Ein französisches Unternehmen züchtet Pflanzen, die trotz Klimawandel mit weniger Pestiziden und Dünger auskommen

Ein EU-weites Verbot von Neonicotinoiden schien 2018 eine gute Idee – auch wenn sie Zuckerrüben vor Krankheiten schützen, die durch Blattläuse verbreitet werden. Aber die Insektizide hatten sich als Gefahr für Bienen erwiesen, und der Beschluss der Europäischen Union fiel unter ihre Kampagne für eine nachhaltigere Landwirtschaft.

Auf einigen Zuckerrübenfeldern konnte sich durch diesen Schritt jedoch die sogenannte viröse Vergilbung ausbreiten. Die Ernte eines der weltweit größten Zuckerhersteller brach ein, und eine ganze Branche geriet in Gefahr. Frankreich verschob das Verbot deshalb bis 2023.

Viel Zeit ist das nicht. Eine neue Sorte zu entwickeln, dauert normalerweise sieben bis zehn Jahre. Der Saatgut- und Pflanzenzüchter Florimond Desprez im Norden Frankreichs stellt sich der Aufgabe dennoch. Seit fast 200 Jahren befasst sich das Familienunternehmen mit den süßen Rüben. Und das kommt ihm jetzt zugute: Es will eine Sorte züchten, die gegen Vergilbung resistent ist und ihre natürliche Widerstandsfähigkeit gegen Rizomania und andere Krankheiten bewahrt.

Das Rennen der Züchter hat auch Auswirkungen auf andere Pflanzen und Bereiche der Landwirtschaft.

„Wenn wir eine nachhaltigere Landwirtschaft wollen, müssen wir mit weniger Stickstoffdünger auskommen, weil der einen erheblichen CO2-Fußabdruck hat, und auch mit weniger Pestiziden“, erklärt Marin Desprez, der für die Strategie der Gruppe verantwortlich ist. „Denn bei einer von Natur aus resistenten Pflanzensorte brauchen wir keine Chemikalien, um sie zu schützen.“

Der Klimawandel, die Verkleinerung des ökologischen Fußabdrucks und eine wachsende Weltbevölkerung, die es zu ernähren gilt: All das setzt die Landwirtschaft unter Druck. Florimond Desprez ist ein relativ kleiner Betrieb in einer von Großkonzernen dominierten Branche. Aber auch solche Unternehmen spielen eine wichtige Rolle für die Zucht von Sorten, die weniger Ressourcen oder chemische Behandlungen benötigen und trotzdem genügend Nahrung unter immer schwierigeren Bedingungen produzieren. Einer Studie zufolge hätte Europa in den vergangenen 20 Jahren ohne Neuzüchtungen 20 Prozent weniger Ackerkulturen produziert. Die Landwirtschaft hätte 21,6 Millionen Hektar mehr Land verbraucht und vier Milliarden Tonnen mehr Kohlenstoff ausgestoßen.

Die Europäische Investitionsbank fördert die hauptsächlich in Frankreich und Belgien angesiedelte Forschung und Entwicklung von Florimond Desprez mit 40 Millionen Euro. Der Kredit wurde im April unterzeichnet und ist durch eine Garantie des Europäischen Fonds für strategische Investitionen besichert, der jetzt Teil des InvestEU-Fonds ist.

„Der Sektor braucht zahlreiche Investitionen, und Kredite sind vor allem für kleinere Akteure schwer zu bekommen“, so Zeina Chebli, die bei der Europäischen Investitionsbank an der Finanzierung mitwirkte. „Große Unternehmen können die Kapitalmärkte anzapfen, aber kleinere Unternehmen sind auf Unterstützung angewiesen.“



Pflanzenzucht aus Tradition

Florimond Desprez ist seit 1830 das, was man ein Familienunternehmen nennt. Es wurde vor fünf Generationen in Cappelle-en-Pévèle gegründet. Der Betrieb südlich von Lille profitierte von einem Boom der Zuckerrübenindustrie, den letztlich Napoleon angefacht hatte. Großbritannien blockierte in den napoleonischen Kriegen nämlich Frankreichs Handel mit der Karibik, sodass das Land praktisch von Rohrzuckerimporten abgeschnitten war.

„Die Desprez’ gehören zur Zuckerrübenindustrie, seit diese vor Generationen entstand. Ihre Unternehmensgeschichte ist beeindruckend“, weiß Sébastien Collot, Senior Engineer im Team der EIB für Bioökonomie. „Mit dem Kredit kann die Firma in ihre Wettbewerbsfähigkeit investieren, und wir helfen der Landwirtschaft, ökologische Lösungen zu finden, etwa für den Klimawandel. Gleichzeitig unterstützen wir ländliche Gebiete, zumal in Nordfrankreich.“

Über die Jahre hat sich der Betrieb mit Wurzelzichorien, Kartoffeln und Weizen breiter aufgestellt. Die Desprez’ züchteten von Anfang an Pflanzen, um dann das Saatgut der neuen Sorten zu verkaufen. Die Idee ist relativ einfach: Eine Weizensorte, aus der sich ein leckeres Brot mit krosser Kruste backen lässt, wird mit einer anderen Sorte gekreuzt, die besonders robust oder krankheitsresistent ist. Durch die Bestäubung per Hand entsteht eine hybride Pflanze. Ihre Nachkommen werden gehegt und gepflegt, um zu sehen, ob sich die gewünschten Merkmale – in unserem Fall leckeres Brot und Resistenz gegen verschiedene Erreger – ausprägen.

