Rede von Vizepräsident Ambroise Fayolle beim DIW in Berlin: „Wie kann der klimagerechte Umbau der Wirtschaft in Deutschland und Europa gelingen?


Gegen Lieferung prüfen


>@Donata Riedel/EIB

Lieber Herr Professor Fratzscher,

liebe Frau Professor Kemfert,

vielen herzlichen Dank für den freundlichen Empfang bei Ihnen am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Sehr geehrte Damen und Herren,

nächste Woche beginnt die UN-Klimakonferenz in Glasgow, und es ist mir eine Freude, gemeinsam mit Ihnen allen hier über Wege zu einer klimaneutralen Wirtschaft in Deutschland und Europa zu sprechen.

Schwere Überschwemmungen im Ahrtal mit fast 200 Toten, heftige Regenfälle in vielen Teilen Europas und verheerende Waldbrände weltweit haben uns in diesem Sommer gezeigt: Der Klimawandel ist längst da. Die Zeit der Warnungen ist endgültig vorüber.

Wir müssen handeln!

Mit Freude habe ich gelesen, dass in Berlin die Parteien, die nach der Bundestagswahl jetzt über eine Ampel-Koalition verhandeln, erste Schritte vereinbart haben:

  • Sie wollen schneller aus dem Energieträger Kohle aussteigen.
  • Sie wollen eine Innovations- und Digitalisierungsoffensive starten.
  • Und sie wollen nächstes Jahr ein umfassendes Klimaschutz-Programm auf den Weg bringen mit dem Ziel, die Wirtschaft bis 2045 klimaneutral umzubauen.

Für ein Industrieland wie Deutschland ist dies eine gewaltige Aufgabe, und ich habe keinesfalls zufällig Innovation und Klimaschutz in einem Satz erwähnt: Um das Ziel Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, würden wir in Industrien wie Stahl und Chemie eigentlich heute schon die Technologien brauchen, die wir gerade erst entwickeln ­– zum Beispiel grünen Wasserstoff. Wir brauchen also mehr und schneller Innovationen. Und wir müssen auch bereit sein, sie zu finanzieren.

Denn der Finanzbedarf ist gewaltig: Für Deutschland werden jährlich 50 Milliarden Euro an zusätzlich notwendigen Investitionen genannt, für die EU schätzen unsere Volkswirte die Summe auf 350 Milliarden Euro – jedes Jahr bis 2030.

Hier darf ich ein wenig Werbung für uns, für die Europäische Investitionsbank, machen: Unser strategischer Fokus liegt seit langem auf kritischen Investitionslücken, die es überall in der EU gibt. Und wir stehen bereit, die Entwicklung vielversprechender Technologien ab der Frühphase bis zur industriellen Einsatzreife mitzufinanzieren.

Früh haben wir die Entwicklung von Windparks und Solaranlagen unterstützt, auch in Deutschland. Heute sind die Preise für erneuerbare Energien wettbewerbsfähig.

Wir wollen auch die Entwicklung neuer bahnbrechender Technologien wie grünen Wasserstoff und fortschrittliche Energiespeicher fördern.

Wie überall in Europa sehen wir auch in Deutschland große Investitionslücken, die zu schließen gerade mit Blick auf das Klima wichtig ist. Wir bei der EIB sehen Handlungsbedarf vor allem in vier Bereichen:

  1. Renovierungen von Wohnungen, vor allem von Sozialwohnungen: Die Modernisierungsrate ist zu niedrig. Dabei machen Immobilien EU-weit 36 Prozent der CO2- Emissionen aus. Der Vorteil hier: Die Technologien dafür sind da.
  2. Unterstützung der CO2-intensiven Wirtschaftszweige bei der Dekarbonisierung. Stahl, Chemie, Automobilindustrie stehen vor einem gewaltigen Umbau. Wir dürfen hier nicht übersehen: Jenseits der Finanzierung ist es für Industrien mit langen Investitionszyklen entscheidend, dass die Politik klare langfristige Dekarbonisierungsziele setzt – und dann den Weg auch wirklich geht. Unternehmen brauchen Verlässlichkeit.
  3. Die Menge der grünen Energie, die in Deutschland zur Verfügung steht, ist nicht ausreichend. Wir müssen mehr in Wind und vor allem in die Netze investieren, um die großen Chancen modernster Offshore-Windparks zu nutzen.
  4. Öffentliche Verkehrsmittel sind ein weiterer Schwerpunkt: Nur wenn sie energieeffizient und attraktiv für ihre Fahrgäste sind, kann der Verkehr klimafreundlich werden. In Deutschland finanzieren wir deshalb den Bau moderner Nahverkehrszüge.

