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    Der nachfolgende Text gibt die Ansicht des Autors wieder, die nicht unbedingt der Sichtweise der Europäischen Investitionsbank entspricht.

    Sie können dieses Essay hier herunterladen.


    Die Coronavirus-Pandemie hat gezeigt, dass unerwartete Ereignisse von jetzt auf gleich unser Leben verändern können. In Zukunft könnten weitere Bedrohungen auf uns zukommen, die unsere Sicherheit, Gesundheit und Umwelt, aber auch unsere sozialen Strukturen, unsere Werte und unsere globale Wettbewerbsfähigkeit gefährden.

    Deshalb müssen wir die europäische Idee neu denken und auf eine neue Grundlage stellen. Wir brauchen innovative, mutige Lösungen für eine bessere und nachhaltigere Zukunft. Nur dann kann Europa sein Versprechen einlösen.

    Wir brauchen einen „New Deal für das Kulturerbe Europas“, eine kulturgeleitete Transformation unserer Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt.

    © Europa Nostra

    SCHLOSS VERSAILLES, SPIEGELSAAL. DAS GEMEINSAME ERBE EUROPAS IST EIN SPIEGEL UNSERER GEMEINSAMEN KULTUR UND GESCHICHTE.

    Die Vergangenheit ist nie vorbei. Unsere Geschichte ist kein geschlossenes Buch. Und was gewesen ist, ist nicht vergangen.

    • Hermann Parzinger

    Ob es uns gefällt oder nicht, wir sind alle untrennbar mit unserer Vergangenheit verbunden. Das Kulturerbe Europas ist das direkte Ergebnis dessen, was unsere Vorfahren getan, bewirkt und entschieden haben. Frühere und heutige Generationen haben – gemeinsam – ein komplexes und vielschichtiges Gesamtkunstwerk geschaffen. Jetzt ist es an uns, dieses zu bewahren und weiter daran zu arbeiten. Es ist an der Zeit anzuerkennen: Dieses gemeinsame Erbe, dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit ist das wahre Fundament, auf dem Europa steht.

    Das Kulturerbe Europas ist ein riesiges, facettenreiches Mosaik – komplex und in sich zusammenhängend. Es entstammt nicht einer bestimmten Epoche oder einem einzelnen Gemeinwesen oder Land. Es zeigt uns, wie unser Leben in einer langen Linie mit Generationen verbunden ist, die vor uns kamen und nach uns folgen. Unser kulturelles Erbe spiegelt, wer wir waren, wer wir sind und wer wir sein wollen. Es hilft uns bei der Interpretation unserer bisherigen Erfolge und Misserfolge. Bei genauerer Betrachtung entdecken wir schnell, dass unser gesamtes Kulturerbe wahrhaftig so lokal wie europäisch ist – und oft mit anderen Kulturen in aller Welt verbunden.

    Die Covid-19-Pandemie, die wie ein Tsunami über die Welt hereinbrach, führt uns deutlich vor Augen, dass wir nicht isoliert leben. Viren kümmern sich nicht um Grenzen, politische Anschauungen oder Nationalitäten. Die Pandemie hat uns gezeigt, wie fragil die Grundfesten unserer Gesellschaft sind. Sie hat auch den meisten Menschen in Europa deutlich gemacht, dass wir weit mehr sind als nur eine Ansammlung von Ländern. Die Gründungsväter und -mütter der Europäischen Union wussten es nur zu gut: Unsere Union ist nicht der Beginn, sondern eine Folge unserer europäischen Geschichte. Europa ist kein abstraktes politisches Gebilde. Es ist vielmehr das Ergebnis der Vernetzung aller, die in Europa leben und gelebt ha

    © Europa Nostra

    SYMBOLTRÄCHTIGE KULTURERBESTÄTTEN WIE DIE AKROPOLIS IN ATHEN BILDEN DAS KULTURELLE FUNDAMENT DES GESAMTEN EUROPÄISCHEN PROJEKTS.

    Wir sind so viel mehr als ein Bündel von Handelsabkommen, ein militärisches Bündnis oder ein Forschungskonsortium! Europa lässt sich nicht mit Entscheidungen über Wettbewerbsregeln, Verbraucher- und Datenschutz oder Arbeitsrecht fassen, so wichtig sie alle sind. Was Europa wirklich ausmacht, sind vor allem unsere Verbindungen, als Individuen und Gemeinschaften – jenseits von Voreingenommenheiten und Grenzen, Sprachen und Zeit. Diese Beziehungen bilden das Fundament unseres Europa, wie wir es heute kennen. Bei all ihren schlimmen Folgen bietet die Pandemie vielleicht auch die Chance, neu zu ergründen und zu bestimmen, was uns verbindet und was wir gemeinsam erreichen wollen.

    Wir müssen das europäische Projekt neu denken. Nur dann kann Europa sein Versprechen einlösen.

    Trotz unserer nationalen, lokalen und persönlichen Differenzen müssen wir uns einigen, wie der weitere Weg zu einem sicheren, blühenden, nachhaltigen und inklusiven Europa aussehen soll. Wir müssen uns auf das konzentrieren, was uns zusammenbringt, nicht auf das, was uns trennt. Und unser kulturelles Erbe ist das Bindeglied in diesem schwierigen Puzzle. Wenn wir wollen, dass Europa ein Leuchtturm der Hoffnung und der Solidarität in einer verletzlichen Welt ist, müssen wir unsere Gemeinsamkeiten und unser aller Fundament – das, was uns verbindet – wiederentdecken und stärken.