Bei den Zuckerrüben endete die Suche nach neuen, vergilbungsresistenten Sorten jedoch in den 1990er-Jahren, als die Neonicotinoide auf den Markt kamen. „Die Rübenanbauer sagten uns ‚Mit diesem Insektizid brauchen wir keine Sorten mehr, die krankheitsresistent oder -tolerant sind‘, und wir konzentrierten uns auf andere Bereiche“, erinnert sich Desprez.

Heute durchforstet Florimond Desprez seine Pflanzen-Genbank wieder nach wilden Rübensorten, aber auch solchen von vor 20 Jahren, die eine Virusresistenz aufwiesen. Damit will das Unternehmen neue Sorten züchten, die gegen die Krankheiten von heute tolerant sind. Eine weitere Anforderung: Ausreichend Ernteerträge, damit es für die Zuckerrübenanbauer am Ende auch aufgeht.

„Das ist die Krux“, weiß Desprez.

>@Florimond Desprez
© Florimond Desprez

Landwirtschaft unter Druck

In den vergangenen 50 Jahren schaffte es die Landwirtschaft noch, mit dem raschen Bevölkerungswachstum Schritt zu halten. Für die Zukunft brauchen wir aber dringend Innovationen. „Da kommt Verschiedenes zusammen: knappe Flächen, mehr Menschen und immer schwierigere Klimabedingungen“, so Sébastien Collot von der Europäischen Investitionsbank. „Daher ist die Forschung so wichtig.“

Forschung ist auch mit Blick auf Schädlinge und Krankheiten unverzichtbar, die normalerweise in Nordeuropa gar nicht vorkommen. Bauern in der Champagne entdeckten letztes Jahr Schwarzrostbefall im Weizen – eine Krankheit, die 20 oder 30 Jahre lang nur in Marokko bekannt war. Insekten, die früher im Winter starben, überleben plötzlich und vermehren sich – auch dank des Klimawandels.

„Die Auswirkungen auf die Ernteerträge sind erheblich“, gibt Desprez zu bedenken. „Aber auch mit Blick auf neue Krankheiten sind sie ein Trauma für Landwirte. Und sie gefährden unsere Ernährungssicherheit.“

Extremes, für die Landwirtschaft schädliches Wetter wie die Hitzewellen im vergangenen Sommer sorgen dafür, dass bestimmte Kulturen plötzlich an anderen Standorten angebaut werden können. Aus Weizensorten, die eigentlich für Marokko bestimmt waren, sollen durch Kreuzungen jetzt Sorten für Nordfrankreich entstehen. Sojabohnen, die bis vor Kurzem noch überwiegend in Südfrankreich vorkamen, findet man inzwischen auch im süddeutschen Raum. „Wo in Bayern früher Weizenfelder den Wegrand säumten, werden wir künftig Soja sehen“, glaubt Desprez.

>@Florimond Desprez
© Florimond Desprez

„Wo in Bayern früher Weizenfelder den Wegrand säumten, werden wir künftig Soja sehen“, glaubt Desprez.

Um zu testen, ob neue Sorten unter den schwierigen Bedingungen wachsen, baut Florimond Desprez mehrere Parzellen an. Drohnen mit einer Hyperspektralkamera erkunden dann, wie die Pflanzen auf Hitze und andere Arten von Stress reagieren.

Der Blick in die Kristallkugel

Der Erfolg von Florimond Desprez hängt davon ab, ob das Unternehmen die Umweltbedingungen in acht bis zehn Jahren – am Ende des Forschungszyklus – richtig antizipiert. Stattliche 15 Prozent seines Umsatzes fließen jedes Jahr Forschung und Entwicklung.

Um Zeit zu gewinnen, forscht Florimond Desprez parallel an weiteren Orten, etwa im ungarischen Füzesabony und im argentinischen Balcarce. Die Testkonditionen in anderen Teilen der Welt sind wichtig, weil 61 Prozent seiner Umsatzerlöse aus dem Export stammen.

Mit einem Forschungszentrum auf der Südhalbkugel gewinnt Florimond Desprez zudem wertvolle Zeit. „In Frankreich können wir nur einmal im Jahr auspflanzen. Aber nichts hindert uns daran, die Samen anschließend nach Argentinien zu schicken – oder umgekehrt“, bringt Desprez es auf den Punkt. „Auf diese Weise gewinnen wir beim Weizen zwei Jahre im Forschungszyklus.“

Auf der Landwirtschaft lastet ein extremer Druck, da können schon Zukunftsängste aufkommen. Aber ein stärkerer Fokus auf Innovation und die Entwicklung neuer Sorten eröffnet riesige Chancen, glaubt Desprez. „Das, was wir als Züchter tun, hat einen echten gesellschaftlichen Nutzen. Unsere Arbeit steht letztlich für eine nachhaltigere Landwirtschaft und mehr Ernährungsautonomie in Europa.“

„Aber der Übergang muss schrittweise erfolgen, weil die Landwirtschaft ihren eigenen Rhythmus hat.“