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    >> Die Reihe „Klimalösungen“ ist auch als Podcast und E-Book erhältlich.


    Von Andres Gavira Etzel

    Fangen wir mit einem einfachen Beispiel an: Ich nehme an, Sie lesen diesen Artikel online auf einem digitalen Gerät. Weil es umweltfreundlicher ist, weniger zu drucken. Für Ihre digitale Lektüre brauchen Sie zwar Strom für Ihr Handy, für die Server, auf denen der Artikel gehostet wird, und für die Datenübertragung auf das Endgerät. Aber es musste kein einziger Baum gefällt werden, und kein Paketzustelldienst musste von A nach B fahren. Deshalb glauben wir, dass die Digitalisierung und der Schritt von der analogen in die virtuelle Welt gut für die Umwelt sind. Wenn ich online ein E-Book kaufe und in der Cloud speichere, produziere ich schließlich weniger CO2, als wenn ich in die Buchhandlung gehe und meinen Wälzer nach Hause trage.

    Aber stimmt das wirklich? Die Antwort könnte komplizierter sein als Sie denken.

    Gibt es Daten zu den Daten?

    Wer die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Klima messen will, muss zwei Faktoren berücksichtigen: erstens die eigenen Emissionen der Informations- und Kommunikationstechnologie-Branche (IKT-Branche) und zweitens die Folgen der IKT-Nutzung in anderen Wirtschaftszweigen und in unserem Alltag.

    Wie alle Branchen trägt auch die IKT mit ihren CO2-Emissionen zum Klimawandel bei. Diese Emissionen lassen sich nur schwer messen: Einigen Studien zufolge steigen die CO2-Emissionen durch digitale Technologien weiter an.1 Andere Datenreihen deuten darauf hin, dass es in den vergangenen Jahren durch Effizienzsteigerungen zu einer Abflachung kam.2 Während viele Branchen noch von physischen Energieträgern abhängen, nutzt die IKT seit jeher Strom. Knackpunkt für ihre CO2-Bilanz ist deshalb vor allem die Dekarbonisierung der Stromerzeugung.

    Gleichzeitig trägt die IKT-Branche entscheidend zur Dekarbonisierung anderer Wirtschaftszweige bei. Intelligente Stromnetze, intelligente Städte, Industrie 4.0, Satelliten zur Erdbeobachtung: All das verlangt nach immer kleineren und leistungsfähigeren IKT-Geräten und ‑Lösungen.

    Somit verbraucht die IKT zwar zunächst Energie, dieser Verbrauch hilft aber anschließend vielen anderen Branchen, Energie zu sparen. Wenn da nicht noch der Rebound-Effekt wäre ...

    Das Jevons-Paradoxon

    Mit jedem Technologiesprung sinkt der Ressourcenbedarf in der Erzeugung. Alle zwei Jahre, so das Mooresche Gesetz, verdoppelt sich die Anzahl der Transistoren, die auf einen Mikrochip passen.

    Nicht ganz so bekannt wie das Mooresche Gesetz ist das Jevons-Paradoxon, benannt nach William Stanley Jevons, einem englischen Ökonom aus dem 19. Jahrhundert. Als es James Watt gelang, den Wirkungsgrad von Dampfmaschinen wesentlich zu verbessern, ging man davon aus, dass die Nachfrage nach Kohle bald sinken würde. Doch Jevons beobachtete das Gegenteil: Weil die effizienteren Maschinen viel häufiger eingesetzt wurden, stieg die Nachfrage nach Kohle.

    Dieser Rebound-Effekt ist in vielen Branchen zu erkennen und macht auch vor der Digitalisierung nicht halt. Obwohl die – monetären und ökologischen – Kosten für die Übertragung von einem Megabyte Daten drastisch gesunken sind, steigen die finanziellen und ökologischen Gesamtkosten weiter an, weil der Datenverkehr zunimmt.