    Die Covid-19-Krise hat in beispielloser Weise deutlich gemacht, dass unerwartete Entwicklungen unsere Gesellschaft von jetzt auf gleich grundlegend verändern können. Die Zukunft wird zweifellos noch weitere Bedrohungen für unsere Sicherheit und Gesundheit, das Klima und die Umwelt offenbaren. Sie werden vieles auf die Probe stellen: unsere Lebensweise, unsere weltweite Wettbewerbsfähigkeit, aber auch unsere Gesellschaftsstrukturen und Werte, einschließlich der Rechtsstaatlichkeit. Deshalb müssen wir das europäische Projekt neu denken und auf eine neue Grundlage stellen. Wir brauchen neue, mutige Lösungen für eine bessere und nachhaltigere Zukunft. Nur dann kann Europa sein Versprechen einlösen.

    © Felix Quaedvlieg

    DER „BERLINER AUFRUF ZUM HANDELN“ WURDE AUF DEM VON EUROPA NOSTRA MITORGANISIERTEN EUROPÄISCHEN KULTURERBEGIPFEL 2018 IN DER DEUTSCHEN HAUPTSTADT VERKÜNDET.

    EIN NEW DEAL FÜR DAS KULTURERBE EUROPAS

    Wir brauchen einen New Deal für das Kulturerbe Europas. Unsere Städte und Landschaften, aber auch die vielen tausend Denkmäler und Kulturstätten, die unsere reichen und vielfältigen Kulturen, unsere Geschichte und universelle Werte, Ideen und Gesetze sowie die Kunst und Wissenschaft widerspiegeln, sind die idealen Bausteine, um ein so ehrgeiziges Ziel zu erreichen. Ich bin fest überzeugt: Ein New Deal für das Kulturerbe Europas ist nicht nur notwendig, sondern auch möglich – durch einen kulturgeleiteten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Wandel in Europa, der von der Zivilgesellschaft vorangetrieben und von lokalen, regionalen, nationalen und europäischen Organisationen und Einrichtungen unterstützt wird. Der große Erfolg des ersten Europäischen Kulturerbejahres 2018 zeigt, welches Potenzial in dieser Idee liegt. Viele Menschen nahmen die Gelegenheit wahr, das kulturelle Erbe Europas zu entdecken und sich darauf einzulassen. Sie konnten das Gefühl der Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen europäischen Raum spüren. Über das Jahr verteilt gab es 23 000 Veranstaltungen in 37 Ländern. Erstmals beschloss die Europäische Kommission auch einen Europäischen Aktionsrahmen für das Kulturerbe, der eine umfassende und ganzheitliche Vision für den Erhalt, die Verwaltung und die Pflege des europäischen Kulturerbes formuliert.

    2018 fand das erste Europäische Kulturerbejahr mit 23 000 Veranstaltungen in 37 Ländern statt.

    Der Schlüssel zum Erfolg des New Deal für das Kulturerbe Europas liegt in der Zivilgesellschaft, das scheint mir offenkundig. Wenn Gemeinschaften gut organisiert sind, werden sie in fast allen Lebensbereichen kreativer und verantwortungsbewusster. Das gilt auch für den Umgang mit dem kulturellen Erbe. Statistiken, Zahlen oder Fakten genügen nicht. Wir müssen die Herzen und Köpfe der Menschen in Europa erreichen. Wie könnte das mit dem New Deal für das Kulturerbe gelingen? Durch den Erhalt und die Restaurierung von Zehntausenden von Denkmälern, Kulturstätten und Landschaften in ganz Europa.

    © Muzeum Górnictwa Węglowego w Zabrzu

    DIE ERINNERUNG AN DEN KOHLEBERGBAU UND SEIN KULTURERBE MÜSSEN FÜR KÜNFTIGE GENERATIONEN ERHALTEN BLEIBEN. DER STOLLENKOMPLEX „KÖNIGIN LUISE“ IN ZABRZE, OBERSCHLESIEN, POLEN (EU/EUROPA NOSTRA, GROSSER PREIS 2019).

    Durch den gemeinsamen Einsatz für die vergessenen Bereiche in unserer Nachbarschaft, für die kleinen Dörfer, die um ihr Überleben kämpfen – und für die alten Industriestädte, die ihre Seele verloren haben. Erfolge wie die sanierten Industriegebiete im französischen Lille, im polnischen Kattowitz und im britischen Manchester können uns dabei als Vorbild dienen. Wir müssen außerdem den Massentourismus durch ein nachhaltigeres und verantwortungsvolleres Reisen ersetzen und auch weniger bekannte Ziele fördern, damit sich die Besucher gleichmäßiger auf Europa verteilen. Organisationen der Zivilgesellschaft, getragen von örtlichen Gruppen und der breiten Öffentlichkeit, sind bestens aufgestellt, um die Revitalisierung des europäischen Kulturerbes voranzubringen. Denn klar ist: Wir können nicht jede Kulturstätte und jedes Denkmal allein mit öffentlichen Geldern retten. Wir müssen dafür auch das Potenzial des Privatsektors nutzen.

