Die digitale Technik bestimmt mittlerweile sogar, wie wir unterwegs sind. Eindrücke von Verkehrsexpertin Birgitte Keulen anlässlich der europäischen Mobilitätswoche

Von Brigitte Keulen

Wenn ich mit meinem Elektroauto in den Niederlanden unterwegs bin, fühle ich mich manchmal wie in der Zukunft.

Auf niederländischen Straßen finde ich auf meinem Weg zur Arbeit nach Luxemburg meist ohne große Suche eine Schnellladestation. Problematisch wird es erst zwischen Brüssel und Luxemburg: Die Ladestation bei Namur darf ich auf keinen Fall verpassen, denn danach kommt eine echte Schnellladewüste.

Doch nicht nur bei der Ladeinfrastruktur scheinen die Niederlande einen Schritt weiter zu sein. Hier stehe ich auch sehr viel weniger im Stau als etwa in Belgien. Daran merke ich, dass intelligente Verkehrssysteme das Pendeln wirklich einfacher machen können. Das gilt auch für die Bahn: Auf dem Portal rijdendetreinen.nl etwa kann ich sehen, ob mein Zug pünktlich ist. All dies ist unter anderem deshalb möglich, weil die Niederlande stark auf offene Daten setzen. Dadurch lassen sich mit dem Smartphone weniger befahrene Strecken finden, was Straßen und Schienen entlastet.

Diese Punkte werden für mich zunehmend wichtiger, wenn ich Projekte betreue, die die Europäische Investitionsbank finanziert. Im Verkehrsbereich sind das hauptsächlich große Infrastrukturprojekte, Klima- und Umweltprojekte oder auch Innovationen großer und kleiner Unternehmen. Bei diesen langfristigen Finanzierungen richten wir uns nach den Zielen der EU. Und die will aktuell vor allem dreierlei erreichen: Der Verkehr soll intelligenter (sprich: digitaler), sauberer (durch mehr öffentliche Verkehrsmittel aber auch neue Technik wie Elektroautos) und sicherer (z. B. durch automatisierte Systeme zur Verkehrsüberwachung) werden.

Erfolgsgeschichten aus aller Welt

Neben den Niederlanden sind auch andere Länder verkehrstechnisch auf dem richtigen Weg:

  • In Kaunas, der zweitgrößten Stadt Litauens, gibt es eine App, die blinden Menschen das Reisen erleichtert, indem sie ihnen vorliest, welcher Bus gerade an der Haltestelle hält
  • Belgien ersetzt mit Unterstützung der EIB entlang 2 700 Straßenkilometern 70 000 Glühlampen durch intelligente LED-Leuchten. Sie sparen Energie, und ihre Leistung kann an das Verkehrsaufkommen angepasst werden
  • In Norditalien arbeiten wir an einem Projekt mit, das Pufferbereiche für Häfen zur Auslagerung von Fracht vorsieht. Durch die Echtzeit-Anbindung an ein Informationssystem kann errechnet werden, wann die Fracht in den Hafen transportiert werden kann und sollte. So lassen sich die Kapazitäten sehr viel präziser steuern. Das System kann auch auf die Luftfracht übertragen werden
  • In der Ukraine prüfen wir gerade Weigh-In-Motion-Systeme, um das Gewicht von Lkws während der Fahrt zu erfassen. Somit werden nur überladene Fahrzeuge zu den Wiegestationen geleitet Solche Fahrzeuge beanspruchen die Straßen besonders stark, und da bisher nur stichprobenartig kontrolliert wird, riskieren viele Spediteure eine Überladung
  • In Slowenien (und anderen Ländern) werden derzeit elektronische Maut-Vignetten eingeführt, damit die Zeit, die Lkws auf den Straßen verbringen, exakt abgerechnet werden kann
  • Im Juni vergab die EIB einen Kredit über 500 Millionen Euro an Fiat Chrysler, um die Forschung und Entwicklung des Unternehmens im Bereich Elektromobilität und autonomes Fahren voranzubringen

Die Kehrseite der digitalen Verkehrstechnik

Schon heute sind wir vielerorts von intelligenter digitaler Infrastruktur umgeben, und in den kommenden Jahren wird sie immer mehr zum Alltag werden. Natürlich macht die neue Technik vieles einfacher, aber wir müssen auch die Risiken im Auge haben.

Datenschutz als Hauptsorge Mit Systemen zur Verkehrsüberwachung ist es möglich, Menschen überall und jederzeit zu überwachen. Dies wirft Fragen auf, auf die wir Antworten finden müssen: Was ist, wenn man mit autonomen Fahrzeugen prüfen kann, wohin der Ehepartner letzte Nacht gefahren ist? Kann die Polizei bereits einen Strafzettel ausstellen, wenn man die nächste Mautstelle schneller erreicht als vom System vorgegeben – also laut System zu schnell unterwegs war? Sollte die Polizei ein Fahrzeug digital stoppen können?

Auch die Cybersicherheit sorgt für Unbehagen Selbst wenn man dem Staat vertraut und ihm alle Informationen und die Kontrolle über die eigene Mobilität anvertraut: Was passiert, wenn das System gehackt wird? Wer die Beleuchtung der Straßen kontrolliert oder gar die Fahrzeuge selbst, kann verheerende Schäden anrichten.

Dem öffentlichen Sektor muss es gelingen, für die neuen Technologien qualifizierte Fachleute einzustellen, was bisher nicht immer der Fall war. Dies führt mitunter dazu, dass teure Systeme nicht optimal genutzt werden. Auch der Datenschutz wird damit infrage gestellt.

Wie verändert die digitale Verkehrstechnik die Gesellschaft?

Eindeutige Vorteile bringt die Digitalisierung der gesamten Wirtschaft (nicht nur des Verkehrs) beispielsweise für die Telearbeit. Sie wird sehr viel einfacher, was die öffentliche Infrastruktur entlastet. Doch bis zu einer komplett emissionsfreien Gesellschaft ist es noch ein weiter Weg.

Wenn wir uns alle einbringen, können wir viel bewegen und dafür sorgen, dass Energie und Mobilität enger zusammenwachsen. Ich hoffe jedenfalls, dass ich mit den innovativen Projekten, die die Bank finanziert oder beratend unterstützt, die Einführung der neuen Technologien beschleunigen kann.

Dieser Text ist ein überarbeiteter Artikel aus der September-Ausgabe des Magazins „Projectie“ der International Project Management Association in den Niederlanden