Die Schaltanlagenlösung des Berliner Start-ups Nuventura: Sitzt, passt und hat Luft

Drückt man auf einen Lichtschalter, bilden zwei Metallteile einen Niederspannungsstromkreis, durch den Strom zur Glühbirne fließt. Drückt man noch einmal drauf, wird dieser Stromkreis unterbrochen.

Nach dem gleichen mechanischen Prinzip funktionieren auch die Schaltanlagen der Hochspannungssysteme in großen Gebäuden, Fabriken und bei Stromversorgern. Nur dass diese Schaltanlagen mit ihren 800–1 200 Kilo größer als Industriekühlschränke sind. So viel Power erfordert eine komplexere Technologie.

In vielen dieser riesigen Schaltanlagen ist ein Tank mit komprimiertem SF6 eingebaut – Schwefelhexafluorid. Das Gas dient als Isolator und verhindert das Entstehen von Lichtbögen, wenn die Metallteile aufeinandertreffen oder getrennt werden.

Die Krux bei der Sache: SF6 ist das stärkste Treibhausgas überhaupt. Ein Kilo trägt so viel zur Klimaerwärmung bei wie 23 500 Kilo CO2. Die jährlichen SF6-Emissionen entsprechen dem CO2-Ausstoß von 100 Millionen Autos. Außerdem dürfte die weltweite SF6-Nutzung bis 2030 um 75 Prozent gegenüber 2019 steigen. Nachhaltige Alternativen sind also gefragter denn je.

Hier beginnt die Geschichte des Berliner Unternehmens Nuventura.

Eine klimafreundliche Lösung

Manjunath Ramesh hatte als Elektroingenieur jahrelang gasisolierte Schaltanlagen entwickelt. Ihm war klar: Ein großer Teil des SF6 in unserer Atmosphäre stammt aus diesen Schaltanlagen. Dieser Gedanke ließ ihm keine Ruhe. Weil er in seinem damaligen Job nicht weiter kam, kündigte er und zog nach Berlin, um einen eigenen Prototyp zu entwickeln. Denn mit wenigen Änderungen könnte stark komprimierte Trockenluft SF6 in Schaltanlagen ersetzen – davon war er überzeugt.

Ramesh erzählt davon, was ihn antrieb: „Ich erlebte schon sehr früh, dass Luftverschmutzung ein riesiges Problem für die Welt ist. Bei Nuventura haben wir das Treibhausgas SF6 in unserer Schaltanlage durch normale Luft ersetzt, wie wir sie atmen.“

Mit zwei weiteren Partnern, die unternehmerische Erfahrung mitbrachten, gründete Ramesh 2017 ein Start-up. Heute zählt Nuventura 20 Beschäftigte und hat seine ersten Kunden.

Mitgründer und Geschäftsführer Fabian Lemke meint, dass die Technologie sich mittelfristig bewähren muss, um Kunden zu gewinnen – von Industrieunternehmen bis hin zu großen Energieversorgern.

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© Nuventura

Manjunath Ramesh und Fabian Lemke haben Treibhausgas durch normale Luft ersetzt

Beim Stromnetz handelt es sich um kritische Infrastruktur, Zuverlässigkeit ist das A und O. „Strom und ganz besonders Schaltanlagen funktionieren eigentlich nach dem ‚Set it and forget it‘-Prinzip“, meint Lemke. „Je weniger man danach hört, umso besser. Kunden wollen Erfahrungswerte. Sie wollen sehen, wie sich die Anlage verhält. Dann machen sie auch den nächsten Schritt.“

Nuventura gehörte 2021 zu den Finalisten des Wettbewerbs für Soziale Innovation. Damit fördert das EIB-Institut kreative Projekte, die Lösungen für ökologische und gesellschaftliche Probleme bieten.

Abschied von einem gefährlichen Gas

Es gibt zwei Arten von Schaltanlagen: die gasisolierten Modelle und einen weiteren Typ, der luftisoliert, aber auch offen und damit Umwelteinflüssen ausgesetzt ist. Gasisolierte Schaltanlagen sind in dicht besiedelten Gegenden Standard.
Nuventura spielt in die Karten, dass die Europäische Union und Staaten auf der ganzen Welt die Nutzung von SF6 schrittweise zurückfahren wollen, sobald es zuverlässige Alternativen gibt. Die Europäische Kommission arbeitet derzeit an einer neuen F-Gas-Verordnung, die alle Gase dieser Familie umfasst, und Kalifornien hat bereits einen Plan für den schrittweisen Verzicht auf SF6 ab 2025 verabschiedet.

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© Nuventura

Schaltanlage von Nuventura ermöglicht schrittweisen Verzicht auf gefährliches SF6 in der Hochspannungstechnik

Ein weiterer Vorteil von Nuventuras gasisolierten Schaltanlagen mit Trockenluft: Sie können für Wartungsarbeiten geöffnet werden und bieten die Möglichkeit, Sensorensysteme zur Überwachung zu integrieren. „Unser Tank lässt sich öffnen. Wir können Teile austauschen, Reparaturen durchführen und so die Nutzungsdauer verlängern“, erzählt Lemke. „Ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft.“

Mehr Daten, weniger Wartung

Sensoren übertragen Daten der Schaltanlage an Kontrollzentren und ermöglichen so eine Echtzeitüberwachung. „Schaltanlagen sind eigentlich ziemlich stupide“, meint Lemke. „Sie bestehen ausschließlich aus mechanischen Komponenten.“

Wären sie mit Sensoren ausgestattet, könnten wertvolle Informationen gesammelt und mindestens die manuellen Wartungskontrollen reduziert werden.

Die Resonanz der ersten Kunden von Nuventura ist vielversprechend. Die APEX-Gruppe verfügt an ihrem Standort in Rostock-Laage über eine netzgekoppelte Wasserstoffanlage.

Sie speichert Wasserstoff und begleitet andere Unternehmen und Städte, die eigene CO2-neutrale Energiesysteme aufbauen wollen.

Anfang des Jahres installierte das Unternehmen sechs Schaltanlagen von Nuventura mit vernetzten Sensoren. Mithilfe der Sensoren kann APEX den Zustand der Geräte rund um die Uhr überwachen.

„Uns hat die kompakte Größe der Nuventura-Schaltanlagen überzeugt, die sehr nahe an die klassischen SF6-Schaltanlagen rankommen. Außerdem gefällt uns die hohe Flexibilität und Automatisierung“, meint Jörn Hennig, Head of Engineering bei APEX.