Koray Alper, Francesco Cimini, Fotios Klantzis, Atanas Kolev, Rozália Pál, Jochen Schanz und Annamaria Tueske

Am 27. und 28. Februar 2023 fand in Luxemburg das Forum der EIB-Gruppe statt. Zwei Tage lang stand die Europäische Investitionsbank-Gruppe im Mittelpunkt eines Politikdialogs über Wege, um den digitalen und grünen Wandel voranzubringen. Führungsspitzen nationaler Regierungen und der Europäischen Kommission, Zentralbankgouverneurinnen und -gouverneure sowie Verantwortliche aus dem Finanzsektor, Wirtschaft und Wissenschaft diskutierten, wie wir uns an eine Welt im Wandel anpassen können.

Den Hintergrund für die Debatten lieferte der neue Investitionsbericht 2022/2023 der EIB: Resilienz und Neustart in EuropaDebora Revoltella (Chefvolkswirtin, EIB) erklärte bei seiner Vorstellung, wie eine Abfolge von Krisen die europäische Wirtschaft erschüttert hat. Der so entstandene Druck könnte wichtige Investitionen bremsen, mit denen wir langfristige Strukturveränderungen anpacken müssen – etwa die grüne und digitale Wende. Europas Zukunft hängt davon ab, ob es sich im internationalen Wettbewerb und als Innovationsführer behaupten kann, vor allem bei strategischen Technologien für die Klimawende. Wenn es ums Investieren geht, liegt Europa deutlich hinter seinen globalen Peers. Diese Lücken müssen wir dringend schließen, um fit zu werden für eine Welt im Wandel.

Mehr Tempo bei Investitionen

Die hochrangig besetzte Debatte konzentrierte sich auf die Frage, wie das Investitionsumfeld aussehen sollte. Pablo Hernández de Cos (Gouverneur der spanischen Zentralbank) präsentierte einen Drei-Säulen-Plan, um die aktuelle Krise zu meistern. Makrostabilität bildet die erste Säule. Dazu gehören die Preisstabilität und die Stabilität der öffentlichen Finanzen. Die zweite Säule betrifft die produktiven Investitionen in nationalen Haushaltsplänen. Sie sind wichtig, um das Produktionswachstum in Gang zu halten und um bei der grünen und digitalen Wende auf die Zielgerade zu kommen. Mit der dritten Säule richtet de Cos den Blick auf die Kapitalmärkte. Gut funktionierende Kapitalmärkte in der gesamten Europäischen Union sind das A und O, so der Zentralbankgouverneur, um innovative Technologien zu fördern. Wir müssen die Arbeit an der Kapitalmarktunion und der Bankenunion abschließen, damit Kapital europaweit dorthin fließen kann, wo es am produktivsten ist.

Paweł Borys (Präsident, Polski Fundusz Rozwoju) plädierte dafür, Investitionen in Verkehrsprojekte und die digitale Vernetzung Vorfahrt zu geben, um den Zusammenhalt in der EU zu stärken. Sein Argument: Von diesen Investitionen können starke Impulse für die Wertschöpfung der Volkswirtschaften in Mittel- und Osteuropa und den Verbleib einer starken Humankapitalbasis ausgehen.

Yuriko Backes (Finanzministerin, Luxemburg) betonte, dass Europa seine Krisen letztlich immer wieder gemeinsam bewältigt hat, auch wenn einzelne Länder anfangs protektionistischen Instinkten folgten.

Fit für eine Welt im Wandel

Xavier Bettel (Premierminister, Luxemburg) trat für eine EU ein, die weiter offen für den Welthandel bleibt, aber ihre Abhängigkeit von wichtigen Vorleistungen und Technologien verringern sollte. Dazu bedarf es neuer Regeln, um Europas strategische Autonomie zu stärken.