    Die von mir geleitete Organisation Europa Nostra [2] erforscht, bewahrt, würdigt und fördert seit über 55 Jahren europaweit das kulturelle Erbe. Im Pariser Manifest[3] vom 30. Oktober 2019 bekräftigten Akteure aus dem Kulturerbesektor mit Unterstützung von Europa Nostra, dass unser gemeinsames kulturelles Erbe im Mittelpunkt des europäischen Projekts stehen muss. Ohne dieses Erbe würde und könnte es Europa nicht geben. Es ist die Grundlage für das, was „europäisch sein“ bedeutet. Und es ist auch der Kern dessen, wofür Europa Nostra steht, unsere Raison d’Être.

    Die Internationale Studienzentrale für die Erhaltung und Restaurierung von Kulturgut schreibt in ihrem kürzlich erschienenen Artikel What Constitutes a Good Life: [4] „Obwohl stillschweigend anerkannt wird, dass Kultur zum Wohlbefinden beiträgt, steckt dieser Aspekt politisch betrachtet noch in den Kinderschuhen. [...] Wenn Kultur als Freizeitvergnügen abgetan wird, wenn wir Kulturbewusstsein nicht als Lebensweise anerkennen, die Menschen eine Existenzgrundlage verschafft und zugleich Identität stiftet, dann vertun wir Chancen, unserem Leben einen Sinn und Wert zu geben.“ Am 9. Mai 2020, dem Europatag, veröffentlichte die European Heritage Alliance ein weiteres Manifest: Kulturerbe: Ein mächtiger Katalysator für die Zukunft Europas. [5] Es nennt sieben miteinander vernetzte Felder, auf denen kulturelles Erbe einen gesellschaftlichen Wandel zum Besseren bewirken kann: 1. Europa heilen; 2. Europa sein; 3. Europa digital transformieren; 4. Europa grün machen; 5. Europa erneuern; 6. Europa erleben; 7. Die Welt umarmen. Das Manifest ist Ausdruck der festen Überzeugung, dass wir in Europa auf die Covid-19-Pandemie mit einer längst überfälligen, weitreichenden Veränderung unserer Lebensweise reagieren müssen.

    © Europa Nostra

    DER TURKU-ARCHIPEL IN FINNLAND IST EIN BEISPIEL FÜR EINE HARMONISCHE VERBINDUNG ZWISCHEN LOKALEN GEMEINSCHAFTEN, NATUR UND KULTURERBE.

    Zu lange schon prägen unterschiedliche Sichtweisen bis hin zu Misstrauen das Verhältnis der Menschen in Europa zu den europäischen Institutionen. Irgendwie haben wir uns aus den Augen verloren und scheinen einander manchmal nicht richtig zu verstehen. Für viele Menschen beschäftigt sich Europa immer noch zu sehr mit Zahlen, Vorschriften, Institutionen, Slogans und schnellen Scheinlösungen. Dies schadet unseren Empfindungen und Gedanken über das europäische Projekt und gefährdet bisweilen gar das Projekt an sich.

    Heute sind die Institutionen der Europäischen Union eifrig bemüht, die Kluft zu überbrücken – durch weitsichtige Konzepte, die Antworten geben auf drängende gesellschaftliche Herausforderungen vom Klimawandel bis zum Gesundheitsnotstand, von der digitalen Transformation bis zu nachhaltiger Entwicklung, von sozialem Zusammenhalt bis zu Migration, von der Medienfreiheit bis zur Achtung der Rechtsstaatlichkeit. Als Reaktion auf verbreitete Sorgen und nach Konsultationen mit der Zivilgesellschaft rücken die Führungsspitzen Europas die europäischen Werte und die Förderung der europäischen Lebensweise wieder stärker in den Vordergrund. All dies bedeutet mehr Unterstützung für Kultur und Bildung als unverzichtbare Investition in das Humankapital Europas.

    Diese Ambitionen, die überaus zu begrüßen sind, bekräftigte auch die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen am 16. September 2020 im Europäischen Parlament in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union. [6] Sie forderte als Teil der Umsetzung des europäischen Grünen Deals ein „neues Kulturprojekt für Europa“ und ein „neues europäisches Bauhaus“[7] – einen Raum, in dem Architekten, Kunstschaffende, Studierende, Ingenieurinnen und Designer gemeinsam und kreativ an diesem Ziel arbeiten.

    © LRMH

    DER SCHUTZ VON KULTURERBE ERFORDERT UNTERSCHIEDLICHSTE FÄHIGKEITEN UND SCHAFFT VIELE ARBEITSPLÄTZE.

    Wenn es uns gelingt, unser Erbe und unsere Kultur als Katalysator für Wandel und als Kernelement eines „neuen europäischen Bauhauses“ zu nutzen, wird sich dies mehr als auszahlen.

    Wir haben eine einmalige Chance. Denn die beispiellose Krise, die wir erleben, eröffnet auch beispiellose Möglichkeiten. Wenn es uns gelingt, unser kulturelles Erbe und unsere lebendige europäische Kultur, die sich ständig weiterentwickelt, als starken Katalysator für Wandel und als Kernelement eines „neuen europäischen Bauhauses“ zu nutzen, wird sich dies mehr als auszahlen. Deshalb plädiere ich für einen New Deal für das Kulturerbe Europas als integralen Bestandteil der notwendigen sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen und kulturellen Transformation unseres Kontinents

    © Europa Nostra

    DIE HISTORISCHE OLIVENBAUM-LANDSCHAFT VON EL SÉNIA, SPANIEN (EU/EUROPA NOSTRA, GROSSER PREIS 2014).

