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    Von Cristina Niculescu und Nadya Velikova

    Man könnte sagen, dass Impfstoffe Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden sind.

    Deshalb war es alles andere als einfach, die breite Bevölkerung von einer Impfung zu überzeugen, nachdem die Covid-19-Vakzine in Rekordzeit bereitstanden. Wir haben uns über die Jahrzehnte hinweg an Impfungen gewöhnt. Aber wir machen uns auch viel mehr Sorgen über ihre Sicherheit. Viele Menschen vergessen heute leicht, was Impfprogramme erreicht haben, oder halten die Erfolge für selbstverständlich. Fake News und Informationen in den sozialen Medien führen dazu, dass die Menschen Medizin und Wissenschaft nicht mehr so vertrauen wie noch vor 50 Jahren.

    Trotz der erfolgreichen Covid-19-Impfstoffe und fast zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie ist das Leben der Menschen weiter beeinträchtigt durch Lockdowns, komplizierte Reisebeschränkungen, eine eingeschränkte Gesundheitsversorgung u.a.m.

    Impfstoffe und Massenimpfprogramme haben dazu beigetragen, bestimmte Krankheiten in den Industriestaaten auszurotten. Viele Infektionskrankheiten aus der Vergangenheit sind heute fast vergessen.  Kinderimpfungen haben geholfen, die Pocken auszurotten, und Diphterie, Haemophilus Influenza Typ B, Meningitis, Masern, Mumps, Kinderlähmung, Röteln und Tetanus fast völlig zurückgedrängt. Während in den Entwicklungsländern noch immer Kinder sterben, weil es an Impfstoffen fehlt, sind Impfungen in den Industrieländern Standard. Das Problem ist hier: Immer mehr Menschen sind skeptisch. Das gefährdet die hart erkämpften Erfolge, die Medizin, Forschung und Politik mit jahrzehntelanger Arbeit erreicht haben.

    Das gesamte Arsenal

    Als klar wurde, dass sich Corona zu einer großen Krise auswachsen würde, bot die EIB ihr gesamtes Finanzierungsarsenal auf und war für alle Technologien offen, mit denen die Wissenschaft aufwartete. Wir konzentrierten uns nicht auf ein Unternehmen oder einen Ansatz. Neben traditionellen Impfstoffherstellern förderten wir auch neue Anwärter wie BioNTech, die einen der führenden mRNA-Impfstoffe entwickelten – eine neue Technologie, die wegbereitend für Impfstoffe gegen andere Krankheiten sein könnte, darunter auch Krebs.

    Bei BioNTech war uns von Anfang klar: In diesem Unternehmen steckt enormes Potenzial. Die Gründer Özlem Türeci und Uğur Şahin waren erfolgreiche Wissenschaftler mit zahlreichen Veröffentlichungen in einflussreichen wissenschaftlichen Zeitschriften. Sie hatten auf dem Fundament einer innovativen Technologie ein Unternehmen aufgebaut, waren trotzdem bescheiden geblieben und sich ihrer Sache sehr sicher.

    Zu Beginn der Pandemie mussten wir in der Bank noch richtige Lobbyarbeit für eine Investition in die neuen mRNA-Impfstoffe von BioNTech machen. Schließlich war die Technologie bis dato vor allem für Krebstherapien erforscht worden.  Aber wir glaubten fest an den Erfolg. Nicht nur bei der Bekämpfung von Corona, sondern auch als Einstieg in die Behandlung anderer Krankheiten wie Krebs, Malaria oder Tuberkulose. Heute zweifelt niemand mehr an der gewaltigen weltweiten Wirkung dieser kleinen, von zwei wissenschaftsbegeisterten Einwandererkindern gegründeten deutschen Firma und ihrem Beitrag zu den großen globalen gesellschaftlichen Herausforderungen.

    BioNTech lehrt uns aber auch noch etwas anderes: Wir sollten Vielfalt nicht fürchten, sondern jede und jeden willkommen heißen, die mit Talent, Leidenschaft und harter Arbeit Europa und die Welt sicherer machen wollen.

    Wer wagt, gewinnt

    Nicht alles, was wir finanzierten, war erfolgreich. Allerdings konnten wir nicht darauf hoffen, eine Patentlösung zu finden, und wir hatten auch nicht die Zeit, nur die besten Lösungen auszuwählen und zu fördern. Stattdessen trafen wir mutige und manchmal auch riskante Entscheidungen. Mit dem Ergebnis, dass wir jetzt viele Impfstoffe haben, die weltweit funktionieren.

    Aber wir halten weiter Ausschau nach neuen Erfolgskandidaten. Im Oktober 2021 genehmigte die Bank ein Darlehen von 45 Millionen Euro für die spanische Pharmaschmiede Hipra und die Herstellung ihres Covid-19-Impfstoffs, der sich noch in der klinischen Prüfung befindet. Der traditionelle Impfstoff auf Basis eines rekombinanten Proteins – eine Technologie, die auch andere Pharmafirmen einsetzen – wurde modifiziert, um besser gegen Varianten des Covid-19-Virus zu wirken. Da er nur normal gekühlt werden muss, ist er auch für Entwicklungsländer und schwer erreichbare Gebiete geeignet, in denen die besondere Kühlung, die das BioNTech-Präparat erfordert, kaum möglich ist.