Für die Transformation der Wirtschaft werden Milliarden-Investitionen notwendig. Um die öffentlichen Haushalte nicht zu sehr zu belasten, sollte der Privatsektor viel stärker in die Finanzierung einbezogen werden.

Es gibt aber auch weitere Gründe dafür: Beim grünen Umbau der Wirtschaft entstehen neue Geschäftsfelder mit neuen Gewinnchancen. Industrien haben ein Eigeninteresse an ihrer Modernisierung. Die deutsche Autoindustrie ist hoch profitabel und damit nicht in großem Umfang auf Subventionen angewiesen.

Um den Wandel zu organisieren und Projekte mit günstigen Krediten zu finanzieren, können Förderbanken wie die EIB und die KfW künftig eine noch wichtigere Rolle spielen. Und die EU hat mit dem Green Deal und dem Aufbaufonds NextGenerationEU neue Milliardenprogramme geschaffen. Die neue Bundesregierung sollte die Möglichkeiten nutzen, die sich hier bieten.

Und es ist nicht nur Geld, sondern auch Expertise, die Förderbanken einbringen können. Es gibt ein Beispiel aus der Covid-Krise, auf das wir bei der EIB besonders stolz sind: Anfang 2020 haben wir in Rekordzeit für BioNTech die damals entscheidenden 100 Millionen Euro für die Impfstoffentwicklung bereitgestellt. Wir konnten dies nur deshalb, weil wir die mRNA-Forschung bei BioNTech schon seit Jahren kannten und deshalb die Chancen erkennen konnten.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich unsere neue Klima-Umfrage vorstellen:

Auch wenn die Europäer aktuell über hohe Gas- und Benzinpreise klagen: Mut machen sollte uns allen – vor allem auch der neuen Bundesregierung –, dass es starken Rückenwind in der Bevölkerung für ein entschiedenes Vorgehen gegen den Klimawandel gibt.

Wir haben heute unseren neuen Climate Survey veröffentlicht. Es ist eine repräsentative Umfrage, an der 30 000 Menschen in 30 Ländern zu ihren Einschätzungen zum Klimawandel und ihren Erwartungen an ihre Regierungen befragt wurden. Für Deutschland lautet ein Ergebnis:

  • 63 Prozent der Deutschen befürworten strengere staatliche Maßnahmen, die Verhaltensänderungen der Menschen erzwingen.
  • 77 Prozent halten den Klimawandel und seine Folgen für die schwierigste Aufgabe, die die Menschheit bewältigen muss.
  • Und 72 Prozent der Deutschen merken bereits, dass sich der Klimawandel auf ihren Alltag auswirkt.

Dass Regierungen mehr tun sollten, um ein klimafreundlicheres Verhalten der Bürgerinnen und Bürger durchzusetzen, ist nach unserer Umfrage weltweit mehrheitsfähig: 91 Prozent der Chinesen, 73 Prozent der Briten, 70 Prozent der EU-Bürger und 60 Prozent der US-Bürger verlangen dies.

Klare Mehrheiten verlangen also geradezu von ihren Regierungen Regeln, die für alle gelten, die klimaschädliches Verhalten ahnden und die klimagerechtes Verhalten belohnen.

Die meisten Deutschen würden zudem eine Steuer auf diejenigen Produkte und Dienstleistungen begrüßen, die am stärksten zur Erderwärmung beitragen. Sie sind auch dafür, Kurzstreckenflüge durch umweltfreundliche Schnellzugverbindungen zu ersetzen.

Im Vorfeld der UN-Klimakonferenz COP 26 nächste Woche in Glasgow geben die Bürgerinnen und Bürger ihren Regierungen also einen klaren Auftrag, mehr zu tun, um die grüne Wende zu beschleunigen.

Allerdings: Obwohl die Mehrheiten weltweit für die Klimawende groß sind, so gibt es doch viele – auch in Deutschland –, die erneuerbare Energien ablehnen und weiter lieber Diesel- statt Elektroautos fahren wollen.

