Wie wirkt sich das Coronavirus auf den Flugverkehr aus? Hilft der Stillstand dem Klima? Wir haben unseren Luftverkehrsexperten gefragt.

Die Coronakrise hat unser Leben verändert. Aber bleibt das nun so? In unserer Reihe Ändert sich jetzt alles? sprechen wir mit Expertinnen und Experten der Europäischen Investitionsbank über die Auswirkungen von Covid-19 auf die Bildung, Digitalisierung, Mobilität in Städten und Medizin – und auf unser tägliches Leben.

Was das Coronavirus für den Luftverkehr bedeutet, erklärt uns Doramas Calderon, Lead Economist in der Abteilung Luft- und Seeverkehr und innovative Verkehrskonzepte bei der Europäischen Investitionsbank, der Bank der EU.


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Die Coronapandemie trifft die Luftfahrt mit am härtesten. Wie wird sich die Branche dadurch verändern?

Die Krise bedeutet für die Luftfahrt auf jeden Fall einen drastischen Einschnitt, einen Totalstillstand. Trotzdem glaube ich nicht, dass die Pandemie die Branche ändern wird. Das ist nicht der erste Abschwung für diesen zyklischen Sektor, und es wird auch nicht der letzte sein. Die plötzliche verheerende Krise setzt die Luftfahrt unter einen finanziellen Druck, wie sie ihn noch nie erlebt hat, dürfte aber die Branche selbst nicht ändern. Die Krise wird sich weniger stark auf die Abläufe im Flugbetrieb auswirken als der 11. September. Auch damals blieben die Flotten am Boden. Die Flugzeuge wurden von den Terroristen als Waffe missbraucht. Daraufhin gab es einige Änderungen, um die Sicherheit zu erhöhen. Die Europäische Investitionsbank finanzierte in den letzten Jahren die heutige Sicherheitsinfrastruktur und ‑ausrüstung der Branche. Wir vergaben Kredite für den Kauf von Flugzeugen; die Airlines brauchten zusätzliche Sicherheitsausrüstung an Bord, und auch die Flughäfen investierten in mehr Sicherheit, unter anderem in Gepäck- und Personenscanner und in die notwendigen Baumaßnahmen. Die Verbesserung der Sicherheit spielt weiterhin eine wichtige Rolle bei unseren Finanzierungen. Dennoch glaube ich momentan nicht, dass Covid-19 sich langfristig auf die Abläufe auswirken wird.

Wie wirkt sich die Krise auf den Luftverkehr aus, und was ist anders als nach dem 11. September?

Covid-19 wird sich nicht auf die Abläufe im Flugbetrieb auswirken. Der Einbruch ist aber dieses Mal viel dramatischer als 2001. Nach dem 11. September blieben die Flugzeuge etwa eine Woche am Boden. Heute stehen die meisten Flotten schon seit mehreren Wochen still. Ein Ende ist nicht in Sicht. Ebenso wenig können wir absehen, wie schnell sie wieder den Betrieb aufnehmen werden. Auch am Boden müssen die Flugzeuge gewartet werden, und dafür ist eine Notbesetzung erforderlich.  Sobald der Flugverkehr aber wieder anläuft, müssen Hunderttausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurückgerufen werden. Wir wissen aber im Gegensatz zu damals nicht, wann das der Fall sein wird. Die Auswirkungen auf den Cashflow in der Branche sind dramatisch. Der Einbruch zieht sich viel länger hin als nach dem 11. September. Damals erschütterten auch andere externe Schocks die Weltwirtschaft: Im Jahr 2000 platzte die Internetblase; 2002 zeichnete sich dann schon der nächste Golfkrieg ab, der 2003 tatsächlich begann und sich sowohl auf die Nachfrage nach Flügen und auf den Ölpreis auswirkte – zwei wichtige Faktoren für die Luftfahrt. All diese Folgewirkungen verschärften den Einbruch. Das Coronavirus setzt aber nicht nur die Luftfahrt auf unbestimmte Zeit außer Gefecht, sondern erschüttert die gesamte Wirtschaft, was dem Flugverkehr zusätzlich zu schaffen machen wird. Selbst wenn die Flugzeuge wieder fliegen dürfen, wird eine schwere Rezession auf die Nachfrage drücken. Es könnte eine Weile dauern, bis wieder so viele Menschen wie vor der Krise fliegen. Vieles bleibt ungewiss, die Lage ist gerade wirklich schwierig. Ein Hoffnungsschimmer kommt von der Luftfracht: Mehr Online-Handel bedeutet mehr Warenverkehr. Außerdem wird medizinisches Material in lebensrettendem Tempo in die ganze Welt geliefert, das auf anderen Wegen zu spät käme. Manche Passagierflugzeuge transportieren nun Fracht. Aber die Luftfracht spielt im Vergleich zum Passagierverkehr nur eine kleine Rolle.

