Der EU-Gipfel im Februar muss dringend eine europäische Antwort auf die US-Subventionspakete finden, fordert Werner Hoyer.

Europa steht angesichts von Klimakrise, Krieg und Energieunsicherheit vor tiefgreifenden Veränderungen seiner Industrie. Stark von Öl und Gas abhängige Branchen werden einen schweren Stand haben. Aber auch grüne und technologisch innovative Branchen, die vor Beginn des Ukraine-Krieges wie sichere Gewinner der europäischen Klimapolitik aussahen, sind jüngst unter Druck geraten – aus unerwarteter Richtung: den USA.

Zwei Subventionspakete der Regierung von US-Präsident Joe Biden bedrohen Europas Wettbewerbsfähigkeit: der Inflation Reduction Act, das mit 375 Milliarden Dollar bislang umfangreichste Investitionspaket der Vereinigten Staaten für den Klimaschutz in Form von Zuschüssen, Steuergutschriften und Darlehen, sowie der CHIPS and Science Act, mit weiteren 280 Milliarden Dollar für die Förderung der Halbleiter-Industrie.

So wünschenswert das massive Vorgehen der USA gegen den Klimawandel auch sein mag, so schwierig ist es für Europa, dass nur US-amerikanische Vorhaben in den Genuss der großzügigen Förderung kommen sollen. Auf unserem Kontinent könnte eine Abwanderung gerade jener innovativen Unternehmen einsetzen, die im Zentrum der EU-Klimastrategie stehen. Der schwedische Batterieproduzent Northvolt etwa hat bereits angekündet, seine in Deutschland geplanten Investitionen würden sich wohl verzögern, weil die Expansion in die USA nun Vorrang habe. Und Northvolt ist kein Einzelfall.  

Wenn nun die richtigen Entscheidungen getroffen werden, können wir die Energiekrise als historische Chance nutzen, die grüne Energiewende massiv zu beschleunigen. Neben kürzeren Genehmigungsprozessen und größeren Entwicklungs- und Planungskapazitäten brauchen wir dazu auch das notwendige Kapital, um die Investitionen zu realisieren. Allerdings haben die gestiegenen Energiekosten den Investitionsspielraum vieler Unternehmen und Staaten massiv eingeschränkt.

Deshalb muss der EU-Gipfel am 9./10. Februar dringend eine europäische Antwort auf die US-Subventionspakete finden, und zwar in Form einer Investitionsoffensive. Ja, es hat  bereits große Investitionspakete gegeben, angefangen vom Juncker-Plan über den Wiederaufbaufonds RFF, den Europäischen Garantiefonds EGF bis hin zum neuen InvestEU-Programm. Hunderte Milliarden Euro kamen so bereits der EU-Wirtschaft zugute. Aber: All diese Programme, die vorrangig dauerhafte Schäden durch Finanzkrise, Eurokrise und Corona-Krise verhindert haben, werden nicht ausreichen, künftige strukturelle Investitionslücken zu schließen: Grüne Transformation und Digitalisierung der Wirtschaft erfordern eine innovationsfreundliche, langfristig angelegte Investitionsoffensive.

Denn so groß Europas Investitionen im Vergleich zu den ersten 20 Jahren dieses Jahrhunderts auch sein mögen: Das europäische Niveau produktiver Investitionen bleibt nach wie vor hinter dem Level der USA zurück – seit 2010 um jährlich zwei Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts, wie Daten der EU-Kommission zeigen. Europas Klima-Investitionen sind in diesem Jahrzehnt zwar höher als im letzten. Die Lücke zum Bedarf des EU-Klimapakets „Fit for 55“ aber beträgt immer noch 356 Milliarden Euro – pro Jahr. Hinzu kommt, dass die Innovationsneigung von US-Unternehmen seit 2020 steigt, die europäischer Unternehmen jedoch sinkt.

Es ist offensichtlich, dass öffentliche Mittel allein nicht ausreichen werden, um die industrielle Transformation voranzutreiben. Darüber hinaus sollten wir uns hüten, in einen Subventionswettlauf mit den USA zu treten. Die Lösung des Problems liegt darin, durch öffentliche Kredite und moderne Finanzinstrumente gezielt privates Kapital zu mobilisieren. Die Europäische Investitionsbank hat bewiesen, wie auf diesem Weg innovative Projekte angeschoben werden können – sei es die Batterieentwicklung von Northvolt, die Covid- Impfstoffentwicklung von Biontech oder der massive Ausbau von Offshore Windparks in der Nordsee.

Während bei reinen Subventionen die Mittel für die öffentliche Hand unwiederbringlich verloren sind, fließen bei Krediten und Finanzinstrumenten im Fall von erfolgreichen Projekten die Gelder wieder zurück und können erneut eingesetzt werden. Mit anderen Worten: Erfolge in der Arzneimittelforschung können den nächsten Windpark finanzieren und umgekehrt.

Ich halte daher den Vorschlag von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für sinnvoll, dass die Europäer die industrielle Erneuerung mit einer Technologie-Offensive für die eigene Industrie vorantreiben.  Ob man einen solchen Fonds über den EU-Haushalt oder über die Mitgliedstaaten finanziert, müssen die EU-Mitgliedstaaten im Rat entscheiden. Uns als Gemeinschaft mittelgroßer und kleiner Staaten sollte aber klar sein, dass wir alle großen Aufgaben besser als Europäer gemeinsam statt mit nationalen Alleingängen bewältigen können. Das gilt besonders in Zeiten von globalem Wettbewerb, Krieg und Klimakrise.