    Die Professoren Christopher Magee und Tessaleno Devezas konnten diesen Effekt bei über 50 weiteren Produkten und Materialien nachweisen: von Festplatten über Fotovoltaik bis zu einfachen Ressourcen wie Aluminium und Formaldehyd. Nur bei sechs Materialien stellten Magee und Devezas fest, dass der absolute Verbrauch zurückging. Das war überwiegend bei schädlichen Substanzen wie Asbest der Fall, deren Einsatz gesetzlich eingeschränkt wurde. Die einzige Ausnahme war Wolle. Sie wurde durch synthetische Stoffe wie Polyester ersetzt – ebenfalls nicht wirklich prima fürs Klima.

    Auch in der IKT-Welt gibt es viele Beispiele für den Rebound-Effekt – denken Sie nur an Videokonferenzen (den Energiebedarf der Server, Datenübertragungsgeräte, Displays und Computer lassen wir einmal außen vor). Theoretisch müssten Videokonferenzen viele Flugkilometer überflüssig machen, weil sie Besprechungen in den virtuellen Raum verlegen.

    In der Praxis hat die digitale Technologie jedoch dazu geführt, dass Unternehmen mehr standortübergreifende Teams zusammenstellen als zuvor. Diese Teams müssen sich auch mal persönlich treffen – und dann entstehen wieder jede Menge Emissionen.

    Ein weiteres Beispiel für eine neue Nachfrage, die von der IKT geschaffen wurde, ist das Streaming. Der Stromverbrauch des Endgeräts soll uns dabei nicht interessieren. Wir schauen nur auf die Infrastruktur, die das Signal in Ihr Wohnzimmer bringt. Klassische TV-Sender nutzen eine begrenzte Zahl Sendestationen im ganzen Land, die ein Signal für alle ausstrahlen. Der Erfolg der Streamingdienste von heute basiert jedoch auf einem individualisierten Programmangebot. Für einen hochwertigen Dienst ohne Latenzen und Unterbrechungen installieren die Anbieter weltweit Datenzentren, um die Inhalte möglichst nahe bei den Endkunden speichern zu können. Zur Übertragung des Signals an das Endgerät nutzt jeder Kunde einen Datenstrom vom Datenzentrum zum Endgerät. Und dieser individuelle Stream über die jeweilige Telekominfrastruktur (Festnetz oder Mobilfunk) verbraucht Strom.

    Nun aber zur positiven Seite der Digitalisierung.

    Rettung der analogen Welt vor CO2

    Verschiedene Untersuchungen zeigen, wie digitale Lösungen zu mehr Effizienz führen könnten. Die Global e-Sustainability Initiative der IKT-Branche schätzt in einem aktuellen Bericht,3 dass 2030 dank IKT 1,34 Gigatonnen CO2 weniger emittiert werden als in einem Szenario mit unveränderten Rahmenbedingungen. Diese Rechnung basiert auf Effizienzsteigerungen in mehreren Sektoren:

    • Energie: Intelligente Netze können Energieangebot und -nachfrage besser aufeinander abstimmen. Dabei helfen ihnen die Daten der intelligenten Zähler, Netzwerk-Diagnosewerkzeuge und ein transparenterer Markt. Weil das Netz plötzliche Spitzen und Abfälle in der Einspeisung besser glätten kann, lässt sich Strom aus erneuerbaren Energiequellen leichter ins Netz einspeisen. Intelligente Gebäude, die wissen, wann Licht, Heizung und Geräte abgeschaltet werden können, reduzieren die Energiekosten auf der Mikroebene.
    • Lebensmittel: Sensoren, Satellitendaten und vernetzte Maschinen ermöglichen eine Präzisionslandwirtschaft. Zu jedem gewünschten Zeitpunkt messen sie für einen bestimmten Pflanzenbestand an einem gegebenen Ort den exakten Wasser-, Dünger- und Nährstoffbedarf. Gleichzeitig reduziert die genauere Erfassung von Beständen und Marktnachfrage die Verschwendung über den gesamten Lebensmittelzyklus.
    • Verkehr: Mit Echtzeitinformationen lässt sich der Verkehr kraftstoffsparend leiten. Die Lichtintensität auf Autobahnen kann durch intelligente Beleuchtung automatisch an die Verkehrsdichte und die Wetterverhältnisse angepasst werden (wie beispielsweise im Projekt der Europäischen Plattform für Investitionsberatung in Belgien). Halbleerfahrten von Lkw und teilbeladene Container, die auf Umwegen oder nicht an ihren optimalen Zielort geliefert werden, lassen sich durch intelligente Logistik vermeiden – nicht nur im Lebensmittelsektor.
    • Verarbeitende Industrie: Weitere Automatisierung führt zu einer höheren Produktionsleistung. Eine maßgeschneiderte Produktion, die sich sofort an die Marktnachfrage anpasst, reduziert den Abfall. Der 3-D-Druck ist nur ein Beispiel des „Manufacturing on Demand“. Wenn die Produktion näher zum Kunden rückt, sinkt der – ökologisch teure – Bedarf an Transportlogistik.

