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    Von Dana Burduja und Anna Lynch

    Machen wir uns nichts vor: Die nächste Pandemie kommt bestimmt. Entscheidungstragende neigen jedoch dazu, das auszublenden. Denn die Vorbereitungen sind teuer und zahlen sich vielleicht lange Zeit nicht aus. Deshalb muss die Politik jetzt Vorsorge treffen, solange die Erinnerung an Corona noch frisch ist und das Wunschvergessen nicht eingesetzt hat.

    Was nicht heißt, dass Corona schon vorbei ist. Ein Ende der Pandemie ist zwar absehbar, doch die Krankheit wird bei uns bleiben und möglicherweise endemisch werden. Dabei hat sie bereits tiefe Spuren in unserem Leben, unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft hinterlassen. Die nächste Pandemie wird neu und anders sein. Wenn sie weniger epochale und katastrophale Folgen haben soll, müssen sich Wissenschaft und Politik Hand in Hand darauf vorbereiten. Wir können nicht vorhersagen, welche Krankheit zuschlagen wird. Wir können aber die Erfahrungen aus Corona für unsere Zukunftsplanung nutzen – und das schon jetzt.

    Ein Teil der Vorsorge ist allgemeiner Natur und bezieht sich nicht speziell auf die Krankheit, die – wie auch immer – das nächste Mal die Welt heimsuchen wird. Eine wichtige Erkenntnis aus Corona ist, dass die Beobachtung von Infektionskrankheiten und ihre Erforschung vernachlässigt wurden. Die Konzentration auf nicht minder bedrohliche Erkrankungen wie Herzleiden und Krebs war attraktiver. Doch die Pandemie führt uns vor Augen, wie überlebenswichtig die Erforschung von Infektionskrankheiten ist, von ihrer Entwicklung über Diagnosetools und Behandlungen bis hin zu Impfstoffen. Das A und O aber ist, dass sich die Politik der potenziellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen einer Pandemie bewusst ist.

    Die Politik muss die Verantwortung für die Risiken einer mangelnden Pandemievorsorge übernehmen. In der Coronapandemie war die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft nicht optimal. Sie muss aufgewertet und neu strukturiert werden. Das schließt einen organisatorischen Koloss wie die Weltgesundheitsorganisation ein, deren Prozesse und Funktionen sich als überholt erwiesen oder der Aufgabe nicht gewachsen waren.

    Pandemievorsorge gemeinsam und weltweit

    Mehr Geld für Pandemievorsorge lässt sich der Politik nur schwer verkaufen, schließlich winkt kurz- und mittelfristig keine Rendite. Wenn die Pandemie dann da ist, sind die Auswirkungen auf die Wirtschaft enorm. Wer vorbauen will, braucht einen langen politischen Atem.

    Umso mehr, als generell zu wenig in die Gesundheitssysteme investiert wird. Selbst die reichen Länder kommen nicht auf die sieben bis zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die für eine flächendeckende Gesundheitsversorgung bis 2030 nötig wären. Wenn davon noch Geld in vorbeugende Maßnahmen fließen soll, wird es kompliziert. Vorsorge braucht einen starken politischen Rückhalt. Wir können nur hoffen, dass der Blick in den Abgrund während Corona die Politik dazu antreibt, heute Geld in die Hand zu nehmen, um bei der nächsten Pandemie die große Rendite einzufahren.

    Corona hat uns deutlich vor Augen geführt, wie wichtig das internationale Zusammenspiel ist, vor allem in den frühen Lockdownphasen im Frühjahr 2020. Die Politik muss jetzt wirklich zu einer weltumspannenden Zusammenarbeit bereit sein. Denn eine Pandemie hat weltweit Auswirkungen. Ob Reisen, Lieferketten oder Zugang zu Informationen, alles ist heute global. Deshalb muss enger kooperiert werden: beim Austausch zuverlässiger Informationen, bei Best Practice, beim Datenaustausch, in der Forschung und bei der Verteilung von medizinischem Material (wie Schutzausrüstung) und Impfstoffen, inklusive Spenden für ärmere Länder. In der aktuellen politischen Lage fällt diese Zusammenarbeit nicht immer leicht, doch ohne sie geht es nicht.

    Ein Impfstoffarchiv

    Wie könnte die internationale Zusammenarbeit konkret aussehen?

    Nach der Veröffentlichung des Covid-19-Genoms entwickelten erfahrene Forscherinnen und Forscher in nur drei Monaten die Formel für einen Impfstoff (bei Tests und Herstellung ging es nicht so schnell). Einige von ihnen sagen jetzt, dass sie mit ausreichender Finanzierung – und mithilfe der neuen Technologien aus der Coronaforschung – Formeln für die häufigsten pandemischen Gefahren der Zukunft entwickeln könnten.

