Wenn wir in Europa unabhängig von Kohle, Öl und Gas werden wollen, kommen wir an der Elektrifizierung nicht vorbei. Sie ist der Schlüssel, um Emissionen im Verkehr, beim Heizen und in der Industrie zu senken. Erneuerbare Energien sind auf dem Vormarsch – doch ein entscheidendes Puzzleteil wird oft übersehen: das Stromnetz.
Die Internationale Energieagentur schätzt, dass Europas jährliche Netzinvestitionen bis 2025 auf über 70 Milliarden US-Dollar steigen – doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Trotzdem hinken sie dem Ausbau der Erneuerbaren hinterher. Weltweit fließen jährlich rund 400 Milliarden US-Dollar in Stromnetze, dagegen etwa 1 Billion US-Dollar in die Stromerzeugung. Um mit der steigenden Nachfrage Schritt zu halten, muss Europa beim Netzausbau deutlich zulegen.
Fehlende Investitionen schaffen Ineffizienzen in Europa und darüber hinaus: Sie führen zu langen Warteschlangen für den Netzanschluss und erschweren die Weiterleitung des günstigen Grünstroms vom Erzeugungsort dorthin, wo er verbraucht wird. Ohne einen massiven Ausbau kann Europa nicht genug grünen und bezahlbaren Strom für Haushalte und Unternehmen anbieten. Dann bleibt die grüne Industrierevolution in der Warteschleife stecken, statt durchzustarten.
Abschied vom Einbahnnetz
Früher war alles einfach: Strom floss nur in eine Richtung – von großen Kohle- oder Atomkraftwerken zu den Verbrauchern. Heute ist das anders. Stromnetze müssen Strom in beide Richtungen leiten, schwankende Mengen aus großen Wind- und Solaranlagen aufnehmen und viele dezentrale Erzeuger wie kleinere Solardachanlagen oder Bürgerwindparks anschließen.
Damit das gelingt, brauchen die Übertragungsnetze ein Upgrade: für mehr erneuerbare Energie aus Anlagen an Land und auf See, für bessere Verbindungen über Ländergrenzen hinweg und für das Monitoring in Echtzeit. Der Branchenverband Eurelectric warnt: Viele europäische Verteilnetze sind 2030 über 40 Jahre alt und damit bald am Ende ihrer Lebensdauer. Gleichzeitig wächst der Druck durch die steigende Stromnachfrage, alternde Infrastruktur und den Bedarf an smarten, klimafesten Lösungen.
Intelligente Netze für ein neues Energiezeitalter
Netze modernisieren heißt mehr, als neue Leitungen und Umspannwerke zu bauen. Es geht um eine breite digitale Transformation: Das Netz muss smarter, flexibler und sicherer werden. Neben dem physischen Ausbau sind digitale Werkzeuge, Automatisierung und Cybersicherheit gefragt, für ein robusteres Netz mit mehr Kapazität und kürzeren Reaktionszeiten. Aber das macht Investitionen komplex und teuer.
Netzbetreiber – egal ob für Übertragungs- oder Verteilnetze – stehen vor großen Herausforderungen. Genehmigungen dauern oft Jahre, neue Projekte stoßen auf öffentlichen Widerstand und machen teure Erd- oder Seekabel nötig. All dies bremst den Ausbau.
Hinzu kommen hohe Zinsen und Baukosten, die Großprojekte erschweren. Klassische Finanzierungsmodelle reichen oft nicht mehr, vor allem bei neuen Aufgaben wie Stromspeichern oder dezentraler Erzeugung, die mehr Risiken bergen.
Die Branche ist zudem zersplittert: Von großen internationalen Übertragungsnetzbetreibern bis zu kleinen Stadtwerken – jeder arbeitet nach eigenen nationalen Regeln. Das macht es für Geldgeber schwer, einheitliche Lösungen zu finden.
Rückenwind für den Netzausbau
Die Europäische Investitionsbank-Gruppe kann helfen, Risiken zu senken und privates Kapital zu mobilisieren. Sie kombiniert Finanzierungen mit EU-Garantien und bietet günstige Konditionen.
Mit einem neuen Plan will die Bank ihre Finanzierungen 2025 auf den Rekordwert von 100 Milliarden Euro steigern. Damit stärkt sie saubere Energien, Lieferketten für Stromnetz-Komponenten, Cleantech-Innovationen und Energieeffizienz. Für Stromnetze ist 2025 ein Rekordbetrag von 11 Milliarden Euro eingeplant – fast dreimal so viel wie 2023.
Anfang 2025 schnürte die EIB-Gruppe ein Paket von 1,5 Milliarden Euro, um europäischen Netzkomponenten-Herstellern Bankgarantien zu bieten – ein Beitrag unter dem Deal für eine saubere Industrie und dem Aktionsplan für erschwingliche Energie der EU. Damit werden Lieferketten gestärkt, die für die Integration erneuerbarer Energie und Versorgungssicherheit sorgen. Zuvor hatte die EIB 2023 bereits ein 5-Milliarden-Euro-Programm für Windkraft-Unternehmen in Europa aufgelegt.
Das 2025er-Netzpaket setzt gezielt bei Engpässen wie Transformatoren, Kabeln und Schaltanlagen an. Ziel ist, Europas Abhängigkeit von Importen zu verringern und die Lieferketten für wichtige Netztechnik zu stärken. Das gibt Unternehmen die nötige Planungssicherheit, um die Produktion und den Netzausbau in Europa zu beschleunigen.
Besserer Zugang zu Finanzierungen
Innovative Beispiele gibt es bereits: Die Bank hat sich an grünen Hybridanleihen von Redeia Corporación in Spanien beteiligt und hilft Tauron und Energa in Polen bei ihren Investitionen in die Netze.
Auch kleinere Städte und Gemeinden profitieren: Mit der Pilotinitiative „Growth for Energy“ (G4E) unterstützt die Bank gezielt Länder mit eher dezentralen Anbietern beim Netzausbau.
Weitere aktuelle Projekte der EIB-Gruppe:
- Prinzessin-Elisabeth-Insel: Die Bank finanzierte die weltweit erste künstliche Energie-Insel vor der belgischen Küste mit. Das bringt 3,5 Gigawatt ins Netz – genug für mehr als drei Millionen Haushalte in Belgien.
- Stromleitung durch den Golf von Biskaya: Mit 1,6 Milliarden Euro unterstützt die Bank eine neue Leitung zwischen Spanien und Frankreich, die die Stromkapazität fast verdoppelt. Damit bleibt die Iberische Halbinsel nicht länger abgeschnitten vom EU-Energiemarkt – ein Meilenstein für die regionale Integration.
Fokus auf Netze
Wenn Europa beim Klimaschutz vorne und wirtschaftlich wettbewerbsfähig bleiben will, muss es Stromnetze zur Priorität machen. Das heißt: Genehmigungen beschleunigen, Innovation fördern und flexiblere Finanzierungsmodelle ermöglichen. Stromnetze sollten nicht mehr als flankierende Infrastruktur betrachtet werden, sondern als Kernelement der grünen Transformation.
Die zweite Phase des Klimabank-Fahrplans der EIB-Gruppe wird die Prioritäten für die nächsten fünf Jahre festlegen. Investitionen in Stromnetze stehen dabei ganz oben auf der Agenda – damit Europa die Energiewende schafft.