Odile Renaud-Basso (Präsidentin, Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung) zufolge verlangsamt sich das Wachstum des Welthandels zwar, aber es gibt derzeit kaum Anzeichen für eine Deglobalisierung. Nicht mithilfe inländischer Lieferanten, sondern mit Partnern aus anderen Ländern haben die Unternehmen ihre Lieferketten angepasst und neu organisiert. Jetzt sorgt allerdings die Energiekrise dafür, dass die Dekarbonisierung in allen Teilen der Welt in den Mittelpunkt rückt. Multilaterale Entwicklungsinstitutionen sollten diesen Übergang an vorderster Front begleiten. Mit entsprechender Hilfe könnte Afrika künftig der große Energieerzeuger und -exporteur werden.

Die EU muss sich an die Spitze setzen, weltweit die Dekarbonisierung fördern und Partnerländern helfen, diese Chance zu ergreifen, so Jutta Urpilainen (EU-Kommissarin für internationale Partnerschaften). Aus ihrer Sicht ist es die Aufgabe der EU, dem Globalen Süden konkrete Angebote zu machen, vor allem im Bereich weicher Infrastruktur wie Bildung, Gesundheit und Forschung. Die vor gut einem Jahr gestartete Global-Gateway-Strategie erweist sich mit mittlerweile über 80 Leuchtturmprojekten als äußerst wertvoll. Allerdings müssen die Länder des Globalen Südens wirklich mit von der Partie sein und Verantwortung für die Projekte übernehmen, damit die Erfolgsformel aufgeht. Das bekräftigte auch Oulimata Sarr (Ministerin für Wirtschaft, Planung und Kooperation, Senegal). Eine Just-Transition-Partnerschaft, so die Ministerin, wäre für Senegal ein ausgezeichnetes Angebot.

Investitionen in Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit

Der aktuelle Investitionsbericht der EIB zeigt, dass die EU bei den Unternehmensinvestitionen weit abgeschlagen hinter den USA liegt. Auch bei Innovationen attestiert er europäischen Unternehmen einen erheblichen Rückstand. Zu all dem kommt hinzu, dass die Energiekosten in Europa bedingt durch die Energiekrise deutlich über das US-Niveau geklettert sind. Um die globale Wettbewerbsfähigkeit Europas zu verbessern, brauchen wir einen neuen Fokus – auf alles, was Unternehmensinvestitionen fördert und Firmen hilft, innovativ zu sein und zu wachsen.

Gezielte, zeitlich befristete staatliche Beihilfen sind zwar Teil der Lösung, aber wir brauchen neue Instrumente, die private Investitionen loseisen, sagte Margrethe Vestager (Exekutiv-Vizepräsidentin der Europäischen Kommission für ein Europa für das digitale Zeitalter und Kommissarin für Wettbewerb). Für die Wettbewerbsfähigkeit der EU ist ein funktionierender Binnenmarkt von entscheidender Bedeutung, und neue Instrumente dürften hier gute Dienste leisten. Weil die EIB über reichlich Erfahrung in der Umsetzung von Finanzierungsinstrumenten verfügt, zählt die Europäische Kommission fest auf ihre Zusammenarbeit. Eine weitere Priorität sieht Vestager darin, die Arbeitskräfte der EU weiterzubilden oder neu zu qualifizieren.

Jeromin Zettelmeyer (Direktor, Bruegel) verwies ebenfalls auf die Bedeutung des EU-Binnenmarkts. Zielgerichtete Finanzhilfen gehören aus seiner Sicht zwar durchaus zum Instrumentarium, jedoch nicht als Hauptanreiz. Hohe Energiepreise und Sorgen um die Energiesicherheit haben bei Energieeffizienz und Erneuerbaren ordentlich Tempo gemacht. Finanzhilfen sollten nicht eingesetzt werden, um privat versicherbare Risiken zu decken, sondern um Unsicherheit zu reduzieren. Im Sinne einer optimalen Effizienz bietet sich eine Zuteilung auf EU-Ebene und nicht auf Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten an.

Pier Carlo Padoan (Chairman, Unicredit) fügte hinzu, dass der Erfolg der digitalen und grünen Wende vor allem von Strukturreformen und einer Politikkoordinierung auf EU-Ebene abhängt.

Nach André Küüsvek (Präsident und CEO, Nordic Investment Bank) würde die Investitionslücke zwischen Europa und den USA schon wesentlich kleiner, wenn unser Finanzsystem stärker diversifiziert wäre und wir Forschung, Entwicklung und Innovation gezielter bespielen würden.

