Bei Herausforderungen wie dem Klimawandel muss sich Europa auf seine Grundwerte besinnen. Nur dann hat die europäische Wirtschaft eine nachhaltige und gerechte Zukunft.

In Europa fehlt es nicht an Herausforderungen. Die Verantwortlichen wachen endlich auf und sehen, dass sie jetzt für den Klimaschutz handeln müssen. Digitale Technologien prägen schon heute unser privates und berufliches Leben, und es wird immer schwieriger mitzuhalten. Der globale Wettbewerb bringt die traditionelle Sozialpolitik an ihre Grenzen. Damit wird der Anspruch einer Teilhabe aller an der Gesellschaft immer schwerer einzulösen. Und der demografische Wandel wird es nicht leichter machen.

Wir können es uns nicht leisten, nur eine dieser Herausforderungen anzugehen. So beängstigend es klingt: Wir müssen sie alle gleichzeitig in Angriff nehmen.

Doch keine Sorge! Es gibt ein Korsett, das uns dabei zusammenhält. Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Teilhabe sind keine alternativen Prioritäten, sondern die drei Grundpfeiler für Wohlstand und Wohlergehen im zukünftigen Europa. In einem neuen Bericht der Europäischen Investitionsbank zeigen unsere Ökonominnen und Ökonomen, dass diese drei Themen eng verflochten sind.

Gerechte Investitionen in Qualifikationen: der Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit in einer nachhaltigen Zukunft

Daten aus der Investitionsumfrage der Europäischen Investitionsbank zeigen, dass die Digitalisierungspioniere unter den Unternehmen schon jetzt weniger Wettbewerbsdruck verspüren. Eher noch bauen sie ihre Marktmacht aus, was wiederum die Erfolge weiter auseinanderdriften lässt.

Zudem gibt es Belege für eine „Aushöhlung“ des Arbeitsmarktes, einhergehend mit einem geringeren Lohnwachstum bei den Mittelverdienenden. Das könnte die Ungleichheit weiter verschärfen.

Unseren Umfrageergebnissen zufolge fällt es gerade besonders innovativen Unternehmen schwer, Fachkräfte zu finden. Am stärksten leiden darunter Firmen, die innovative Produkte und Dienstleistungen auf den Markt bringen.

Ohne ausreichende Investitionen in Qualifizierung werden die Unternehmen auf mehr Automation und die Einsparung von Arbeitskräften setzen – nicht aber auf mehr Innovation, die auf dem Weltmarkt eine Nachfrage nach neuen Produkten aus Europa schaffen würde.

>@EIB

Unternehmen in der EU, die einen Fachkräftemangel angeben, aufgeschlüsselt nach Digitalisierungszweck (in % der Unternehmen).

Der Klimawende muss innovativ und fair sein

Ohne schnellere Innovationen werden wir das Ziel einer CO2-neutralen Wirtschaft kaum erreichen. Gleichzeitig bietet die Klimawende eine große Chance für die Wettbewerbsfähigkeit.

China ist sehr schnell zu einem Weltmarktführer bei sauberen Technologien geworden. Nun muss sich Europa ehrgeizige Ziele für 2050 setzen. Dazu gehören die vollständige Dekarbonisierung der Stahl- und Chemieindustrie und die Wiederherstellung unserer natürlichen Umwelt als Netto-Kohlenstoffsenke.

Die Klimawende muss fair sein, sonst misslingt sie. Wir sitzen alle im selben Boot. Deshalb müssen wir jenen Regionen unter die Arme greifen, in denen der Wandel am gravierendsten ist.

Einkommensschwache Haushalte leiden am meisten unter höheren Energiekosten, gleichzeitig haben sie am wenigsten Geld, um in Maßnahmen zu investieren, die für die Dekarbonisierung so wichtig sind, wie etwa Wärmesanierungen.

>@EIB

Einkommensschwache Haushalte in Europa geben mehr von ihrem Einkommen für Energie aus. Dadurch sind die Energiesteuern leicht regressiv.

Europa muss für alle funktionieren

Wir werden in der Tat nur dann ein nachhaltiges, wettbewerbsfähiges Europa aufbauen können, wenn dieses Europa allen Menschen zugutekommt. Nur dann ist ein entschlossenes gemeinsames Handeln möglich.

Doch das europäische Sozialmodell zeigt Risse, und seit den 1980er-Jahren nimmt auch die Einkommensungleichheit zu. Durch die Finanzkrise haben sich die Regionen in der EU unterschiedlich entwickelt.

>@EIB

Top-1-Prozent des Einkommens (in % des Bruttonationaleinkommens, vor Steuern)

Für die Menschen in der Union wird es offenbar immer schwieriger, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Dabei fällt auf, dass die öffentlichen Investitionen in die soziale Infrastruktur – zur Verbesserung der Qualität von Bildung, Gesundheit, Wohnen und Pflege – gleichzeitig geschrumpft sind. Seit der Finanzkrise haben die EU-Länder mehr für Sozialtransfers für Wohnraum, aber immer weniger für Investitionen in neue und bessere Wohnungen ausgegeben.

>@EIB

Investitionen in die soziale Infrastruktur in der EU (in % des BIP)

Die nach dem Krieg erzielten Fortschritte bei der sozialen Mobilität und Chancengleichheit mögen ins Stocken geraten sein.  Doch es ist ein moralisches und politisches Gebot, den Menschen die Möglichkeit zu geben, ihr Potenzial zu entfalten und die dazu notwendigen Fähigkeiten zu erwerben. Nur so kann Europa ein weltweit wettbewerbsfähiger und nachhaltiger Wirtschaftsraum werden.       

Europa muss sich auf seine Stärken besinnen. Der Kontinent braucht eine Vision, die auf guten Traditionen beruht: auf der Offenheit für Veränderungen und neue Chancen und auf dem Anspruch einer guten Lebensqualität für alle. Europa muss dringend in das Wohlergehen künftiger Generationen investieren.

Nur so bringen wir die Menschen zusammen, damit sie ein wettbewerbsfähiges, nachhaltiges und gerechtes Europa aufbauen.

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