    KULTURERBE: EUROPAS ZUKUNFTSPOTENZIAL

    Unser gemeinsames Erbe ist ein Kernstück der DNA und der Identität Europas. Die Zukunft des europäischen Projekts hängt davon ab, ob die Bürgerinnen und Bürger mit dem Herzen und aus Überzeugung dahinterstehen. Die Eurobarometer-Ergebnisse [8] für das Europäische Kulturerbejahr sprechen für sich: 84 Prozent der Menschen in Europa finden das kulturelle Erbe für ihre Gemeinschaft und für sich persönlich wichtig. Überwältigende 91 Prozent finden es für ihr Land wichtig. Die Europäer sind sich in vielem uneins, aber ihre Unterstützung für das kulturelle Erbe ist unstreitig. Den meisten ist auch bewusst, dass ihr lokales Erbe in einem gesamteuropäischen Kontext steht, in dem unser Erbe und unsere Geschichte miteinander verwoben sind.

    84 Prozent der Menschen in Europa finden das kulturelle Erbe für ihre Gemeinschaft und für sich persönlich wichtig, 91 Prozent finden es für ihr Land wichtig.

    Die Investitionen in unser kulturelles Erbe reichen in weiten Teilen nicht aus – sie sollten im Rahmen des vorgeschlagenen New Deal für das Kulturerbe Europas gefördert und erhöht werden. Die von mehreren Universitäten und Kulturorganisationen wie Europa Nostra geförderte Studie Cultural Heritage Counts for Europe [9] belegt mit harten Fakten und Zahlen: Kulturelles Erbe ist eine solide Investition. Zu diesem Ergebnis kommt auch der Bericht zum Projekt Kultur für Städte und Regionen[10] von EUROCITIES, einem Mitglied der European Heritage Alliance. Beide Berichte zeigen überdies, dass wir die Fakten richtig verstehen müssen.

    In die Berechnungen zur Beschäftigung im Kulturerbesektor fließen oft nur Restauratoren, Architektinnen oder Kuratoren ein, die an Kulturstätten und in Museen arbeiten. Dabei deckt dies keineswegs das gesamte Spektrum der Arbeitsplätze ab, die direkt oder indirekt mit unserem Kulturerbe verbunden sind. Europa erzielt mit Kulturgütern einen Handelsüberschuss von fast neun Milliarden Euro. Daran sehen wir, welche Bedeutung unsere Kultur- und Kreativwirtschaft auf dem Weltmarkt hat. Für viele Menschen in aller Welt ist Europa der „Kontinent der Kultur“.

    © Luis Davilla / Getty Images

    WIE FINDEN WIR DAS RICHTIGE GLEICHGEWICHT ZWISCHEN TOURISMUSENTWICKLUNG UND DENKMALSCHUTZ IN HISTORISCHEN STÄDTEN? DUBROVNIK (KROATIEN) – ZULETZT ALS SCHAUPLATZ VON GAME OF THRONES NOCH BERÜHMTER GEWORDEN.

    After the manufacturing and construction industries, tourism is the largest contributor to the European Union’s GDP.

    Man denke nur an all die Produkte, die auf unseren reichen historischen Traditionen beruhen – von Schmuck bis zu Wein, von Mode und Design bis hin zu geschützten Produkten der regionalen Landwirtschaft. Oder an den Tourismus: Mit fast 600 Millionen Auslandsgästen pro Jahr ist Europa bei Weitem der meistbesuchte Erdteil. London und Paris gehören zu den meistbereisten Städten der Welt. Und mindestens 40 Prozent der Besucher interessieren sich für die Kultur. Nach dem verarbeitenden Gewerbe und dem Bausektor leistet der Tourismus den größten Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt der Europäischen Union. Mit seinem Kultur- und Naturerbe ist Europa auch ein beliebter Schauplatz für Filme und Fernsehserien (wie die kroatische Weltkulturerbestadt Dubrovnik in Game of Thrones oder die griechischen Inseln Skiathos und Skopelos in Mamma Mia), die Millionen von Euro wert sind. Covid-19 hat in all diesen Bereichen zu dramatischen Einbrüchen geführt, aber auf lange Sicht werden sich die Trends fortsetzen.

    Dank unserer reichen kulturellen Traditionen stehen unsere europäischen Produkte und Dienstleistungen für Qualität und Zuverlässigkeit. Von diesem Image profitieren auch unsere Finanzinstitute und Versicherungen, unsere Industrieprodukte und ihre Hersteller. Europa ist Sitz der ältesten Bank der Welt (Monte dei Paschi di Siena) wie auch der ältesten Universität (Alma Mater Studiorum – Università di Bologna). All das macht Europa so besonders.

    © Europa Nostra

    IN DER REGION LA RIOJA IN NORDSPANIEN ZIEHT DIE KOMBINATION VON INNOVATIVER ARCHITEKTUR MIT ALTEN WEINGÜTERN IMMER MEHR BESUCHER AN. HIER DAS VON FRANK GEHRY GESTALTETE HOTEL MARQUÉS DE RISCAL IN ELCIEGO.

