Ökologische Herausforderungen gefährden auch den Frieden. Umso wichtiger sind Klimafinanzierungen für die Zukunft der Menschen im Nahen Osten, schreibt unser Präsident

Diese Woche lernte ich Miriam kennen, eine Schülerin aus Ramallah. Sie erzählte mir von ihrer Schule, die mit Solarenergie versorgt wird. Die Europäische Investitionsbank hat 450 dieser Schulen im Westjordanland finanziert. Miriam sprach fließend Englisch und war sich der Folgen des Klimawandels für ihre Region vollauf bewusst. Trotzdem strahlte sie Optimismus aus und erklärte mir wortreich, warum der Nahe Osten auf die Kraft der Sonne setzen sollte, ist sie doch eine der wenigen sauberen Energiequellen, die im Überfluss vorhanden sind.

Am Tag darauf traf ich den israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett. Er dankte der EIB für die Finanzierung von vier der sechs Entsalzungsanlagen in Israel. Eine davon wird die größte der Welt sein, wenn sie 2023 in Betrieb geht. Bennett scherzte, dass fast zwei Drittel des Wassers in unseren Gläsern aus diesen EIB-Projekten kommen. Die Israelis leben in einer Region mit wachsender Bevölkerung und wissen, dass Wasserknappheit schnell zu neuen Konflikten führen kann. Deshalb wollen sie ihre Entsalzungskapazitäten ausbauen, um im Notfall Wasser gegen saubere Energie eintauschen zu können.

Veränderte Niederschlagsmuster, Wasserknappheit und immer häufigeres und intensiveres Extremwetter – einschließlich Hitzewellen und Waldbrände – treffen Israelis und Palästinenser gleichermaßen. Dass sie das Problem gemeinsam angehen müssen, ist eine der wenigen Fragen, in denen sich beide Seiten einig sind. Der palästinensische Ministerpräsident Mohammad Shtayyeh hat mir das in Gesprächen bestätigt. In einer Konfliktregion gilt Politik meist als Nullsummenspiel. Bei der Klimapolitik ist es anders.

Dramatische Folgen

In einer Rede im Februar dieses Jahres nannte der israelische Staatspräsident Jitzchak Herzog die immer extremeren Wetterereignisse einen Weckruf für die Region: „Lassen Sie es mich allen, die nicht verstehen, was das bedeutet, klar sagen: Wir steuern auf eine Katastrophe zu. Die Klimakrise ist eine Krise der ganzen Welt. Wir im Nahen Osten müssen vor allem auf unsere Region blicken, denn die Folgen der Krise werden dramatisch sein.“

Herzog rief zu einer regionalen Partnerschaft auf, die einen „erneuerbaren Nahen Osten“ schaffen solle. Er dachte dabei an die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Jordanien, Bahrain, Marokko, Saudi-Arabien und Israels „palästinensische Nachbarn“. Die Palästinensische Behörde ist klimapolitisch durchaus aktiv, doch es muss massiv investiert werden, wenn in großem Maßstab sauberes Wasser aus der zentralen Entsalzungsanlage im Gazastreifen und Solarenergie im Westjordanland gewonnen werden sollen.

Diese wegweisenden Klimaprojekte sind notwendig, um die humanitären, ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels in den Griff zu bekommen. Wieder zurück in Luxemburg ist mir klarer denn je: Wir müssen den aktuellen „Klimakonsens“ für die Dynamik der transformativen Klimaprojekte des europäischen Grünen Deals nutzen. Damit machen wir Europa bis 2050 CO2-neutral, und gleichzeitig fördern wir Stabilität und bessere wirtschaftliche Bedingungen im Nahen Osten.

Investitionen, die etwas verändern

Mein Glaube an die transformative Kraft intelligenter Klimainvestitionen ist im Laufe der Zeit immer stärker geworden. In den letzten Jahren hat sich die EIB zum weltweit größten multilateralen Geldgeber von Klimaprojekten gemausert. Für dieses Jahrzehnt hat sie mindestens 1 Billion Euro (1,05 Billionen US-Dollar) für Investitionen zugesagt. In einer so komplexen Region wie dem Nahen Osten braucht es aber mehr als nur Geld, um Projekte zu verwirklichen. Nötig ist viel mehr Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Ländern und den wichtigsten externen Stakeholdern wie den USA und der Europäischen Union.

Die neue EIB-Vertretung für das Westjordanland und den Gazastreifen kann diese Zusammenarbeit möglich machen. Sie hat ihren Sitz in Jerusalem und wurde diesen Monat eröffnet. Sie wird Partnerschaften aufbauen und die Zusammenarbeit im Westjordanland und Gazastreifen intensivieren, aber auch transformative grenzüberschreitende Klimaprojekte in der Region fördern. Für die Klimadiplomatie der EU im Nahen Osten wird sie deshalb unverzichtbar sein.

Wir nehmen Kerry beim Wort

Wir wollen aus europäischer Sicht das ergänzen und ausbauen, was der Sondergesandte des US-Präsidenten für das Klima John Kerry mit seiner diplomatischen Initiative für erneuerbare Energien in den Ländern des Nahen Ostens angestoßen hat. Mit anderen Worten: Wir finanzieren Erneuerbare-Energien- und Wasserprojekte in großem Maßstab, die auf die Zusammenarbeit in der Region setzen, und wir arbeiten an einem noch breiteren Klimakonsens.

Wenn Klimadiplomatie durch hochwertige, innovative Projekte von regionaler Strahlkraft flankiert wird, kann sie vielversprechende neue Wege für Stabilität, Wachstum und Frieden im Nahen Osten bahnen. Davon bin ich überzeugt. Es ist an der Zeit, dass wir Klimafinanzierungen eine Chance geben.

Dieser Artikel wurde zuerst von Project Syndicate veröffentlicht.