Energiesicherheit und grüne Wende als Motivation für mehr Europa

Die jüngste Energiekrise ist laut Laura Piovesan (Direktorin mit Generalvollmacht, Direktion Projekte, EIB) eine Chance, um bei der grünen Wende vorzupreschen, aber auch um die Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu stärken. Allerdings stehen dem enormen Investitionsbedarf schier unüberwindbare Hürden entgegen, etwa die Dauer von Planungs-, Ausschreibungs- und Genehmigungsverfahren. Ein weiterer Bremsklotz ist die Fragmentierung des Energiemarkts. Seine Konsolidierung könnte Innovationen beschleunigen und die Kosten für grüne Technologien drücken.

Wie wichtig ein Energiebinnenmarkt für die EU ist, vor allem bei Strom, kann nach Arina Freitag (CFO, TenneT) gar nicht genug betont werden. Stromabnahmeverträge, die gezielte Förderung bestimmter Technologien und andere Maßnahmen, die die Unsicherheit aus den Strommärkten herausnehmen, verbessern die Bankfähigkeit von Projekten und ziehen mehr Investitionen an. Der EIB kommt dabei eine wichtige Rolle zu – bei der Kreditvergabe und beim Aufbau des grünen Anleihemarkts.

Die Europäische Kommission und die EU-Gesetzgeber sind dabei, die Hindernisse der grünen Wende auszuräumen, erinnerte Kurt Vandenberghe (Generaldirektor, GD Klimapolitik, Europäische Kommission). Sie schaffen aktuell den entsprechenden Regelungs- und Finanzierungsrahmen. Auch der Rest der Welt schließt mit großen Schritten auf. Wenn mehr Mittel verfügbar sind, dürfte es leichter werden, grüne Investitionen vorzuziehen – und die EIB verfügt über das nötige Instrumentarium dafür. All das hängt jedoch davon ab, ob es gelingt, Genehmigungsverfahren zu optimieren und ob attraktive Finanzierungen vorhersehbar, schnell und leicht zur Verfügung stehen.

Die Energiekrise und die grüne Wende sorgen für Wettbewerbsdruck, den die europäische Wirtschaft durchaus spürt. Dimitri Papalexopoulos (Chairman, TITAN Cement Group) zufolge sind Teile der europäischen Industrie in eine existenzielle Krise gerutscht. Möglicherweise bleiben die Energiekosten in Europa dauerhaft höher als bei den globalen Wettbewerbern. Die Ausweitung des Emissionshandelssystems der EU auf alle Wirtschaftssektoren dürfte diese Situation verschärfen, weil ein CO2-Grenzausgleichssystem weiterhin umstritten und schwer umzusetzen bleibt. Zusätzlich beeinträchtigt der amerikanische Inflation Reduction Act den Industriestandort Europa. Um diese Krise zu meistern, muss die Politik vom Kontrollieren zum Ermöglichen kommen, meinte Papalexopoulos. In diesem Punkt könnte die EU von den USA lernen. Daneben gibt es einige Lösungen, die zusätzlicher politischer Anreize bedürfen, jedoch allesamt ohne Weiteres verfügbar sind – zum Beispiel mehr Energieeffizienz, die Nutzung vorhandener Digitaltechnologien oder die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Die Industrie muss ihren Beitrag zur grünen Wende leisten, wobei gleichwohl auch Verbraucherinnen und Verbraucher mehr Ansporn brauchen, damit sie zu einem echten Treiber der grünen Wende werden. Und die EU sollte ihre wirtschaftliche Bedeutung nutzen, um eine markigere Handelspolitik einzuschlagen, die den freien und fairen Handel verteidigt und ihre Handelspartner gleichzeitig auf die grüne Wende einschwört.

