Bei der Investitionsumfrage der EIB war „Fachkräftemangel“ im vergangenen Jahr das meistgenannte Investitionshindernis für Unternehmen in Europa. Was können wir dagegen tun?

Von Patricia Wruuck, Volkswirtin bei der EIB

Der Mangel an Arbeitskräften mit den passenden Qualifikationen bremst laut Umfrage die Investitionen von mehr als 70 Prozent der europäischen Unternehmen. Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu finden und zu halten, zählen in den meisten EU-Ländern zu den drei größten Investitionshürden. Besonders gravierend ist die Situation nach Wahrnehmung der Unternehmen in Mittel- und Osteuropa. Dort sehen 80 Prozent der Befragten den Mangel an Arbeitskräfte mit den richtigen Qualifikationen als Problem.

Investitionshindernisse im Vergleich (EU-Durchschnitt)

Frage an die Unternehmen: Sehen Sie den Fachkräftemangel als großes Hindernis, geringes Hindernis oder kein Hindernis für Ihre Investitionen in [Land]?  Die Abbildung zeigt den Anteil der Unternehmen, die „großes Hindernis“ oder „geringes Hindernis“ angaben sowie die Ergebnisse für andere mögliche Hindernisse im Vergleich.

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Was steckt hinter dem vielerorts beklagten Fachkräftemangel? Die Antworten der Unternehmen spiegeln sowohl zyklische als auch strukturelle Faktoren wider. Zum Zeitpunkt der Befragung hat in vielen EU-Ländern die Konjunktur angezogen und entsprechend suchen die Unternehmen wieder verstärkt nach Personal. Dafür die passenden Bewerberinnen und Bewerber zu finden, ist nicht immer leicht.

  • Der technologische Wandel wirkt sich auf viele Branchen und Tätigkeiten aus. Aufgaben verändern sich, und Unternehmen suchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit anderen Qualifikationen als vor zehn Jahren. Digitalkompetenzen, etwa in der Analyse großer Datenmengen, sind nur ein Beispiel dafür.
  • In Mittel- und Osteuropa erschweren demografische Faktoren und Abwanderung die Personalsuche zusätzlich.  

So schlägt sich der genannte Fachkräftemangel auch in der „Wunschliste“ der Unternehmen an die Politik nieder. Auf die Frage, welchen Bereichen sie bei den öffentlichen Investitionen in den nächsten drei Jahren Priorität einräumen würden, nannte rund ein Viertel der Unternehmen berufliche und höhere Bildung.

Wie Europa dem Fachkräftemangel begegnen kann

In einer umfassenden Studie haben wir die Analysen verschiedener Experten zusammengetragen. Auf dieser Basis lassen sich fünf Punkte ableiten:

  • Wirtschaftliche Integration, etwa durch globale Wertschöpfungsketten und die Arbeitskräftemobilität, erfordert eine engere Kooperation in der allgemeinen und beruflichen Bildung sowie abgestimmte politische Lösungen.
  • Die Bildungs- und Ausbildungspolitik isoliert zu betrachten, wird kaum ausreichen. Strategien zur Förderung von Qualifikationen sollten vielmehr in einen integrierten Ansatz eingebettet sein, der unter anderem die Arbeitsmarkt-, die Wettbewerbs- und die Migrationspolitik berücksichtigt. So wird beispielsweise die Bildungs- und Ausbildungspolitik allein die Innovationskraft nicht stärken können, wenn die Migrationspolitik Länder davon abhält, Beziehungen aufzubauen und starke Innovationsnetze mit anderen Ländern zu knüpfen.
  • Weiterbildung oder eine bessere Qualifikation der Bevölkerung reichen nicht aus. Es müssen auch Bedingungen herrschen, unter denen Unternehmen Stellen schaffen und diese Qualifikationen nutzen. Dazu müssen Hürden für den Marktein- und ­austritt fallen, und die Politik muss Hindernisse abbauen, die Wachstum und Innovation sowie der Umschichtung von Ressourcen im Wege stehen.
  • Der technologische Wandel stellt die Bildungs- und Ausbildungssysteme in Europa vor große Herausforderungen. Vor dem Hintergrund fortschreitender Automatisierung, Digitalisierung und der der damit einhergehenden Veränderungen, rückt vor allem die Erwachsenenbildung in den Vordergrund. Die Politik muss den Menschen mit geeigneten Maßnahmen helfen, sich auf eine veränderte Arbeitswelt einzustellen, die neue Fähigkeiten und Kompetenzen verlangt.
  • Eine solide Berufsausbildung und gute Schulungsprogramme sind der Schlüssel zur Beschäftigungsfähigkeit. Die Angebote müssen durchlässiger werden, beispielsweise durch duale Studienprogramme und Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung.

Warum sich Bildungsinvestitionen für Europa lohnen

Investitionen in Bildung und Qualifikationen lohnen sich doppelt: Erstens sind sie ein Weg zu einer gerechteren Gesellschaft, weil sie mehr Menschen eine faire Chance geben. Zweitens können sie die Effizienz erhöhen, indem Einzelne und Volkswirtschaften insgesamt ihre Talente bestmöglich einsetzen. Hinzu kommt, dass Qualifikationen auch für die Entwicklung von Innovationen  inder EU entscheidend sind – sowie für die Fähigkeit, Neuerungen erfolgreich einzuführen.

Ideen werden immer mehr zur Triebfeder für Wachstum in Europa. Wenn wir in Bildung, Aus- und Weiterbildung investieren, bereiten wir den Boden für neue Ideen – und für deren erfolgreiche Nutzung.

 

Die ganze Studie kann hier heruntergeladen werden: Investitionen in die Zukunft Europas: die Rolle von Bildung und Qualifizierung