Im Finanzsektor ist Diversifizierung eine gängige Strategie des Risikomanagements. Analog dazu profitieren alle im Bankensektor von gesellschaftlicher Diversität, schreibt Alexander Stubb zum Internationalen Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie.

Ich bin in Skandinavien aufgewachsen, und bei uns gehören Respekt, Toleranz und Offenheit von Anfang an dazu. Als ich vom öffentlichen Dienst in die Politik wechselte, bestimmten diese Werte ganz selbstverständlich auch meine politische Arbeit: In meiner Zeit als Ministerpräsident haben wir in Finnland die Ehe für alle eingeführt.

Für viele Europäer*innen ist die Ehe für alle heute ganz selbstverständlich. Dasselbe gilt für Gleichstellung im Allgemeinen, Toleranz und Nichtdiskriminierung – unabhängig von sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität und ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit. Für uns sind das elementare Grundlagen.

Null Toleranz für Intoleranz

Trotzdem gibt es immer noch Menschen mit Wertvorstellungen, die wohl aus einer anderen Zeit stammen. LGBT+-Themen lösen bei ihnen Befremden aus. Diese Menschen ermutige ich, sich zu öffnen und sich in andere hineinzuversetzen.

Möglicherweise wenden sie ein, dass wir ihre Intoleranz ebenso tolerieren müssen. Rede- und Meinungsfreiheit bedeute auch, dass wir es respektieren müssen, wenn sie Bi-, Trans- oder Homosexualität für etwas Unnatürliches halten. In diesem Punkt bin ich jedoch kompromisslos: Für Intoleranz habe ich null Toleranz, auch wenn ich sonst sehr tolerant bin.

Alle dürfen gern mitdiskutieren und hinterfragen, was andere denken. Wer aber behauptet, dass Menschen, so wie sie sind – nicht wie sie denken, wohlgemerkt –, widernatürlich seien, spricht ihnen letztendlich die Freiheit der Existenz ab. Wer auf Meinungsfreiheit hält, sollte seine Worte so wählen, dass anderen dieses Recht nicht abgesprochen wird. Denn Meinungsfreiheit besteht nur dann, wenn sie für jede*n gilt. Aus Respekt neutrale Formulierungen zu verwenden, kostet nicht viel.

Offen oder im Verborgenen

Sexualität ist Privatsache, aber die sexuelle Ausrichtung lässt sich manchmal nur schwer verbergen. Für die Geschlechtsidentität gilt dies noch mehr. Dass ich mit einer Frau verheiratet bin, ließe sich beispielsweise nur mit Mühe verheimlichen, und merkwürdig wäre es auch. Homosexualität und Transsexualität müssen ebenso akzeptabel sein wie meine Entscheidung, eine Frau zu heiraten. Deshalb brauchen wir einen Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie.

Deshalb ist es auch gut, dass es bei der EIB ein LGBT+-Netzwerk gibt und die Zuständigkeit für diese Fragen im Direktorium angesiedelt ist, wo sie in meinen Aufgabenbereich fallen. Und deshalb hat die Bank auch Strategien für Gleichberechtigung, Diversität und Inklusion festgelegt.

Das Wichtigste aber ist, dass sich alle wohlfühlen – ganz gleich, ob sie sich offen zu ihrer sexuellen Orientierung bekennen oder nicht. Und genau dieses Klima wollen wir in der Bank schaffen.

Vorteil Vielfalt

Diversität in Organisationen lohnt sich. Im Finanzsektor ist Diversifizierung eine gängige Strategie des Risikomanagements. Wer seine Anlagen streut, mindert das Risiko: Wenn in einer Region, einem Sektor oder einer Anlageklasse etwas Unerwartetes passiert, ist nicht alles verloren. Diversifizierung als allgemeiner Grundsatz schafft zudem Wert – nicht nur in Banken. Vielfältige Sichtweisen helfen uns, die Welt um uns herum besser zu verstehen. So können wir bessere Entscheidungen treffen.

Wenn wir die Perspektiven aller Kolleg*innen einbeziehen – unabhängig von sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, Alter, Staatsangehörigkeit oder Behinderung –, bestärkt das jede*n darin, auch abweichende Meinungen offen zu äußern. So können wir Gruppendenken verhindern.

Genau deshalb ist die Europäische Union übrigens so ein großartiges Projekt. In Europa bestehen mannigfaltige Standpunkte und viele Kulturen nebeneinander – die schwul/lesbische Kultur, die finnische Kultur, die ungarische und die spanische Kultur, die Fitness- und Gesundheitskultur und viele mehr.

Darum muss die Europäische Union weiterhin für Vielfalt und für den Schutz der grundlegenden Menschenrechte eintreten. Wir tragen unseren Teil dazu bei, indem wir in der Europäischen Investitionsbank und bei den Projekten, die wir finanzieren, diese Werte hochhalten.

Es macht mich sehr glücklich, dass so viele Unternehmen und Organisationen in Europa den Wert von Vielfalt und Inklusion anerkennen. Dieser Erfolg, den wir heute feiern, soll uns Ansporn für die Zukunft sein.