaftlich untragbar.

Die EIB verfügt nicht über die Kräfte einer Mary Poppins. Wir können Michael und Jane nicht einfach Rizinusöl geben, das wie Himbeersaft schmeckt. Wir sind auch nicht die Art von Bank, in der Janes und Michaels Vater gearbeitet hat.

Wir können jedoch sehr wohl vorrangig Gesundheitsprojekte finanzieren, die voraussichtlich den größten volkswirtschaftlichen Nutzen für die Allgemeinheit haben – indem wir die direkte und indirekte Wirkung der Projekte analysieren und messen. Unsere Marktmacht ist erheblich: 1997 erhielt die EIB erstmals den Auftrag, Mittel für den Gesundheitssektor bereitzustellen. Seither haben wir fast 30 Milliarden Euro vergeben. Wir haben ganz unterschiedliche Projekte gefördert: von der medizinischen Grundversorgung und Allgemeinkrankenhäusern bis hin zu Universitätskliniken und modernen medizinischen Forschungseinrichtungen, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor. Außerdem können wir Projektträger in der EU dazu bringen, Best Practices anzuwenden. Ist das das „Löffelchen voll Zucker“, das die Medizin weiterbringt? Wollen wir es hoffen!

 

1 - Folland S, Goodman AC, Stano M (2007), The Economics of Health and Health Care, New Jersey, Prentice Hall

2 - De La Maisonneuve, C. and J. Oliveira Martins, 2013, “A projection method for public health and long-term care expenditures”, Economics Department Working Papers No. 1048, OECD, Paris.