Chefingenieurin Ilya de Marotta bringt Ausbau des Panamakanals zum Abschluss
Ein bekannter englischer Spiegelsatz aus dem Jahr 1948 lautet: „A man, a plan, a canal – Panama.“ Heute allerdings liest sich der Satz vorwärts und rückwärts nicht mehr gleich. Die Pläne für den Panamakanal liegen inzwischen in den Händen einer Frau, die eines der weltweit größten Infrastrukturprojekte zum Abschluss bringt. Ihr Markenzeichen: ein rosa Schutzhelm.
Ilya Espino de Marotta ist Vizepräsidentin und Chefingenieurin der Panamakanal-Behörde. 2012 wurde ihr die Leitung des größten Ausbauprojekts für den Kanal seit seiner Einweihung im Jahr 1914 übertragen. Marotta musste sich gegen zahlreiche Skeptiker behaupten, die ihre Fähigkeiten in diesem männerdominierten Beruf anzweifelten. Aber sie hat es geschafft! Die riesigen Schleusen zu beiden Seiten der etwa 80 Kilometer langen Wasserstraße werden am 26. Juni eingeweiht.
„So mancher hat bezweifelt, ob ich die Richtige für diesen Posten bin. Aber ich kann das“, so Marotta. „Mein rosa Schutzhelm soll signalisieren, dass auch eine Frau einer solchen Aufgabe durchaus gewachsen ist.“
Der Kanalausbau kostet 5,2 Milliarden US-Dollar und umfasst den Bau der Schleusen, die Verbreiterung und Vertiefung des alten Kanals und die Ausbaggerung eines neuen 6,3 Kilometer langen Zugangskanals. Damit ist der Panamakanal nun auch für die größten Schiffe der Welt passierbar, die bis zu 14 000 Container laden können. Das Ausbauprojekt ist nicht nur für Panama von entscheidender Bedeutung, sondern auch für den Welthandel. Deshalb hat sich die Europäische Investitionsbank mit einem Darlehen von 500 Millionen US-Dollar an der Finanzierung beteiligt.
Vom Cousteau-Fan zur Panamakanal-Ingenieurin
Schon als Kind begeisterte sich Marotta fürs Tauchen und für die Arbeit des französischen Meeresforschers und Dokumentarfilmers Jacques Cousteau. „Ich liebe das Meer“, schwärmt sie. „Das ist mein Leben.“
Später studierte sie zunächst Schiffbau an der Texas A&M University und erwarb dann einen Master-Abschluss in Wirtschaftsingenieurwesen an der Universidad Católica Santa María La Antigua in Panama.
Den ersten Job fand sie in der Reparaturwerft des Kanals, in der die Wartungsarbeiten an allen schwimmenden Geräten wie Schleppern, Barkassen, Schwimmbaggern und -kranen sowie Lastkähnen durchgeführt werden. Inzwischen arbeitet sie seit fast 30 Jahren für die Panamakanal-Behörde, und seit 2002 ist sie am Ausbauprojekt beteiligt. 2007 wurde sie mit der Ressourcen- und Projektsteuerung betraut, und seit 2012 leitet sie das gesamte Projekt.
„Ihr Werdegang hat mich inspiriert“, erklärt die belgische Hafenbauingenieurin Inge Vermeersch, die das Panama-Projekt für die EIB beobachtet. „Es ist immer noch ungewöhnlich, dass eine Ingenieurin mit einem so riesigen Infrastrukturprojekt betraut wird.“
Ein Monat der großen Schleusen
Mit der Eröffnung der Panamakanal-Schleusen geht für die EIB ein Monat der großen Meeresinfrastrukturvorhaben zu Ende. Anfang Juni wurde in der belgischen Stadt Antwerpen die Kieldrecht-Schleuse in Betrieb genommen, die die Berendrecht-Schleuse am gegenüberliegenden Ufer der Schelde als größte Schleuse der Welt abgelöst hat. An diesem Projekt hat sich die EIB mit einem Darlehen von 160,5 Millionen Euro beteiligt.
