Luftverschmutzung messen und vermeiden – ein Start-up macht es möglich

Von Chris Welsch

Robert Heinecke kennt sich aus mit dicker Luft. In Istanbul, wo er im Winter 2014 als Consultant arbeitete, war die Luftverschmutzung an manchen Tagen so schlimm, dass man kaum die andere Straßenseite sehen konnte.

„Als ich tiefer in die Materie einstieg, war ich schockiert, dass die Technik zur Überwachung der Luftqualität noch aus den 1960er- und 1970er-Jahren stammt“, sagt er.

>@EIB Institute

Die alten Messstationen sind oft so groß wie ein Kleintransporter und sehr teuer. Und es gibt nur sehr wenige davon. Heinecke stellte fest, dass in seiner Heimatstadt Hamburg nur 15 Stationen die Luftqualität für 1,8 Millionen Menschen überwachen.

Deswegen gründete er mit seinem ehemaligen Kollegen, dem Wirtschaftsinformatiker Sascha Kuntze, 2015 die Firma Breeze Technologies. „Unsere Idee war es, die Überwachung der Luftqualität ins 21. Jahrhundert zu führen“, sagt Heinecke.

Das Ausmaß des Problems ist erschreckend: 90 Prozent der Weltbevölkerung leben in Gegenden mit zu hoher Luftverschmutzung. Obwohl das enorme Auswirkungen auf die Gesundheit hat, wird das Problem oft recht planlos angegangen. „Niemand weiß wirklich genau, wie man die Luftqualität verbessert“, so Heinecke. „Die Städte tauschen sich kaum darüber aus, was funktioniert und was nicht. Es gibt nur sehr wenige Daten.“

Nachdem das Team um einen Umweltwissenschaftler erweitert wurde, entwickelte Breeze Technologies Überwachungsgeräte, die etwa so groß sind wie eine kleine Wasserflasche und an einem Laternenmast oder einer Hauswand angebracht werden können. Durch die Verlagerung der Daten vom Messgerät in die Cloud konnte Breeze Technologies seine Sensoren 50 000 Mal kleiner als eine typische Messstation machen – und 1 000 Mal billiger. Durch die geringe Größe und die niedrigen Kosten können viel mehr Messgeräte eingesetzt und so ein Messnetz geschaffen werden.

>@Breeze
© Breeze

Die Messdaten analysiert Breeze Technologies in Echtzeit, mit künstlicher Intelligenz.  Anschließend schlägt das System Maßnahmen vor, um die Luftqualität vor Ort möglichst schnell zu verbessern, wie beispielsweise eine Umleitung des Verkehrs. Das Unternehmen bietet darüber hinaus Systeme zur Überwachung der Luftqualität in Innenräumen, zur Bekämpfung des „Sick-Building-Syndroms“ (wenn das Gebäude selbst krank macht) und Lösungen für das Luftqualitätsmanagement, vor allem mit Blick auf Covid-19. Zu seinen Kunden gehören die Stadt Neckarsulm sowie andere Städte und Regionen. Hinzu kommen Firmenkunden, die an der Luftqualität innerhalb und außerhalb ihrer Bürogebäude interessiert sind.  Breeze Technologies verzeichnet ein rasches Wachstum und ist heute führend bei der Messung und Auswertung der Luftqualität mit preisgünstigen Sensoren.

Beim Wettbewerb für Soziale Innovation des EIB-Instituts kam das Unternehmen 2020 in die Endrunde. Mit dem Wettbewerb sollen kreative Umwelt- und Sozialunternehmen gefördert werden. Breeze Technologies wurde mehrfach ausgezeichnet, und Robert Heinecke und Sascha Kuntze wurden 2018 für die Forbes 30 under 30-Liste innovativer Sozialunternehmer ausgewählt.

Intelligentere Maßnahmen für saubere Luft

Die Luftverschmutzung wird durch das Wetter, das Stadtbild und die Windrichtung beeinflusst. Durch das Erfassen und Aufbereiten großer Datenmengen über das Zusammenspiel dieser Faktoren kann Breeze Technologies Städten dabei helfen, Zeiten mit hoher Luftverschmutzung vorherzusagen und vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen. Je mehr Städte die Technologie einsetzen, desto mehr Daten hat das Unternehmen, um zu vergleichen, wie wirksam diese Maßnahmen sind.

„Sie können sich das wie ein Google für saubere Luft vorstellen“, sagt Heinecke. „Jedes Mal, wenn man einen Suchbegriff eingibt, wird das System ein wenig schlauer und weiß besser, wonach man sucht. Wenn ein Kunde eine Maßnahme für saubere Luft umsetzt, bekommen wir neue Daten darüber, was funktioniert. Und diese Daten können wir dann für neue Projekte nutzen.“

Das Ausmaß der Luftverschmutzung in einer Stadt kann von einem Viertel zum anderen und sogar von einer Straße zur nächsten stark schwanken. Heinecke kann sich gut vorstellen, dass Breeze Technologies seine Daten irgendwann an Versicherungen verkaufen wird, die sich ein genaueres Bild von Gesundheitsrisiken machen wollen. Dasselbe gilt für Immobilienmakler, die ihre Kunden über die Luftschadstoffe ihrer Miet- oder Kaufobjekte informieren wollen, oder für Medien, die nach zusätzlichen Daten zur Luftqualität für ihre Wettervorhersagen suchen.

Bewohner können selbst entscheiden 

Gemeinsam mit dem finnischen Unternehmen Proximi.io entwickelt das Unternehmen eine App, die den Nutzerinnen und Nutzern zeigen soll, wo sie in möglichst unbelasteter Luft spazieren gehen können. Gleichzeitig informiert die App die Menschen genauer über die Luftverschmutzung um sie herum. „Die Leute brauchen unbedingt ausreichende und gute Daten über die Luftqualität. Nur so können sie sich selbst schützen und Veränderungen fordern“, sagt Heinecke.

Breeze Technologies hat mithilfe der Daten aus seinem Sensornetz und von öffentlichen Einrichtungen ein Bürgerportal geschaffen, in dem sich alle Interessierten kostenlos über die Luftqualität informieren können. Im Moment geht dies nur in einigen deutschen Städten wie Hamburg, Köln und Berlin. Aber mit dem Wachstum des Firmennetzwerks wird auch die interaktive Karte größer, verspricht Heinecke. Die Kunden des Unternehmens entscheiden dabei selbst, ob sie die Informationen ihrer Sensoren teilen wollen. Wer dazu bereit ist, erhält von Breeze Technologies einen Rabatt.

Laut Heinecke gehört es zur Firmenphilosophie, Transparenz zu fördern. Egal, ob Einzelpersonen, öffentliche Stellen oder Unternehmen – alle sollen fundierte Entscheidungen über die Umgebung treffen können, in der sie leben und arbeiten.

„Wir sehen uns als soziales Start-up, und eines unserer Ziele ist es, das Problem der Luftverschmutzung zu verringern und zu lösen“, sagt Heinecke. „Wenn wir in 20 oder 30 Jahren so weit sind, dass jede Einrichtung, jedes Unternehmen, jede Stadt oder jede NGO, die mit uns zusammengearbeitet hat, die Luftqualität so weit verbessern konnte, dass wir alle ein bequemes und gesundes Leben führen können, dann können wir bei Breeze Technologies sagen: Wir waren erfolgreich.“