    Wir nähern uns dem Ende des zweiten Pandemiejahres und stehen jetzt vor mehreren Herausforderungen: Die Impfstoffe müssen auch gegen die Varianten wirken, sie müssen in alle Regionen der Welt verteilt werden, und die Menschen müssen ihnen vertrauen. In vielen Ländern sind die Impfquoten niedrig, und wir wissen nicht, welche neuen Varianten des Virus auftauchen werden. Solange die Menschen sich anstecken und Covid-19 sich weiter ausbreitet, können neue Varianten entstehen. Wenn weltweit große Teile der Bevölkerung vom Impfen überzeugt werden können, sind Varianten weniger wahrscheinlich.

    Wir müssen die Menschen weiter über die Vorteile und die Sicherheit von Impfungen aufklären. Und wir müssen offener für risikoreichere Forschung werden, mehr in Biowissenschaften investieren und für gesundheitliche Notlagen wie Covid-19 vorsorgen.

    Von der Entwicklung zur Verteilung

    Die Entwicklung von Coronaimpfstoffen war nur der erste Schritt. Die Pandemie ist damit noch nicht vorüber. Genug Impfstoffe zu beschaffen und sie zu verteilen, stellt viele Länder vor große Herausforderungen. Bei Herstellung, Verteilung und Zugang zu Impfstoffen bestehen weltweit große Unterschiede. Viele Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen sind auf Vakzine der COVAX-Initiative angewiesen. In Afrika ist nur ein sehr geringer Prozentsatz der Bevölkerung geimpft – im Gegensatz etwa zu rund 60 Prozent in den USA und 80 Prozent in Spanien. 

    Für die unterschiedlichen Impfquoten sind viele Faktoren verantwortlich: die Produktion der Impfstoffe in Industrieländern, länderspezifische Präferenzen, lange Lieferketten, Exportverbote, Mangel an Ausgangsstoffen für die Herstellung usw. Für die Pharmaindustrie, Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und Privatunternehmen war die Pandemie eine Lehrstunde in Sachen Produktion und Verteilung von Vakzinen.

    Jetzt oder nie

    Wir müssen die Impfstoffproduktion und -verteilung verbessern, jetzt oder nie. Bevorratung unentbehrlicher Arzneimittel, Impfstoffherstellung an anderen Standorten, Weitergabe von Wissen und Technologien, flexible Produktionsanlagen oder modernere Produktionsverfahren – all dies kann die Bank fördern, um die Verfügbarkeit von Vakzinen zu verbessern. Das Ziel ist klar: eine umfassende weltweite Impfstoffversorgung, um Krisen schnell und wirksam zu bekämpfen.

    In der Bank beschäftigen wir uns mittlerweile stärker mit der Impfstoffverteilung und mit Unternehmen, die Impfstoffe anderer Firmen auf Vorrat produzieren können. Wir müssen Wege finden, an mehr Standorten zu produzieren, um auch abgelegene Gebiete zu erreichen, gerade in ärmeren Ländern.

    Trotz der Erfolge der letzten Zeit liegt bei Impfstoffen immer noch so manches im Argen. Die Krise hat klar gezeigt: Wir sind abhängig von einer globalen Lieferkette. Ein Impfstoff wird an einem Standort entwickelt und in einem anderen Land hergestellt. Und der Kunststoff oder das Glas für die Verpackung kommen von wieder einem anderen Ort der Welt. Wichtige Hilfsstoffe waren oft nicht mehr in größeren Mengen zu bekommen, weil Regierungen in der Krise Verbote für Produkte verhängten und damit den Handel praktisch zum Erliegen brachten. So stoppten die USA den Export wichtiger Hilfsstoffe in bestimmte Regionen der Welt, und Indien verhinderte eine Zeit lang Exporte u. a. nach Afrika. Wenn Menschenleben auf dem Spiel stehen, scheint der Wille zur Zusammenarbeit zu schwinden. 

    Für eine weltweite Impfstoffentwicklung

    Europa muss sorgfältig prüfen, worauf es bei der Produktion und Verteilung von Impfstoffen ankommt, und sich dann radikal neu aufstellen – zum Schutz des Kontinents und zum Wohle seiner Menschen. Gleichzeitig ist es unsere Verantwortung, denjenigen in der Welt mehr zu helfen, die nicht die Mittel, das Know-how oder die Infrastruktur für die Beschaffung und Verteilung von Impfstoffen haben. In gewisser Weise werden wir immer von globalen Lieferketten abhängen. Deshalb müssen wir auch die Impfstoffentwicklung und -verteilung global angehen.