    Laut Bericht dürften die vorgestellten Anwendungen im Zeitraum 2019–2030 eine Emissionsmenge einsparen, die ungefähr dem Siebenfachen des Wachstums des CO2-Fußabdrucks der IKT-Branche entspricht.

    Natürlich lassen sich die direkten und indirekten Emissionen der Digitalisierung nur schwer quantifizieren. Aber es ist praktisch unmöglich, die CO2-Emissionen einer Welt zu messen, in der diese technischen Fortschritte erst gar nicht stattgefunden haben.

    Ein grünerer IKT-Sektor

    Eine bessere Emissionsbilanz des IKT-Sektors könnte sich dadurch ergeben, dass der Sektor selbst grüner wird. Anders ausgedrückt: Während nichtdigitale Branchen ihre Umweltbilanz verbessern, indem sie intelligente IT-Werkzeuge und -Lösungen einführen, wird die IKT-Branche selbst umweltfreundlicher, indem sie die Effizienz dieser Werkzeuge und Lösungen steigert.

    Wie kann sich die IKT also ökologisch herausputzen?

    Verschiedene Marktkräfte, die IKT-Innovationen vorantreiben – etwa der Wettbewerb bei der Herstellung kleinerer, günstigerer Produkte und Lösungen –, reduzieren gleichzeitig den ökologischen Fußabdruck. Denn für kleinere Prozessoren braucht man naturgemäß weniger Material. Im Preiswettbewerb müssen Unternehmen zudem die Lebenszykluskosten im Blick haben: Wie teuer ist ein Produkt oder eine Lösung im laufenden Betrieb? Hier spielen Energiekosten zwangsweise eine Rolle. Wenn sie gesenkt werden können, gibt es mit Sicherheit einen Marktakteur, der an dieser Stellschraube dreht.

    Paradebeispiele dafür sind die neuen Glasfasernetz-Generationen und 5G. Leistungsverbesserungen wie Geschwindigkeit, Latenz und Anschlussdichte dürften mit einer erheblichen Steigerung der Energieeffizienz einhergehen, vor allem gemessen an der Energie, die für die Übertragung je Datenbit erforderlich ist. Die Telekombetreiber wollen diese neuen Technologien möglichst schnell einführen, um ihren Kunden einen besseren Service zu bieten und ihre eigenen Betriebskosten zu kontrollieren, die an den Stromverbrauch gekoppelt sind.

    Die Kehrseite der Medaille: Wenn ein besseres Angebot verfügbar ist, wollen die Kunden es auch nutzen. Damit steigt höchstwahrscheinlich die Zahl der übertragenen Bits, sodass der höhere Datenverkehr die Energieeffizienzfortschritte der neuen Technik letztlich zunichtemachen könnte.

    Kreislaufwirtschaft – eine runde Sache

    Handlungsbedarf besteht aus Umweltsicht auch bei Elektronikabfällen.