Für die neuen Schleusen des Panamakanals stand die Berendrecht-Schleuse Pate. Ingenieure aus Europa – unter anderem von dem belgischen Unternehmen, das hinter der Konstruktion in Antwerpen steht – spielen eine wichtige Rolle bei dem Projekt. Während jedoch die Berendrecht-Schleuse Schiffe vor den gezeitenbedingten Wasserstandunterschieden von sechs Metern in der Schelde schützen soll, müssen die Panamakanal-Schleusen Schiffe auf der Passage vom Atlantik zum Pazifik 26 Meter heben.
Panamakanal-Ingenieurin inspiriert andere Frauen
Die EIB hat den Finanzierungsvertrag für den Ausbau des Panamakanals 2008 unterzeichnet. An dem Projekt beteiligen sich noch mehrere andere internationale Finanzierungsinstitutionen:
- Inter-American Development Bank
- International Finance Corp.
- Japan Bank for International Cooperation
- Corporacion Andina de Fomento
EIB-Kreditreferentin Susan Antz, die an diesem Projekt mitgewirkt hat, merkt an, dass diese internationalen Finanzierungsinstitutionen bei den Verhandlungen durchweg von Frauen vertreten wurden. „Da hat es gut gepasst, dass der Chefingenieur auch weiblich ist“, kommentiert sie. Übrigens bestand das gesamte Team der EIB, das an diesem Vorhaben mitwirkte und den Projektfortschritt beobachtete, ausschließlich aus Frauen.
Weitere Aufgaben jenseits der Wasserstraße
Ihre Arbeit am Kanal öffnete Marotta auch die Tür zu anderen männerdominierten Bereichen, in denen sie sich bewies. In Panama liegen alte US-Militärbasen brach, auf denen große Mengen an Sprengstoffen vergraben liegen. Damit waren in Kanalnähe viele Probleme verbunden. Unter anderem musste diese Militärausrüstung entfernt werden, um die Zugangskanäle ausreichend verbreitern zu können. Ganze 150 Millionen Kubikmeter Erde wurden dafür abgeräumt.
Nun sollen auf dem sanierten Gelände Unternehmen angesiedelt werden, die mit dem Kanalbetrieb in Verbindung stehen. Marotta erklärt allerdings, die Idee dafür stamme nicht von ihr, sondern von ihrem Ehemann Peter Marotta, Kapitän eines Kanalbaggers.
Immer mit der Bibel in der Hand
Während sie das komplexe Kanalprojekt voranbrachte, hatte Marotta im Privatleben mit großen Problemen zu kämpfen, die selbst die engagiertesten Profis aus der Bahn werfen könnten. 2010 musste ihr Sohn wegen Knochenkrebs behandelt werden. Sie verbrachte einen Großteil des Jahres bei ihm im Krankenhaus in New York, wo auch ihr Ehemann wegen Prostatakrebs behandelt wurde. Jeden Monat flog sie für eine Woche nach Panama, um die Arbeiten am Kanal zu leiten.
„Es kam damals wirklich knüppeldick“, erinnert sie sich. „Aber ich hatte die Bibel immer dabei. Gott hat mir geholfen, und am Ende war es doch noch ein gutes Jahr.“ Ihr Sohn und ihr Ehemann sind nun beide geheilt. Peter Marotta ist nach 42 Jahren Arbeit am Kanal vor einem Jahr in Rente gegangen.
Vorbild mit Führungsqualitäten
All das hat Marotta zu einem großen Vorbild gemacht. „Ich bin sehr stolz darauf, Frauen von meiner Karriere zu erzählen“, sagt sie. „Ich habe Führungsqualitäten. Und ich bin ziemlich demokratisch. Ich bringe Menschen dazu zusammenzuarbeiten.“
Auch wenn schon die ersten Schiffe durch die neuen Schleusen gleiten – Marottas Arbeit am Kanal geht weiter. Auf der Atlantik-Seite leitet sie den Bau einer Brücke mit einer Hauptspannweite von 530 Metern. Der rosa Schutzhelm wird noch eine ganze Zeit über dem blauen Wasser des Kanals zu sehen sein.