Frauen nutzen laut Klimaumfrage häufiger als Männer Öffentliche, wollen aber nicht ganz aufs Auto verzichten

Von Nea Prättälä, Maja Roginska und Carmen Niethammer

Weil der Kampf gegen den Klimawandel zu den Top-Prioritäten der EU zählt, führt die Europäische Investitionsbank als EU-Klimabank seit 2018 umfassende Klimaumfragen durch. Quer durch Europa, China und die USA ist sie den Einstellungen der Menschen zum Klimaschutz auf der Spur.

Studien zeigen, dass gendersensible Klimainvestitionen einen höheren Nutzen für Klima und Umwelt stiften, neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen und finanziell effektiver sind. Mehr Genderdiversität in Vorstandsetagen beispielsweise erhöht die Wahrscheinlichkeit um 39–60 Prozent, dass Unternehmen die Intensität ihres Energieverbrauchs, ihre Treibhausgasemissionen und ihren Wasserverbrauch senken.

Um besser zu verstehen, wo Frauen und Männer beim Klimaschutz stehen, sind wir tiefer in die Ergebnisse der EIB-Klimaumfrage 2021 eingestiegen. Und das kam heraus:

Frauen entscheiden sich eher für nachhaltige Mobilität, aber ...

Frauen entscheiden sich in Europa eher für eine nachhaltige Mobilität als Männer. Und sie treffen 80 Prozent der Reiseentscheidungen. Studien zufolge hätten wir schon 18 Prozent weniger Emissionen, wenn sich Männer so von A nach B bewegen würden wie Frauen.

Auf EU-Ebene fehlen regelmäßig erhobene genderdifferenzierte Daten zur Verkehrsmittelwahl. Aus regionalen Studien lassen sich jedoch einheitliche Trends ablesen: Mehr Frauen als Männer fahren Fahrrad, gehen zu Fuß oder nutzen den ÖPNV, der im Vergleich zum alleine genutzten Pkw umweltfreundlicher ist. Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2013 stellte fest, dass Frauen unabhängig von ihrer Lebenssituationkonsequent häufiger öffentlich unterwegs waren und zu Fuß gingen als Männer, die schneller zum Autoschlüssel griffen. In Single-Haushalten nutzen Männer den Pkw mit 43 Prozent fast doppelt so oft wie Frauen (23 Prozent) als Hauptfortbewegungsmittel. In einer spanischen Studie von 2016 erledigten Frauen 13 Prozent ihrer Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln gegenüber weniger als 3 Prozent bei Männern. Eine deutsche Studie von 2019 ergab, dass Frauen stärker auf die Umwelt achten als Männer: 29 Prozent der Frauen, aber nur 23 Prozent der Männer würden ihr Auto verkaufen, wenn es bestimmte Emissionsstandards nicht erfüllt. In einer weiteren Studie aus dem Jahr 2022 hielten 17,3 Prozent der Männer den CO2-Ausstoß eines Autos für „unwichtig“, bei den Frauen teilten nur 9,7 Prozent diese Auffassung.

Trotz dieser Ergebnisse haben laut jüngster EIB-Klimaumfrage in den meisten untersuchten Ländern mehr Frauen als Männer Vorbehalte dagegen, auf ihr Auto zu verzichten. Überraschenderweise ist der Anteil der Frauen, die den Verzicht aufs Auto als den schwierigsten Beitrag zum Klimaschutz bezeichnen, in Luxemburg – Europas erstem Land mit kostenlosem ÖPNV – mit 56 Prozent am größten.2 Der Durchschnitt aller Befragten aus ländlichen Gebieten in der EU liegt bei 51 Prozent.

Warum Frauen am Auto festhalten wollen

Angesichts der regionalen Untersuchungen zu Frauen und nachhaltiger Mobilität lohnt es sich, den hohen Anteil von Frauen, die weiter ins Auto steigen möchten, genauer unter die Lupe zu nehmen.

Aus der Forschung ergeben sich vor allem zwei Faktoren, die erklären könnten, warum Frauen am Auto festhalten: Ihr Sicherheitsgefühl in öffentlichen Verkehrsmitteln und ungleich verteilte Care-Arbeit für die Familie3 4 5.

Sicherheitsgefühl in Bus und Bahn

Laut Europäischem Institut für Gleichstellungsfragen „sind Frauen im öffentlichen Verkehr mehr um ihre Sicherheit besorgt als Männer. So vermeiden Frauen beispielsweise Nachtfahrten bei schlechter Beleuchtung, weil sie körperliche und sexuelle Übergriffe fürchten. Ebenso können überfüllte öffentliche Verkehrsmittel das Risiko sexueller Belästigung erhöhen“, was die Mobilitätsentscheidungen von Frauen beeinflusst.