Global Gateway

Damit eine gerechte grüne Wende gelingt, muss die EU Entwicklungsländer, wo der Investitionsbedarf hoch und Mittel knapp und teuer sind, mitnehmen und fördern. Koen Doens (Generaldirektor, GD Internationale Partnerschaften, Europäische Kommission) sieht die Global-Gateway-Initiative als zentrales Instrument, um dieses Problem anzugehen. Ihre fünf Hauptbereiche sind Digitales, Klima und Energie, Verkehr, Gesundheit sowie Bildung und Forschung. Um eine maximale Wirkung zu erzielen, müssen alle europäischen Stakeholder von Entwicklungsfinanzierungsinstituten über Exportkreditagenturen bis zu den Regierungen unter Global Gateway zusammengebracht werden. Das Team Europa basiert auf Koordination, und Rodrigo Madrazo (CEO, EDFI Management Company) zitierte die Mutual-Reliance-Initiative von EIB, ADF und KfW als gelungenes Beispiel für diese Koordination. Sie poolt Ressourcen und Wissen aller Beteiligten und vereinfacht die Zusammenarbeit für Partner in den Entwicklungsländern.

Als zweites wichtiges Element kommt die Risikoübernahme hinzu, um private Investitionen anzuschieben.

Markus Berndt (stellvertretender geschäftsführender Direktor, EIB Global) ergänzte, dass die Global-Gateway-Initiative zu einer Zeit kommt, da ein hoher Investitionsbedarf auf fehlendes Fremdkapital trifft. Weil hoch verschuldete Staaten die Investitionen der öffentlichen Hand kaum hochfahren können, sind internationale Finanzierungsinstitutionen gefragt. Die EIB Global fördert die fünf Prioritäten von Global Gateway und wird als Partner geschätzt – nicht nur wegen ihrer Kredite, sondern auch, weil sie vertrauenswürdig ist und sich auf sozial, ökologisch und wirtschaftlich tragfähige Projekte konzentriert.

Die Rolle von Finanzmitteln für die Skalierung grüner Innovationen

Für eine erfolgreiche ökologische Wende sind Investitionen in grüne Technologien entscheidend, so Jean-Christophe Laloux (Direktor mit Generalvollmacht, Direktion Finanzierungsoperationen, EIB). Solche Technologien entstehen häufig in Start-ups oder innovativen Firmen in der Scale-up-Phase. Die EU schneidet gut ab bei Hochschulforschung, technologischer Innovation, Seed Funding und Early-Stage Funding. Ein ganz anderes Bild ergibt sich bei Scale-up-Finanzierungen und Unterstützung für Unternehmen, die den Aktienmarkt anzapfen müssen. Und das, obwohl mit der Aufbau- und Resilienzfazilität oder den Europäischen Struktur- und Investitionsfonds durchaus Mittel vorhanden sind. Selbst wenn sie die Gewinnschwelle erreicht haben, bleibt es für junge europäische Unternehmen schwierig, ihr Wachstum zu stemmen, erklärte Karen May (CFO, XOcean). Christian Rood (CEO, LeydenJar) ergänzte, dass Wachstumsfinanzierungen in Europa schwieriger und nicht im gleichen Umfang wie in den USA zu bekommen sind. Zudem brauchen die Unternehmen nicht nur öffentliche Finanzierungsinstrumente, sondern es sind auch öffentliche Investitionen in ermöglichende Infrastruktur nötig.

Der Inflation Reduction Act

Europa sollte den Inflation Reduction Act, der mit seiner Einfachheit und Verfügbarkeit besticht, als Modell für eigene Förderprogramme nutzen, so Rood. Weil er dafür sorgt, dass die Konkurrenz in den USA Finanzierungen und Subventionen erhält, wird er als Gefahr wahrgenommen. Aber eigentlich ist er auch eine Chance, da viele Kunden aus den USA kommen und Firmen dorthin umziehen können, um von den Anreizen zu profitieren – mit positiven Spillover-Effekten für ihre Niederlassungen in Europa. Der Inflation Reduction Act zeigt der europäischen Politik, was Tempo, Klarheit und Effizienz wirklich heißt, so Benoît Lemaignan (CEO, Verkor). Jetzt, wo die Wettbewerbsfähigkeit auf der europäischen Agenda wieder ganz oben steht, sollte die EU laut Ann Mettler (Vice President, Europe Breakthrough Energy) ihre solide Position im internationalen Handel nutzen, um eine transatlantische Allianz für grüne Technologien zu schmieden.