Wenn Fluggesellschaften pleitegehen, erreichen wir dann schneller eine CO2-arme Wirtschaft? Hängt das Coronavirus also mit dem Klimaschutz zusammen?

Das würde ich nicht sagen.  Einige Fluggesellschaften sind bereits insolvent. Ohne staatliche Hilfe könnten es noch mehr werden. Die Regierungen stellen Hilfsprogramme für die Branche auf die Beine. In jedem Fall handelt es sich sowohl bei Corona als auch beim 11. September um zeitlich begrenzte Schocks, sagen wir mal ein, zwei, drei Jahre. Danach dürfte sich die Luftfahrt wieder mehr oder weniger auf das Normalmaß einpendeln. Mit dem Klimawandel verhält es sich dagegen völlig anders. Er erfordert langfristige, strukturelle Veränderungen des Flugverkehrs, die erst über 20, 30, 40 Jahre wirksam werden. Die Fluggesellschaften preisen die CO2-Emissionen bereits in die Flugtickets mit ein – das hat sich als sehr effizient erwiesen. Das ist aber noch nicht alles. Mit der Einführung von CORSIA, dem CO2-Ausgleichssystem der Vereinten Nationen, wird auch der CO2-Ausgleich in die Kostenstruktur der Luftfahrt einfließen. In Europa gibt es das Emissionshandelssystem, in das die Luftfahrt von einigen Jahren einbezogen wurde. Im Endeffekt bedeutet all dies, dass letztlich die Fluggäste für die CO2-Emissionen zahlen. Das bremst das Wachstum und vergrößert den Anreiz für die Luftfahrt, sauberer zu werden. Die Fluggesellschaften wollen schon seit Langem weniger Kerosin verbrauchen, nachdem sie durch die Ölschocks in den 1970er-Jahren wachgerüttelt wurden. Ein geringerer Treibstoffverbrauch und somit auch geringere Emissionen sind den Fluggesellschaften ein wichtiges Anliegen. Die Einpreisung der CO2-Emissionen in die Tickets spornt sie umso mehr an. In Europa wuchs der Luftverkehr jährlich um durchschnittlich 3 bis 4 Prozent. Wegen des Klimawandels werden es künftig eher 1,5 Prozent bis 2 Prozent sein.

Welche neuen Produkte oder Ideen könnten der Luftfahrt helfen, mit dem Coronavirus fertig zu werden? Was kann die Europäische Investitionsbank, die Bank der EU, tun?

Auf kurze Sicht belastet das Coronavirus den Cashflow in der Luftfahrt in bislang unbekanntem Ausmaß und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette: Fluggesellschaften, Flughäfen, Flugsicherung und Flugzeugbau.  Die Europäische Investitionsbank vergibt Kredite für Investitionsaufwendungen. Schon damit sind wir Teil der Lösung, aber auch damit, dass wir jederzeit bereitstehen. Das ist aber nicht alles. Am Boden kann die Luftfahrt kein Geld verdienen, ihre Schulden nicht bedienen und ihr Eigenkapital nicht verzinsen. Wenn wir auf unserer Seite auf die Kreditvergabe setzen, also den Fremdkapitalanteil in den Bilanzen einer Branche erhöhen, die sowieso schon ziemlich verschuldet ist, muss es neben Krediten noch etwas anderes geben – Unterstützung auf der Eigenkapitalseite, etwa durch Zuschüsse oder Kapitalspritzen. Darüber diskutieren die Behörden und die Luftfahrtbranche gerade intensiv. Die Europäische Investitionsbank steht bereit und zahlt die jüngst genehmigten Darlehen weiterhin aus. Wir prüfen nach wie vor neue Projekte und sind für unsere Kunden da. Auch damit helfen wir der Luftfahrt durch diese schwierige Zeit. Sie wird es durch die Krise schaffen und die Welt wieder näher zusammenbringen.

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