    FÜR EINE KULTURGELEITETE TRANSFORMATION

    Welch vielfachen Nutzen das kulturelle Erbe stiftet, ist nicht nur durch unabhängige Forschung belegt. Der Städtevergleich „Kultur und Kreativität“[11] der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission ergab: „Kulturelle Dynamik“ und ein förderliches „Kulturumfeld“ zahlen sich spürbar aus. Städte, die dies bieten, ziehen mehr Arbeitsplätze und Menschen an als andere. Im ländlichen Raum fördert die Wiederherstellung und Revitalisierung von Kultur- und Naturerbe ein nachhaltiges Wachstum und den ökologischen Wandel. Die von der Generaldirektion Forschung und Innovation der Europäischen Kommission eingesetzte Horizont-2020-Expertengruppe für das kulturelle Erbe kam zu dem Schluss, dass sich „relativ bescheidene Investitionen in das Kulturerbe erheblich lohnen können. Und zwar wirtschaftlich wie auch für die ökologische Nachhaltigkeit und den sozialen Zusammenhalt.“[12] Dies sollte für die Europäische Union Grund genug sein, in einen New Deal für das Kulturerbe Europas zu investieren und die verfügbaren Geldtöpfe dafür zu nutzen: die Strukturfonds der Europäischen Union, den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums, den Europäischen Sozialfonds und das Instrument für Heranführungshilfe sowie das kürzlich verabschiedete Aufbaupaket NextGenerationEU.

    In rural areas, the restoration of cultural and natural heritage contributes to growth based on sustainability and the green transformation.

    Der vorgeschlagene New Deal für das Kulturerbe steht für klügere Investitionsentscheidungen, die nachhaltige und messbare Verbesserungen für die lokale Bevölkerung und ihr Lebensumfeld bringen. Wir brauchen gut geplante Investitionen, um unsere Landschaften und den ländlichen Raum zu regenerieren, unsere Innenstädte in neuer Schönheit wieder zum Leben zu erwecken und innovative Wege zu finden, wie wir unser kulturelles Erbe nutzen können, um lokale Gemeinwesen zu stärken und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wir müssen auch die digitale Transformation in vollem Umfang angehen und nutzen, um die Wirkung unserer Maßnahmen zu verstärken. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn wir die Zivilgesellschaft aktiv beteiligen, allen voran die lokale Bevölkerung. Dazu brauchen wir die Unterstützung der Länder, Regionen und Kommunen, die europäischen Institutionen sowie gemeinnützige Stiftungen, die Wirtschaft und den Privatsektor.

    © Fondazione Banco di Napoli

    DIE HISTORISCHEN ARCHIVE DER STIFTUNG BANCO DI NAPOLI ÖFFNEN SICH MIT DIGITAL STORYTELLING, KURZFILMEN UND THEATERAUFFÜHRUNGEN DER JUNGEN GENERATION (ILCARTASTORIE, PREISTRÄGER 2017, KATEGORIE BILDUNG, AUSBILDUNG UND BEWUSSTSEINSBILDUNG).

    Wir sollten das Europäische Solidaritätskorps besser nutzen, damit junge Menschen als Freiwillige oder Berufstätige an Kulturerbestätten, in Naturparks oder auf Kulturfestivals arbeiten können.

    Wir sollten ebenso aufhören, multikulturelle Hintergründe als Hindernis zu betrachten, und sie stattdessen als Bereicherung und Chance begreifen. Interkultureller Austausch und kreative Ideen beeinflussen in Verbindung mit neuen Technologien fortlaufend unser Leben. Unsere Kultur und unser Kulturerbe sind nicht statisch, sondern ständig in Bewegung. Das komplexe, vielschichtige „Thema mit Variationen“ der europäischen Kultur verändert und entwickelt sich, weil neue Stimmen, Instrumente und Melodien hinzukommen. Manchmal braucht es eine Weile, neue Harmonien zu finden. Aber wir alle sind Teil eines großen Chors und Orchesters. Wir alle zusammen schaffen diese eklektische Musik und lassen sie gemeinsam erklingen.

    © Alliance for the Protection of the National Theatre

    DAS ALBANISCHE NATIONALTHEATER, 2020 AUF DER LISTE DER 7 AM STÄRKSTEN GEFÄHRDETEN KULTURERBESTÄTTEN, WURDE BEDAUERLICHERWEISE IM MAI 2020 ABGERISSEN.

    GEMEINSAM GEFÄHRDETES KULTURERBE RETTEN

    Dank der Fähigkeiten und des Engagements von Millionen von Fachleuten und Freiwilligen können wir auch heute noch einen Großteil unseres europäischen Kulturerbes genießen. Viele Kulturerbestätten sind jedoch noch immer durch unkontrollierte Stadtentwicklung, fehlende Mittel und kurzsichtige politische Entscheidungen gefährdet. Das sollte allen Sorge bereiten, denn die Auswirkungen reichen weit über das Kulturerbe hinaus. Ein aktuelles Beispiel ist das albanische Nationaltheater in Tirana, das am 17. Mai 2020 abgerissen wurde. Das historische Gebäude kam 2020 auf die Liste der sieben am stärksten gefährdeten Kulturerbestätten in Europa. [13] Binnen eines Tages wurde das Theater, das sich in einer denkmalgeschützten Zone in der Altstadt von Tirana befand, nach zweijährigem Protest dem Erdboden gleichgemacht. Es geschah im Morgengrauen, kurz bevor die pandemiebedingten Einschränkungen aufgehoben wurden und trotz einer großen Bürgerbewegung, in der sich die Kunst, Presse und andere Initiativen zusammengeschlossen hatten. Die Regierung und die lokalen Behörden behaupten, das stark renovierungsbedürftige Theater sei nicht mehr zu retten gewesen. Es war ein trauriger Tag, nicht nur für das Kulturerbe, sondern auch für die Demokratie und den Rechtsstaat.