Auf Länderebene erhobene Daten zeigen, dass Frauen vor allem in denjenigen Ländern vergleichsweise weniger auf ihr Auto verzichten wollen, in denen öffentliche Verkehrsmittel von vielen mit genderspezifischer Gewalt und Belästigung in Verbindung gebracht werden. Bei der Eurobarometer-Umfrage 2016 zu geschlechtsspezifischer Gewalt nannten in Frankreich 27 Prozent, in Luxemburg 10 Prozent und in Belgien 9 Prozent aller befragten Frauen und Männer öffentliche Verkehrsmittel als den Ort, an dem am ehesten genderspezifische Gewalt ausgeübt wird6 – gegenüber nur 1 Prozent in Estland, Portugal und Malta. Dies deutet auf eine mögliche Korrelation zwischen einem Unsicherheitsgefühl in öffentlichen Verkehrsmitteln und der Bereitschaft von Frauen, auf das Auto zu verzichten.

Da ganz verschiedene Faktoren die Mobilitätsentscheidungen von Frauen prägen und sich je nach Land ein anderes Bild ergibt, sollte aus diesen Parallelen lediglich auf eine Korrelation geschlossen werden. Dennoch beeinflusst das Sicherheitsempfinden, wie häufig und wann Frauen öffentliche Verkehrsmittel nutzen oder zu Fuß gehen. Die höhere Belästigungsgefahr in öffentlichen Verkehrsmitteln beeinträchtigt deshalb ihre Wahlfreiheit.

Care-Arbeit und Zeitarmut

Neben Sicherheitsaspekten verhindern mehreren Studien zufolge auch Zeitarmut und die ungleiche Verteilung der Care-Arbeit, meist zulasten der Frau, eine grünere Fortbewegung.

Aus dem aktuellen Eurostat-Bericht zu den Fortschritten bei der Verwirklichung der SDG im EU-Kontext geht hervor, dass der Anteil der Frauen, die dem Arbeitsmarkt wegen Care-Arbeit nicht zur Verfügung stehen, 21,7 Prozentpunkte über dem Anteil der Männer liegt. 46,1 Prozent der teilzeitbeschäftigten Frauen, aber nur 11,7 Prozent aller teilzeitbeschäftigen Männer führten familiäre Gründe für ihre Teilzeittätigkeit an. Die zusätzliche Belastung durch Care-Arbeit hat möglicherweise Zeitarmut zur Folge und lässt Frauen eher auf das Auto zurückgreifen als auf öffentliche Verkehrsmittel oder andere Alternativen.

Eine Studie zur Nutzung von Carsharing im Free-Floating-Modell zeigt, dass diese Mobilitätsoption nur beschränkt mit den typischen Fortbewegungsmustern von Frauen vereinbar ist. Probleme bereiten etwa fehlende Kindersitze, weite Wege zum nächsten Fahrzeug und die Schwierigkeit, Sperriges wie Buggys oder Autositze gleichzeitig mit Kindern zu transportieren. Männer bewegen sich häufiger linear von A nach B und zurück, was dem Carsharing entgegenkommt. Frauen hingegen kombinieren oft Gründe ihres Unterwegsseins: In einer Wegekette kaufen sie Lebensmittel ein, holen Kinder ab und erledigen Besorgungen.

Diese durch Care-Arbeit geprägten Mobilitätsmuster erschweren auch die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel. Jeder Zwischenstopp bedeutet Wartezeit. Vor allem wenn der Aufbau des ÖPNV strahlenförmig von der Innenstadt in die Außenbezirke verläuft, summiert sich dies, weil für Care-Arbeiten eher Querverbindungen von Viertel zu Viertel gebraucht werden.

Die Strukturen der innerstädtischen Mobilität sind folglich nicht genderneutral. Da Frauen häufig offener für grüne Fortbewegungsformen vom Fahrrad über Zufußgehen bis zu den Öffentlichen sind, können gezielte Maßnahmen sehr viel dazu beitragen, dass sich Menschen bei Care-Aufgaben umweltfreundlich fortbewegen (Frauen wie Männer).

