Die Wissenschaft weiß, wie wir uns vorbereiten können. Vielleicht gibt das Coronavirus den Anstoß, dass wir Infektionskrankheiten künftig anders bekämpfen.

Die Coronakrise hat unser Leben verändert. Aber bleibt das nun so? In unserer Reihe Ändert sich jetzt alles? sprechen wir mit Expertinnen und Experten der Europäischen Investitionsbank über die Auswirkungen von Covid-19 auf die Bildung, Digitalisierung, Mobilität in Städten und Medizin – und auf unser tägliches Leben.

Was das Virus für die Vorbereitung auf Pandemien und den Kampf gegen Infektionskrankheiten bedeutet, erklärt uns Shiva Dustdar, Leiterin der Abteilung Beratung für Innovationsfinanzierung bei der Europäischen Investitionsbank, der Bank der EU.

Wird das Coronavirus an der Vorbereitung auf Pandemien etwas ändern?

Drei Dinge müssen sich meiner Überzeugung nach ändern, damit wir besser vorbereitet sind.

Erstens müssen wir unsere Risikobewertung verbessern. Rückblickend ist die Welt einfach nicht aufgewacht, als bei der letzten SARS-Pandemie die Alarmglocken schrillten. Ich hoffe sehr, dass es diesmal zu einem Paradigmenwechsel kommt – dass sich die Einstellung weltweit tatsächlich ändert, weil das Coronavirus so verheerende globale Auswirkungen hat. Ich weiß, das klingt klischeehaft, aber für mich ist das wirklich der einzige Weg, damit wir besser vorbereitet sind.

Sie haben vielleicht den Ausdruck „schwarzer Schwan“ gehört, der in der letzten Finanzkrise aufkam. Gemeint sind damit Extremrisiken, sehr unwahrscheinliche Ereignisse. Schwäne sind weiß, deshalb glaubt niemand an schwarze Schwäne, bis tatsächlich einer da ist. Erst dann wächst das Bewusstsein dafür, dass schwarze Schwäne vorkommen können – und das schlägt sich dann in neuen Konzepten für die Risikobewertung nieder. Wir erkennen, dass wir ein bestimmtes Risiko völlig unterschätzt haben. Und wir sehen auch, wie wir es mindern, uns besser darauf vorbereiten können.

Das Risiko errechnet sich normalerweise aus der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses mal dem Schaden, den es anrichten könnte. Welcher Teil der Gleichung wird sich durch die Pandemie nun ändern? Wird den Menschen stärker bewusst, dass eine Pandemie möglich ist, oder verstehen wir jetzt besser, welche gewaltigen Auswirkungen ein solches Ereignis haben kann?

Beides, würde ich sagen. Wenn ich an Diskussionen über Pandemien und die Weltgesundheit denke, dann haben wir das nur in recht engem Rahmen betrachtet. Sie haben vielleicht von „vernachlässigten Krankheiten“ und sogenannten „Krankheiten der Armen“ gehört. Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Malaria oder HIV, so hieß es oft, betreffen vor allem die Entwicklungsländer. Und so schlimm das klingen mag, wir haben darüber hinweggesehen, wie das die ganze Welt treffen könnte – jeden von uns.

Gewiss, die Wissenschaft sagt uns, dass Viren keine Grenzen kennen und unsere üblichen Kriterien ignorieren, die wir vielleicht anlegen: BIP, Hautfarbe oder Nationalität etwa. Aber wir haben das Risiko trotzdem unterschätzt. Und eindeutig auch den wirtschaftlichen Schaden.

Denken Sie an die Kosten-Nutzen-Analyse, nach der in der Vergangenheit entschieden wurde, ob Länder und Unternehmen im Sinne der Weltgesundheit in die Impfstoffforschung und ‑entwicklung investieren sollten. Da standen auf der einen Seite ein paar Milliarden, eine Milliarde je Impfstoff – über einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren. Das schien immer viel Geld. Die andere Seite der Gleichung konnte niemand richtig erfassen, weil das zum großen Teil die Entwicklungsländer betraf und man gar nicht so genau wusste, wie sich das auf deren BIP auswirkt. Das wurde völlig unterschätzt.

Aber wenn wir uns jetzt all die Hilfspakete ansehen, dann sprechen wir von zig Billionen. Das sind die Kosten für das Nichtstun, während vorbeugen vielleicht zig Milliarden gekostet hätte. Geld für ein Portfolio an Impfstoffen, Forschung und Entwicklung – damit das Gesundheitswesen vorbereitet ist.

Es ist niederschmetternd. Niemand, der rational entscheidet und weiß, was Nichtstun kostet, würde zögern, in Prävention zu investieren. Wir haben jetzt die Daten, um das besser zu verstehen. Das sind keine Annahmen und Worst-Case-Szenarien mehr. Es ist leider die Realität, in der wir gerade leben.