    Wir müssen erkennen, dass wir gemeinsam die Verantwortung für unser gesamtes kulturelles Erbe in Europa tragen. Vor der Covid-19-Pandemie war der Massentourismus zu einer großen Belastung oder gar Gefahr für so manche historische Stadt sowie für unser Kultur- und Naturerbe und seine Schätze geworden. Die Auswirkungen sind dramatisch, vor allem in Verbindung mit den großen Risiken, die der Klimawandel mit sich bringt. Wir brauchen dringend eine europäische Strategie für einen nachhaltigeren und verantwortungsbewussteren Tourismus – mit geeigneten Maßnahmen, um diese Risiken zu verringern. Jetzt, wo der Tourismus pandemiebedingt eingebrochen ist, bietet sich die Chance dazu.

    Wir müssen erkennen, dass wir gemeinsam die Verantwortung für unser gesamtes kulturelles Erbe in Europa tragen.

    © Vittorio Zunino Celotto / Getty Images

    DIE AM STÄRKSTEN GEFÄHRDETE KULTURERBESTÄTTE IN EUROPA, AUCH AUFGRUND DES KLIMAWANDELS.

    The survival of Venice and its lagoon cannot be viewed as just a Venetian problem or an Italian issue.

    Venedig ist ein markantes Beispiel, das leider mit all den genannten Risiken konfrontiert ist. Die Stadt leidet unter Massentourismus in seiner schädlichsten Form: Kreuzfahrtschiffe landen viel zu nah am historischen Zentrum an und zerstören ein natürliches Ökosystem, das ohnehin bereits kurz vor dem Kollaps steht. Die Stadt versinkt allmählich im schlammigen Wasser schlechter Entscheidungen, das nicht nur ihre brüchige Bausubstanz und ihr kulturelles Erbe angreift, sondern auch das Leben heutiger und zukünftiger Generationen beeinträchtigt. Die Bilder von Fischen, Quallen und Delfinen, die während des Lockdowns wieder in der Lagune schwammen, führen uns vor Augen: So könnte Venedigs Umwelt aussehen, wenn sie nicht dem schnellen Profit geopfert würde. Ob die Stadt und ihre Lagune überleben, ist nicht nur ihr eigenes oder ein italienisches Problem. Eine nachhaltige Renaissance von Venedig könnte eines der Ziele und sogar ein Symbol des vorgeschlagenen New Deal für das Kulturerbe Europas sein.

    Dieser New Deal für das Kulturerbe sollte natürlich eng mit dem europäischen Grünen Deal verknüpft sein. Wie im Manifest der European Heritage Alliance dargelegt, muss die kulturelle Dimension bei der grünen Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft in vollem Umfang berücksichtigt werden. Denn unser kulturelles Erbe, einschließlich der Kulturlandschaften, ist durch den Klimawandel stark gefährdet. Gleichzeitig kann die Kulturwelt mit ihrem Reichtum an tradiertem Wissen und Können auch zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel beitragen, um die ehrgeizigen Ziele des europäischen Grünen Deals zu erreichen. Mit Unterstützung des EIB-Instituts und in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Rat für Denkmalpflege arbeiten wir derzeit am Thema „Klimaschutz für das Kulturerbe auf europäischer Ebene“.

    © NDDP

    MIT MUT UND KÖNNEN BEWAHRTE DIE PARISER FEUERWEHR DIE KATHEDRALE NOTRE-DAME IN PARIS VOR DEM EINSTURZ UND WURDE DAFÜR VON DER EU/EUROPA NOSTRA 2019 MIT EINEM SONDERPREIS AUSGEZEICHNET.

    Ein weiteres Beispiel für die Fragilität unseres Kulturerbes ist der verheerende Brand, der am 15. April 2019 die Kathedrale Notre-Dame in Paris schwer beschädigte. Das Feuer zeigte, wie verwundbar selbst die bekanntesten und bestgeschützten Kulturstätten der Welt sein können. Die nachfolgende Welle der Unterstützung und Solidarität machte deutlich, wie sehr die Menschen in aller Welt instinktiv verstanden, dass Notre-Dame nicht nur eine Kathedrale der Pariser und Franzosen ist, sondern uns allen gehört. Nach dem Brand spürte man förmlich die gewaltige Bindekraft unseres gemeinsamen Erbes. Als Zeichen der tiefen Dankbarkeit und Bewunderung Europas wurden die Pariser Feuerwehrleute, die die Kathedrale vor dem Einsturz bewahrten, beim Europäischen Kulturerbegipfel 2019 in Paris mit einem Sonderpreis der Europäischen Union für das Kulturerbe/Europa-Nostra-Preis geehrt.

    Die nachfolgende Welle der Unterstützung und Solidarität machte deutlich, wie sehr die Menschen in aller Welt instinktiv verstanden, dass Notre-Dame nicht nur eine Kathedrale der Pariser oder Franzosen ist, sondern uns allen gehört.

