Das Weltwirtschaftsforum in Davos diskutiert über die „Polykrise“. Der Ausweg ist, sie als „Polychance“ für Investitionen zu sehen

Kongresszentrum, Ort und Skihänge schaffen auch in diesem Jahr eine vertraute Umgebung für das Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos. Aber die globale Lage, die die Gespräche bestimmt, ist für die führenden Köpfe aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft Neuland.

Die Welt schlittert von einer Krise in die nächste und kämpft nun mit mehreren gleichzeitig. „Polykrise“ ist das Schlagwort auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum.

Jetzt müssen wir uns auf unsere Resilienz besinnen – auf unsere Fähigkeit, schwierige Zeiten durchzustehen und uns davon zu erholen. Aber wie können wir unsere Resilienz stärken, wenn wir vor so vielen großen Herausforderungen auf einmal stehen?

Der erste Schritt muss sein: vor die nächste Krise kommen. Die Pandemie hat uns kalt erwischt, und wir waren auch nicht vorbereitet, als Russland in die Ukraine einmarschierte und uns mit seiner Energie erpressen wollte. Wir brauchen mehr Weitblick, damit wir erkennen, wo wir anfällig sind. Dann können wir strategisch investieren und Resilienz im System aufbauen, bevor die Krise zuschlägt. Das ist die wichtigste Lehre aus den jüngsten Ereignissen. Ich habe schon früher zu einem Government Chief Risk Officer geraten.

Der zweite Schritt ist: kurzfristige Maßnahmen nicht mit langfristigen Lösungen verwechseln und die Ursache des Problems nicht mit den Folgen. Dass wir kein Gas mehr aus Russland bekommen, ist nicht das eigentliche Problem. Unsere Abhängigkeit davon ist es, die über Jahrzehnte immer größer geworden ist und aus der wir uns jetzt lösen müssen. Die Dekarbonisierung ist ein Muss in der Klima- und Umweltkrise, aber sie ist auch der einzige Weg zu sicherer und bezahlbarer Energie für Europa und die ganze Welt. Sie würde Europa auch krisenfester machen, weil Energiepreisschocks die Wirtschaft dann nicht mehr so stark erschüttern und Russlands Energieerpressung weniger Schaden anrichtet.

Die Polykrise birgt Polychancen

Wenn jede Krise auch eine Chance ist und wir jetzt so viele Krisen haben, dann ist dies die Zeit der „Polychancen“.

Höhere Energiepreise schaffen klare Anreize, die grüne Wende zu beschleunigen. Aber um diese Chance zu nutzen, müssen wir Unternehmen und Staaten in die Lage versetzen, darauf zu reagieren und zu investieren. Andernfalls belasten die hohen Energiepreise die Bilanzen, bremsen uns oder treiben uns gar zu kontraproduktiven Maßnahmen. Wir brauchen eine Politik, die das Momentum der Krise nutzt, um tief sitzende Strukturprobleme anzupacken und die Energiewende voranzubringen.

Als langfristiger öffentlicher Kreditgeber mit viel Geduld, Erfahrung und Feuerkraft bei antizyklischen Investitionen kann die Europäische Investitionsbank-Gruppe eine wichtige Rolle spielen. Wir fördern heute Cleantech-Innovationen so wie Offshore-Windparks vor zwanzig Jahren, als Gelder zu günstigen Konditionen für die damals neue Technologie rar waren.

Wir haben die Grundlagen für diesen wichtigen grünen Sektor gelegt und tun heute das Gleiche für schwimmende Offshore-Windparks, Batteriespeicher und grünen Wasserstoff. Unsere Finanzierungen für saubere Energie in Europa erreichten 2022 eine Rekordhöhe, und mit unserem REPowerEU-Paket wollen wir bis 2027 Investitionen von bis zu 115 Milliarden Euro in Energie anschieben – zusätzlich zu den beträchtlichen Finanzierungen, die wir ohnehin in dem Sektor vergeben.

Die Polykrise verlangt Investitionen

Die Europäische Investitionsbank und der Europäische Investitionsfonds fördern auch neue Technologien wie künstliche Intelligenz, Quanteninformatik, bahnbrechende Gesundheitslösungen und moderne Fertigungstechnologien. Wenn Europa in diesen und anderen Bereichen nicht ganz vorne mitspielt, ist unsere Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr. Die Pandemie hat dieses Dilemma offengelegt, von der Impfstoffproduktion bis hin zu Halbleitern. Wir haben diese Lektionen nicht vergessen – das haben wir 2022 gezeigt. Es war unser bislang stärkstes Jahr bei Venture-Debt-Finanzierungen, die in erster Linie an wachsende Technologieunternehmen gingen. Wir müssen weiter Sektoren stärken, die für die EU strategisch wichtig sind, wie etwa den Netzausbau. Dafür brauchen wir neue, zusätzliche Initiativen. Mehr kann nicht zu viel sein.

Der dritte und letzte Schritt zu mehr Resilienz ist Zusammenarbeit. Globale Herausforderungen verlangen globale Antworten. Als multilaterale Organisation wissen wir dies. Schließlich ist Zusammenarbeit Teil unserer DNA. Wir brauchen die Zusammenarbeit zwischen Ländern, aber auch zwischen öffentlichem und privatem Sektor. Die Basis für Zusammenarbeit ist Vertrauen, und die Europäische Investitionsbank ist ein bewährter Partner.

  • Wir haben schon 2022 unsere Zusage erfüllt, 50 Prozent unserer Mittel für Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu vergeben – deutlich vor der Zielmarke 2025.
  • Auch bei der Zusage, Investitionen von 100 Milliarden Euro für die Global-Gateway-Initiative anzuschieben, liegen wir gut im Plan. Dies ist keine heiße Luft. Unsere Projekte zeigen, wie die Europäische Investitionsbank ihre Feuerkraft einsetzt, um die EU-Ziele über unsere Grenzen hinaus zu unterstützen.
  • Zusammen mit anderen multilateralen Entwicklungsbanken erfüllen wir das 2019 gesetzte Ziel für Klimafinanzierungen in weniger entwickelten Ländern und liegen auch hier vor dem Zeitplan bis 2025.

Das Weltwirtschaftsforum will den Geist der unternehmerischen Zusammenarbeit stärken, globale Themen anpacken und die staatliche, industrielle und soziale Agenda prägen. Zu diesem Ziel bekennt sich die Europäische Investitionsbank voll und ganz. Und in diesem Geist sind wir in Davos dabei.