Ich möchte aber noch auf ein anderes Problem hinweisen: die zeitliche Inkongruenz. Die Politik plant in Zyklen von vier bis fünf Jahren – bis zur nächsten Wahl. Die Forschung und Entwicklung, vor allem bei Impfstoffen, erstreckt sich im Normalfall über 10 bis 15 Jahre. Bei HIV beispielsweise ist die Entwicklung bis heute nicht abgeschlossen. Kontinuierlich fließen wieder neue Erkenntnisse ein. Das passt also nicht gut zusammen. Für die politisch Verantwortlichen lohnt es sich oft nicht, viel Geld in die Prävention zu stecken. Weil sie möglicherweise nicht die Lorbeeren für die gute Vorsorge einheimsen können, wenn später etwas passiert, das eher unwahrscheinlich erscheint und schwer zu verstehen ist.

Sie erwähnten noch zwei weitere Dinge, die sich ändern müssen. Welche sind das?

Das zweite ist hoffentlich eine positivere Sache. Wir haben die Wissenschaft, die Technologie und können in Tools investieren, die uns helfen, besser vorbereitet zu sein. Mit dem neuen Bewusstsein dafür, wie wichtig das ist, gehen wir die Forschung, Entwicklung und Innovation hoffentlich viel interdisziplinärer an.

Wie bei der Kriegsvorbereitung: Da wird die gesamte Wissenschaft und Technologie einbezogen, die zur Verfügung steht. Wir haben die Raumfahrttechnik. Und natürlich die gesamte medizinische Wissenschaft ... Was wir brauchen, ist ein stärker integriertes Vorgehen bei Investitionen. Es geht darum, das Wissen aus allen Bereichen zu bündeln, um besser vorbereitet zu sein.

Können Sie ein Beispiel geben? Wozu beispielsweise die Raumfahrttechnik?

Die Raumfahrttechnik ist äußerst nützlich. Denken Sie an Satelliten, die Hotspots von Epidemien erfassen und verfolgen können. Diese Instrumente sollten wir nutzen, um einen besseren Gesamtüberblick zu gewinnen, wie sich Epidemien weltweit ausbreiten und wie sich Bevölkerungen bewegen. Wir nutzen sie auch für Daten zum Klimawandel. Das ist nur ein Beispiel.

Und die dritte Veränderung?

Die betrifft die Rolle des öffentlichen Sektors. Im Moment kommt in vielen liberalen Volkswirtschaften der öffentliche Sektor zur Hilfe, um die Lage in den Griff zu bekommen. Hoffentlich wird allen klar, dass wir bereits in guten Zeiten vorsorgen müssen. Die Zivilgesellschaft sollte die öffentliche Verwaltung dazu bringen, wirklich in das Gesundheitswesen, in die Bildung und in digitale Plattformen zu investieren. Wir müssen sicherstellen, dass der öffentliche Sektor in guten wie in schlechten Zeiten gut aufgestellt ist und Märkte schaffen kann – dass er proaktiv und eigenständig agieren kann, statt nur rettend einzuspringen, wenn der Markt kollabiert.

Mariana Mazzucato, Professorin an der UCL, hat sich zu diesem Thema einen Namen gemacht und viel darüber geschrieben. Erst kürzlich hat der Guardian einen Artikel von ihr veröffentlicht, in dem sie sich sehr klar dazu äußert. Das ist sicher ein Punkt, an dem wir alle die Rolle des öffentlichen Sektors noch einmal überdenken müssen. Da kommen dann vielleicht auch Einrichtungen wie die EIB ins Spiel.

Stichwort EIB: Welche Rolle hat die Bank in der Vergangenheit bei der Vorbereitung auf Pandemien gespielt? Und was erhoffen Sie sich da für die Zukunft?

Die EIB hat sich in der Vergangenheit auch in diesem Bereich engagiert, mit geeigneten Instrumenten. Aber das war bislang eher eine Nische, kein großes Tätigkeitsfeld. Zum einen haben wir 2015 im Rahmen von InnovFin ein Programm zur Erforschung von Infektionskrankheiten eingerichtet – eine sehr wichtige Initiative. Sie erhielt während der Ebola-Epidemie grünes Licht, nach einer Marktstudie und Beratungen mit wichtigen Akteuren wie der Gates Foundation und anderen großen Stiftungen und Mitgliedstaaten. Wir wollten sehen, wie wir die Finanzierung über Zuschüsse um Instrumente ergänzen können, die ein Rückzahlungselement beinhalten: Im Erfolgsfall fließen die Mittel zurück – wir können also mit weniger Geld mehr tun. Das war ein sehr hilfreiches Instrument, und jetzt wollen wir verschiedene Impfstoffprojekte im Zusammenhang mit dem Coronavirus finanzieren.

Die Einstellung hat sich verändert. Deshalb hoffe ich, dass solche Instrumente im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen erhalten bleiben und die Mittel dafür sogar aufgestockt werden. Dann können wir auch viel mehr erreichen als bislang.

Daneben haben wir auch Investitionen in Gesundheitssysteme finanziert, und zwar innerhalb und außerhalb Europas. Aber nochmal: Wir sollten diese Investitionen jetzt, mit der neuen Einstellung, gemeinsam mit dem öffentlichen Sektor unter dem Aspekt der Vorbereitung auf Pandemien betrachten. Insofern hoffe ich, dass sich viele neue Projektmöglichkeiten auf diesem Gebiet ergeben und die EIB hier künftig noch eine viel wichtigere Rolle spielen kann.

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