    Kulturstätten sind auch durch politische und militärische Auseinandersetzungen bedroht, wie zum Beispiel die bewaffneten Konflikte auf dem Balkan in den 1990er-Jahren und die jüngsten Kämpfe in der Region Berg-Karabach im Kaukasus. Auch im Irak, in Syrien und im Jemen wurden zuletzt Kulturschätze vernichtet. Die Angriffe auf die antiken Städte Aleppo und Palmyra in Syrien, die Zerstörung des Museums und der Bibliothek von Mossul im Irak und der Luftangriff auf den Staudamm von Marib im Jemen sind nur einige Beispiele von vielen. Europa darf nicht darüber hinwegsehen, was im Rest der Welt geschieht. Wissen bedeutet auch Verantwortung. Wir sollten deshalb Solidarität zeigen und unser Know-how und unsere Best Practices weitergeben. Beispielsweise, indem wir Kulturerbeinstitutionen und zivilgesellschaftliche Organisationen in anderen Teilen der Welt beim Kompetenzaufbau unterstützen. Vor allem in Afrika und im Nahen Osten sind Kulturerbestätten zunehmend durch unkontrollierte Entwicklungsprojekte, mangelnde personelle und finanzielle Ressourcen und das Fehlen einer verantwortungsvollen Führung bedroht. Katastrophen wie die gewaltige Explosion in Beirut am 4. August 2020 sind die tragische Folge davon.

    © Europa Nostra

    ARCHÄOLOGIE ALS BRÜCKE FÜR INTERKULTURELLEN AUSTAUSCH UND VERSTÄNDIGUNG ZWISCHEN JUNGEN MENSCHEN AUS ITALIEN UND SYRIEN (ILUCIDARE-SONDERPREIS 2020).

    Der vorgeschlagene New Deal für das Kulturerbe Europas kann nur funktionieren, wenn wir erkennen, dass alle unsere Kulturstätten – vom größten Palast oder Museum bis zur kleinsten Kapelle oder Farm – wichtige Symbole dessen sind, was uns verbindet, Symbole unserer Gemeinsamkeit. Aus diesem Grund rief Europa Nostra 2013 gemeinsam mit dem EIB-Institut das Programm 7 Most Endangered[14] ins Leben. Es sieht vor, die am stärksten gefährdeten Denkmäler, Kulturstätten und Kulturlandschaften in Europa zu identifizieren, um diese Schätze mit öffentlichen und privaten Partnern aller Ebenen zu bewahren. So wurde die Lagune von Venedig zur am stärksten gefährdeten Kulturerbestätte Europas erklärt, weil sie besonders komplexen Bedrohungen ausgesetzt ist, die auch mit dem Klimawandel zusammenhängen.

    © Europa Nostra

    DAS KLOSTER JESU IM PORTUGIESISCHEN SETÚBAL, 2013 EINE DER 7 AM STÄRKSTEN GEFÄHRDETEN KULTURERBESTÄTTEN, IST HEUTE ALS MUSEUM ERFOLGREICH RESTAURIERT.

    DAS PROGRAMM 7 MOST ENDANGERED 

    Die ermutigenden Ergebnisse des Programms 7 Most Endangered sind ein Grund, warum ich glaube, dass ein New Deal für das Kulturerbe Europas langfristige Veränderungen zum Besseren bewirken kann. Für das Kloster Jesu im portugiesischen Setúbal, das Bourla-Theater im belgischen Antwerpen und die Drehbrücke Pont Colbert im französischen Dieppe wurden bereits nachhaltige Lösungen gefunden. Das Programm zeigt jedoch auch, dass wir manchmal vor schwierigen Herausforderungen stehen: Das albanische Nationaltheater in Tirana wurde wie erwähnt rücksichtslos abgerissen, nachdem Europa Nostra und das EIB-Institut es zwei Monate zuvor auf die Liste 2020 der sieben am stärksten gefährdeten Kulturerbestätten genommen hatten. Auch der Y-Block in Oslo, der ebenfalls auf der 2020er-Liste steht, wird abgerissen. Hier konnten zumindest die Picasso-Fresken gerettet werden, aber unsere Expertengruppe hatte keine Gelegenheit, vor Ort mit allen Beteiligten zu sprechen und Vorschläge für den Erhalt der Kulturstätte zu unterbreiten – was wir zutiefst bedauern.

    Ein weiteres Beispiel für die komplexen Herausforderungen ist die Pufferzone in Nikosia auf Zypern, der letzten geteilten Hauptstadt Europas. Sie wurde im ersten Programmjahr auf die Liste der sieben am stärksten gefährdeten Kulturerbestätten gesetzt. [15] Europa Nostra konnte die Zone besuchen und aus erster Hand erfahren, wie unermüdlich sich Menschen auf der türkisch-zyprischen und auf der griechisch-zyprischen Seite für eine respektvolle und nachhaltige Erneuerung des gesamten Gebiets einsetzen. Dabei gab es über die Jahre immer wieder Enttäuschungen. Viele hochrangige Verhandlungen und Gespräche scheiterten. Doch ganz gleich, wie groß die Unterschiede sind: Eine nachhaltige Lösung für die Pufferzone muss und wird gefunden werden. Wenn wir immer wieder die gleichen Fehler machen, wenn wir unseren Kindern beibringen, nach dem zu suchen, was Völker und Menschen voneinander trennt, dann werden wir nie vorankommen. Europa hat eine lange und schwierige Vergangenheit, aber wir müssen als Kontinent auch in unseren dunkelsten Kapiteln die Hoffnung und das Licht sehen. Die Pufferzone in Nikosia zeigt, dass wir unsere Augen und Herzen öffnen müssen, bevor sich unser Denken verändern kann.