Feministische Verkehrsplanung

Nachhaltige Verkehrspläne und Mobilitätsstrategien führen nur dann zum Erfolg, wenn die unterschiedlichen Bedürfnisse von Frauen und Männern berücksichtigt werden. Eine feministische Verkehrsplanung kann zu einer Win-Win-Situation für alle führen: Mehr Sicherheit in öffentlichen Verkehrsmitteln für alle Fahrgäste, eine höhere Erwerbsbeteiligung mit positiven gesamtwirtschaftlichen Effekten, und maximale Umweltvorteile, weil mehr Autos stehen bleiben.

Einige Länder in Europa arbeiten bereits aktiv an der Sicherheit von Frauen in öffentlichen Verkehrsmitteln. Sie bieten Lösungen für den „letzten Kilometer“, entfernen Hecken und Büsche im Bereich von Bushaltestellen und sorgen für gut beleuchtete Zugangswege. Mitarbeitende der Verkehrsbetriebe lernen, wie sie in Situationen sexueller Belästigung richtig reagieren, es gibt Informationskampagnen für Fahrgäste und spezielle Frauentaxis.

Mehrere Regierungen haben Gender-Mainstreaming-Strategien in ihre nationalen Entwicklungspläne aufgenommen. Genderaspekte in Verkehrsstrategien integrieren, das heißt:

  • genderspezifische Verkehrsgewohnheiten in Fahrplänen berücksichtigen, Mobilitätsmuster und typische Arbeitszeiten einplanen, Bushaltestellen in der Nähe von Schulen, Kitas und anderen zentralen Anlaufstellen vorsehen sowie Zwischenstopps und die Mitnahme von Kindern durch flexiblere Gebührenstrukturen erleichtern
  • genderspezifischen Bedarf von Anfang an mitdenken, zum Beispiel durch Platz für Kinderwagen und Fahrräder, Barrierefreiheit, auch beim Umsteigen, und ausreichend Toiletten für Frauen
  • flankierende Initiativen starten, etwa durch E-Commerce und Lieferoptionen die Zahl der Zwischenstopps reduzieren

Für Organisationen, die Wert auf eine Genderperspektive in ihren Verkehrsprojekten, -plänen und -strategien legen, gibt es das Gender Analysis Toolkit for Transport des Internationalen Verkehrsforums.

Umfassende Lösungen

Klimastrategien brauchen umfassende Lösungen, die ein ganzes Spektrum von Themen abdecken und dabei vielfältige Geschlechterrollen berücksichtigen. Programme und Strategien, die eine fairere Aufteilung der Care-Arbeit fördern, dürften das Zeitbudget von Frauen entlasten und zu einer stärkeren Nutzung umweltschonender öffentlicher Verkehrsmittel zu führen. Und mehr Männer in Care- und Community-Initiativen könnte auch sie auf einen klimafreundlichen Kurs bringen.

Moderne, nachhaltige Städte müssen ihr Spektrum an Fortbewegungsoptionen von Fußgängerzonen bis Spuren für Fahrräder und E-Scooter ausbauen und multiple Mobility-as-a-Service-Lösungen aus einer Hand vorsehen. Dann bleibt das Auto öfter stehen und die Öffentlichen werden entlastet. Denn nur mit Mobilitätsstrategien, die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gerecht werden, können Städte den – grünen – Turbo für die CO2-Neutralität zünden.

(1) Referenzgruppen: Alleinlebende Erwachsene, Erwachsene aus Haushalt ohne Kinder, Erwachsene aus Haushalt mit Kindern, alleinerziehende Erwachsene.

(2) Frage: Was würde Ihnen aus der folgenden Liste am schwersten fallen? a) auf Fleisch verzichten b) auf Flugreisen verzichten; c) auf ein eigenes Auto verzichten; d) auf Video-Streaming verzichten; e) auf (fabrik-)neue Kleidung verzichten.

(3) There are differences in how men and women see mobility — this is why that's important | World Economic Forum (weforum.org)

(4) Women and transport (europa.eu)

(5) Rethinking public transportation for women’s safety and security —  ICLEI Sustainable Mobility

(6) Frage: Wo kommt es Ihrer Ansicht nach am häufigsten zu Gewalt gegen Frauen ... zu Hause, am Arbeitsplatz, an Schule und Universität, an öffentlichen Orten, in öffentlichen Verkehrsmitteln, im Internet, an anderen Orten (max. zwei Nennungen).

 

Nea Prättälä arbeitet als Trainee im Referat Soziales der Abteilung Ökologische, klimatische und soziale Aspekte (ECSO) der EIB. Maja Roginska ist Senior Transport Economist in der Abteilung Strategische Eisenbahnen der Bank. Carmen Niethammer ist Senior Gender Specialist im Referat Soziales der Bank.