    In puncto Impfstoffvorräte sollten wir Produzenten in Europa unterstützen und andere Produzenten ermutigen, hier und weltweit Produktionsstätten aufzubauen. Dazu arbeiten wir eng mit der Europäischen Kommission, der Weltgesundheitsorganisation, der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) und anderen Gruppen zusammen.

    Impfstoffbevorratung

    • Im Juni 2021 vergaben wir 30 Millionen Euro an das belgische Biotech-Unternehmen Univercells, um die Impfstoffverteilung weltweit zu verbessern. Univercells will in großer Menge Coronaimpfstoffe in einer neuen belgischen Fabrik produzieren und weltweit Werke zur Lagerung von Vakzinen aufbauen
    • 2021 haben wir in ein Werk für Coronaimpfstoffe in Senegal investiert, um die regionale Gesundheitsversorgung in Afrika zu verbessern und die Abhängigkeit armer Länder von importierten Impfstoffen zu verringern. Die neue Anlage am Pasteur-Institut in Dakar soll ab Ende 2022 monatlich 25 Millionen Dosen eines Covid-19-Vakzins herstellen. Aktuell importiert Afrika 99 Prozent seiner Impfstoffe
    • BioNTech und die Europäische Union sondieren gemeinsam Standorte für die Herstellung von mRNA-Impfstoffen in Afrika. Mögliche Kandidaten sind Ruanda und Senegal. Die mRNA-Technologie könnte in vielen Entwicklungsländern bei der Bekämpfung von Krankheiten hilfreich sein. Sie kann problemlos zur Verbesserung vorhandener oder Herstellung neuer Impfstoffe angepasst werden

    Aufholjagd in den Biowissenschaften

    Als die Pandemie ausbrach, hinkte die Europäische Union in der biowissenschaftlichen Forschung hinterher. Jetzt holen wir auf, weil wir gelernt haben, mehr Risiken einzugehen. Die EIB setzt sich noch stärker für Unternehmen in der Frühphase ein, die an ungewöhnlichen, aber lohnenswerten Projekten arbeiten. Wir haben als eine der ersten Banken die mRNA-Impfstoffe von BioNTech gefördert: 2020 mit einem 100 Millionen-Euro-Darlehen. Etwa zur gleichen Zeit genehmigten wir 75 Millionen Euro für ein weiteres deutsches Unternehmen, CureVac, das an eigenen mRNA-Vakzinen arbeitet. Der CureVac-Impfstoff war nicht so wirksam wie der von BioNTech und Moderna. Das lag zum Teil daran, dass die Studien mit der Ausbreitung ansteckenderer Covid-19-Varianten zusammenfielen. CureVac entwickelt jetzt einen Impfstoff der zweiten Generation, der als Booster für Corona zugelassen werden könnte.

    Mit dem dänischen Biotech-Unternehmen Bavaria Nordic haben wir einen 30-Millionen-Euro-Vertrag unterzeichnet. Bavaria Nordic erprobt gerade erfolgreich einen Covid-19-Impfstoff der nächsten Generation, der ebenfalls als Booster eingesetzt werden könnte. Ein weiteres Unternehmen, das an einem möglichen Corona-Booster arbeitet und das wir unterstützen, ist Valneva in Frankreich.

    Als für Corona 2020 Investitionen aus Universitäten und Forschungseinrichtungen abgezogen wurden, sind Lücken entstanden. Sie müssen mit verstärktem Einsatz geschlossen werden. Gerade die Forschung auf so wichtigen Gebieten wie Krebs und vielen anderen Erkrankungen ging dramatisch zurück, und ein Großteil der Gesundheitsforschung blieb in der Pandemie liegen. Mehr Forschung brauchen wir vor allem bei Antibiotikaresistenzen, das heißt, wenn Bakterien nicht mehr auf unsere Antibiotika reagieren. Diese Resistenzen gefährden die Behandlung einer Vielzahl von Krankheiten. Jetzt, wo das Ende der Pandemie nah ist, dürfen wir nicht vergessen, dass viele biowissenschaftliche Probleme auf eine Lösung warten. Sie sind in den Nachrichten nicht so präsent wie Corona, deswegen aber nicht verschwunden. Im Gegenteil: Weil Krankenhäuser in der Pandemie nur beschränkt zugänglich waren, sind (zumindest in der entwickelten Welt) vermeintlich ausgerottete Krankheiten wie Masern wieder auf dem Vormarsch.

    Die EIB engagiert sich schon seit Langem im Bereich Life Sciences. Jedes Jahr investieren wir dort über 800 Millionen Euro, und in den letzten zehn Jahren haben wir jährlich mehr als eine Milliarde Euro für Gesundheitsinfrastruktur vergeben. In unserem Covid-19-Portfolio finden sich über 20 europäische Top-Unternehmen, die vielversprechende Impfstoffe, Behandlungsmöglichkeiten und Tests bieten – insgesamt ein Investitionsvolumen von rund 770 Millionen Euro.

    Cristina Niculescu und Nadya Velikova sind Expertinnen für Life Sciences bei der EIB.