    Für das Kloster Jesu in Setúbal, das Bourlai-Theater in Antwerpen und die Drehbrücke Pont Colbert in Dieppe wurden bereits nachhaltige Lösungen gefunden.

    © Europa Nostra

    DAS WUNDE HERZ DES ALTEN NIKOSIA (ZYPERN): HEUTE EINE VERLASSENE PUFFERZONE, MORGEN EIN DYNAMISCHES KREATIVZENTRUM EINER WIEDERVEREINIGTEN STADT?

    Sie ist nur eines von vielen Beispielen für gefährdetes Kulturerbe in Europa. Tausende weniger bekannte Kulturstätten sind ebenfalls unmittelbar bedroht. Mit jedem Stück unseres materiellen oder immateriellen Erbes, das verschwindet, wird das Fundament unseres europäischen Hauses ein bisschen schwächer. Mit jeder verlorenen Kulturerbestätte geht ein weiterer Baustein des europäischen Projekts verloren. Wir können nicht riskieren, noch viel mehr davon zu verlieren.

    © English Heritage, 2019

    UNSER KULTURERBE IST EINE BRÜCKE ZWISCHEN DER VERGANGENHEIT, DER GEGENWART UND DER ZUKUNFT EUROPAS (IRON BRIDGE, SHROPSHIRE, GB, EU/EUROPA-NOSTRA-PREIS 2020).

    Wenn wir ein blühendes Europa wollen, das besser zusammenhält, und gleichzeitig unser kollektives und individuelles Gedächtnis und unser kulturelles Erbe verstehen und bewahren wollen, dann brauchen wir einen New Deal für das Kulturerbe Europas. Dann brauchen wir eine ehrgeizige, kulturgeleitete Transformation des europäischen Projekts, die vom Bewusstsein der Menschen für ihre kulturelle und historische Zugehörigkeit ausgeht. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Idee Eingang finden kann in die weitreichenden Pläne zum Aufbau der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft nach der globalen Pandemie mit ihren verheerenden Folgen für unser Leben und die Lebensgrundlage vieler Menschen. Ganz im Sinne des Manifests Kulturerbe: Ein mächtiger Katalysator für die Zukunft Europas zum Europatag 2020, das deutlich macht: Diese beispiellose Krise eröffnet neue Horizonte und Wege zu einem faireren, grüneren und besseren Europa auf der Grundlage internationaler Solidarität und der gebotenen Pflege unseres gemeinsamen Kulturerbes und unserer Werte.

    Die Pufferzone in Nikosia zeigt, dass wir unsere Augen und Herzen öffnen müssen, bevor sich unser Denken verändern kann.

    1. Hermann Parzinger
    2. Europa Nostra wurde 1963 in Paris gegründet und vereint 340 Mitglieds- und angeschlossene Organisationen, darunter Nichtregierungsorganisationen und Fachverbände, Stiftungen, Museen, öffentliche Einrichtungen, Universitäten, historische Städte und Dörfer sowie fast 1 000 Privatpersonen in über 40 Ländern.
    3. Pariser Manifest “Relançons l’Europe par la culture et le patrimoine culturel!” (2019)
    4. https://www.iccrom.org/projects/heritage-and-wellbeing-what-constitutes-good-life
    5. Manifest der European Heritage Alliance, „Kulturerbe: Ein mächtiger Katalysator für die Zukunft Europas“ (2020)
    6. 20200509_EUROPE-DAY-MANIFESTO.pdf (europanostra.org)
    7. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/SPEECH_20_165
    8. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/SPEECH_20_1655
    9. https://europa.eu/cultural-heritage/toolkits/special-eurobarometer-europeans-and-cultural-heritage_en.html
    10. Cultural Heritage Counts For Europe Report (2015) Bericht erstellt von Europa Nostra, ENCATC, Heritage Europe, der Heritage Alliance, dem International Cultural Centre und dem Raymond Lemaire International Centre for Conservation der Universität Löwen
    11. https://www.europarl.europa.eu/factsheets/en/sheet/126/tourism
    12. Der Städtevergleich „Kultur und Kreativität“ zeigt, wie gut 168 ausgewählte Städte in 30 europäischen Ländern bei verschiedenen Indikatoren abschneiden, die anhand quantitativer und qualitativer Daten die „Kulturelle Dynamik“, die „Kreativwirtschaft“ und das „Kulturumfeld“ einer Stadt erfassen.
    13. Getting cultural heritage to work for Europe, Bericht der Horizont-2020-Expertengruppe für das kulturelle Erbe, GD Forschung und Innovation 2015
    14. https://www.europanostra.org/europe-7-most-endangered-heritage-sites-2020-announced/
    15. Das Programm 7 Most Endangered wurde eingerichtet, um gefährdete Denkmäler und Kulturstätten in Europa zu identifizieren und auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene Partner für ihren Erhalt zu gewinnen. 7MostEndangered.eu