    Im selben Tempo, wie neue Geräte auf den Markt kommen, trennen wir uns von den alten. Weil unser Leben immer digitaler wird, steigt außerdem die Anzahl der Geräte, die wir alle besitzen. Wir brauchen daher dringend Anreize, Vorschriften und Lösungen für eine angemessene Entsorgung.

    Und schon sind wir bei der Kreislaufwirtschaft. Hier wird versucht, den Abfall bereits in der Designphase zu reduzieren, indem von Anfang an so wenig Material wie möglich eingesetzt wird. Produkte und Systeme werden so gestaltet, dass ein Gegenstand länger genutzt, erneuert oder zurückgegeben werden kann. Anschließend werden die Bestandteile getrennt, und das Material wird wiederverwendet. Damit steht die Kreislaufwirtschaft im Gegensatz zum traditionellen linearen Modell, bei dem ein Produkt nach seiner Nutzung entsorgt wird.

    Die Marktkräfte begünstigen zirkuläre Geschäftsmodelle. Diese reduzieren die Abhängigkeit von teils knappen Materialien und deren schwankenden Kosten. Auch für die Kunden sind diese Effizienzen wertvoll. Sie können eine langfristige Bindung zwischen Anbietern und Nutzern einer Kreislauflösung schaffen.

    Allerdings kämpfen zirkuläre Geschäftsmodelle noch mit gewissen Hürden, vor allem bei der Finanzierung. Meine Kolleginnen und Kollegen von der Europäischen Investitionsbank haben dazu eine Blogstory veröffentlicht.

    Natürlich bleibt auch in der Kreislaufwirtschaft immer ein Rest Abfall. Daher müssen wir dafür sorgen, dass es Systeme für eine sichere Entsorgung gibt. Damit niemand Schaden nimmt – weder die Umwelt noch wir Menschen.

    Ja, es stimmt: Wir produzieren immer mehr digitale Komponenten für alle möglichen Geräte, von Kühlschränken bis Stühlen. Und diese Geräte senden und empfangen laufend Daten. Dennoch besteht Grund zur Hoffnung: Der Trend der IKT-Branche zu mehr Energieeffizienz zusammen mit dem Einfluss der Digitalisierung auf die Emissionen der analogen Welt dürften sich letztlich positiv auf die Emissionen auswirken.

    Klimalösungen: Ihr möglicher Beitrag zu einer klimafreundlichen digitalen Welt als ...

    Entscheider oder IKT-Unternehmen: Möglichkeiten für die Ausrichtung der IKT-Industrie auf das Pariser Abkommen finden. Dabei klare Ziele für ein wirksames Monitoring festlegen. An Initiativen zur Definition des EU-Klassifikationssystems für nachhaltige Aktivitäten mitwirken, die die IKT-Industrie betreffen.

    Privatperson: Realisieren, dass die virtuelle Welt keineswegs ein CO2-freier Raum ist. Bei Kaufentscheidungen in Kreisläufen denken und sich des Rebound-Effekts bewusst sein. IKT-basierte Lösungen clever nutzen, um den persönlichen CO2-Fußabdruck zu reduzieren (z. B. intelligentes Haus).

    Finanzinstitut: Erkennen, wie wichtig der Sektor ist, um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen. Kompetenz aufbauen im Hinblick auf die besonderen Chancen und Risiken in diesem Sektor und geduldiges Kapital bereitstellen.

     

    Andres Gavira Etzel arbeitet als Lead Engineer in der Hauptabteilung Innovation und Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Investitionsbank.


    >> Die Reihe „Klimalösungen“ ist auch als Podcast und E-Book erhältlich.


    1. https://theshiftproject.org/wp-content/uploads/2019/03/Lean-ICT-Report_The-Shift-Project_2019.pdf
    2. Malmodin, J. und Lundén, D., 2018. The energy and carbon footprint of the global ICT and E&M sectors 2010–2015. Sustainability, 10(9), S. 3027.
    3. https://gesi.org/storage/uploads/DIGITALWITHPURPOSE_FULL_R_WEB.pdf