Auch in Deutschland gibt es eine Spaltung in der Gesellschaft: Politisch eher links eingestellte und jüngere Menschen treten klar für strenge Klima-Maßnahmen ein. Eher rechts eingestellte und ältere Menschen halten weniger davon.

Umfragen sind immer Momentaufnahmen. Deshalb dürfen wir die Augen nicht davor verschließen, dass auf dem langen Weg zur Klimaneutralität immer wieder neue Hürden auftreten könnten, die die Einstellungen der Menschen schnell und deutlich verändern.

Ausgerechnet jetzt, zum Beginn der kalten Jahreszeit, sind die Gas- und Benzinpreise stark gestiegen. Die ersten EU-Regierungen scheuen bereits vor der Einführung von CO2-Preisen zurück. Ja, es wird sogar wieder über das Gegenteil – Preissubventionen für fossile Brennstoffe – diskutiert.

Die Sorge der Regierungen ist verständlich. Denn die kurzfristig starke Preiserhöhung trifft vor allem die Ärmeren hart – und zwar heute!

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz erläutern, wie wir uns intern umbauen, um Europas Klimabank zu werden

Denn wir selbst sind ebenfalls im Übergang. Wir wollen die Klimabank der Europäischen Union sein und haben uns grundsätzlich die Frage gestellt: Wie können wir als multilaterale Finanzorganisation am besten den Übergang zu einer grünen Wirtschaft unterstützen?

Die Antworten finden Sie in unserer Climate Bank Roadmap, dem Fahrplan zur Klimabank, den wir vor einem Jahr beschlossen haben, mit qualitativen und quantitativen Zielen.

Qualitativ heißt: Alle unsere Aktivitäten müssen mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens in Einklang stehen. Ab 2021 müssen alle neuen Projekte das Ziel unterstützen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Natürlich mussten wir entscheiden, was wir künftig mehr, was wir weniger, und was wir gar nicht mehr finanzieren.

Zum Beispiel: In der Landwirtschaft fördern wir keine Projekte mehr, die den Tierbestand erhöhen, weil dies den Kohlenstoff-Ausstoß erhöhen würde. Ebenso wenig fördern wir Erweiterungen von Flughafen-Kapazitäten. Für unsere Projekte berechnen wir außerdem die Schattenkosten durch den CO2-Ausstoß. Dies ist Bestandteil der Wirtschaftlichkeitsprüfung für neue Straßen.

Die Finanzierung von Kraftwerken zur Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen ohne CO2-Minderung haben wir bereits 2019 eingestellt.

Auf der quantitativen Seite haben wir beschlossen, unsere Unterstützung für den grünen Wirtschaftsumbau zu erhöhen. Bis 2025 wollen wir mehr als die Hälfte unserer Mittel auf Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit konzentrieren. Das bedeutet: Wir werden dafür 30 Milliarden Euro pro Jahr bereitstellen, statt 15 bis 20 Milliarden heute.

Und um zu zeigen, wie wir als EU-Klimabank vorangehen, wollen wir auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow nächste Woche zwei neue Pläne vorstellen:

Erstens werden wir einen „Adaptation Plan“ vorlegen, der hilft, die Schäden durch den Klimawandel einzudämmen und unsere Gesellschaften besser auf häufigere Wetterextreme oder den Anstieg des Meeresspiegels vorzubereiten. Für solche Anpassungen wollen wir bis 2025 15 Prozent unserer Klima-Finanzierungen bereitstellen, dreimal so viel wie heute.

Unser zweiter Beitrag zur COP 26 wird sein, dass wir bei unseren Projekten künftig darauf achten, wie unsere Kreditnehmer und Geschäftspartner die Pariser Ziele umsetzen: Von Finanzinstituten verlangen wir klimarelevante Informationen, und von Unternehmen Dekarbonisierungs- und Resilienz-Pläne.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen:

Der Übergang zu einer grünen, widerstandsfähigen und inklusiven Gesellschaft wird nicht einfach. Nicht alle Regionen und Branchen starten am gleichen Ausgangspunkt. Wir müssen sicherstellen, dass Klimaschutz nicht ärmere Menschen besonders hart trifft.

Niemand darf zurückgelassen werden!

Wir müssen unsere knappen öffentlichen Ressourcen besser nutzen und private Investitionen für Klima- und Umweltschutz mobilisieren. Ohne Privatinvestitionen werden wir nicht erfolgreich sein.

Meine Damen und Herren: Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Ich freue mich auf die Diskussion