    Laut der Koalition für Innovationen in der Epidemievorsorge (CEPI) müssten allein für die Entwicklung 3,5 Milliarden Euro investiert werden. Ohne diese Forschung, warnt die CEPI, drohen Mutationen weitaus tödlicherer Viren wie des MERS-Virus (Nahost-Atemwegssyndrom), die sie so ansteckend machen könnten wie Covid-19. Eine solche Kombination wäre in den Worten der CEPI „zivilisationserschütternd“. Die Koalition schlägt daher vor, dass die Forschung ein „Impfstoffarchiv“ anlegt und eine Produktions- und Verteilungsinfrastruktur finanziert wird. Darauf sollten sich die Führungsspitzen aus aller Welt einigen und öffentliche Investitionen mit privatwirtschaftlichen Mitteln bündeln, damit die Forschung bei der nächsten Pandemie weltweit verfügbar ist.

    Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass sich die Finanzierung kurzfristig von der öffentlichkeitswirksameren Herz-Kreislauf- und Krebsforschung in Richtung Infektionskrankheiten verlagert. Die Covid-19-Impfstoffe kamen aus wenig bekannten Unternehmen wie der deutschen Firma BioNTech, die Unterstützung der EIB erhielt und deren Impfstoff als Erster zugelassen wurde, und aus langfristigen Forschungsprojekten, zum Beispiel an der Universität Oxford, deren Arbeit zum AstraZeneca-Impfstoff führte. Sie stammten nicht aus Großforschungsprogrammen der Branchenriesen – von denen sich viele schon vor langer Zeit von der FuE für Infektionskrankheiten verabschiedet und profitableren Vorhaben zugewandt hatten.

    Noch nie wurde so schnell ein Impfstoff entwickelt wie gegen Corona. Das lag zum Teil an den Sondermaßnahmen der Zulassungsbehörden, weswegen Unternehmen wissenschaftliche Daten vorlegen konnten, sobald sie verfügbar waren. Entsprechend zügig liefen die Prüfungsverfahren. Die Behörden stellten aber auch einen Großteil ihrer sonstigen Arbeit zugunsten der Impfstoffe zurück. Viele Unternehmen taten es ihnen gleich: Die Covid-19-Forschung hatte Vorrang vor anderen Programmen. Und die Zusammenarbeit zwischen den Pharmafirmen erreichte nie gekannte Ausmaße.

    In der Regel dauert es allerdings zehn bis zwölf Jahre, bis ein Medikament oder Impfstoff entwickelt ist. Wenn wir nicht aufpassen, besteht die Gefahr, dass die Aufmerksamkeit – und mit ihr die Forschungsgelder – weiterwandern, sobald Corona nur noch eine unangenehme Erinnerung ist.

    EU-Hilfe für die Pandemievorsorge

    Der öffentliche Sektor spielt bei der Frühphasen-Finanzierung der Arzneimittelentwicklung eine zentrale Rolle. Er steht aber auch am Ende der Kette.

    In einer Pandemie kommen die schwersten Fälle zwangsläufig ins Krankenhaus. Für die meisten Gesundheitssektoren innerhalb und außerhalb der EU war das eine enorme Belastung. Die EIB fördert einen gleichberechtigten Zugang zu einer hochwertigen und erschwinglichen Gesundheitsversorgung, ganz in Einklang mit der Politik und den Grundsätzen der Kommission. Unsere Finanzierungen sollen dem Gesundheitssystem ein neues Gesicht geben und den Zugang zur Versorgung – vor allem durch moderne Technologien – besser und fairer machen.

    Eine finanzielle Rendite bringen sie nicht, wohl aber einen gewaltigen volkswirtschaftlichen Nutzen. Die Pandemie hat schlaglichtartig gezeigt, wie wichtig ein gut vorbereitetes Gesundheitswesen ist. Nicht nur zum Wohle der Menschen, sondern auch der Wirtschaft, in der sie leben und arbeiten.

    Die EIB war maßgeblich an der Finanzierung neuer Beatmungsgeräte, mobiler Krankenhauseinheiten und mobiler Intensivstationen beteiligt. Personal können wir nicht von heute auf morgen ausbilden. Dabei wird schon seit Jahren viel zu wenig in die Ausbildung von Pflege-, medizinischen und Hilfskräften investiert. Die Pandemie hat nur die größten Lücken ans Licht gebracht.

    Und dass das Gesundheitspersonal durch moderne Technologien entlastet werden muss. Deshalb haben wir Projekte finanziert, die die Telemedizin, die Aus- und Weiterbildung medizinischer Kräfte sowie Einrichtungen für eine flexiblere medizinische Versorgung voranbringen. 

     

    Die EIB fördert einen gleichberechtigten Zugang zu einer hochwertigen und erschwinglichen Gesundheitsversorgung … vor allem durch moderne Technologien.

    Krankenhäuser neu gedacht

    Ein ganz einfaches Beispiel veranschaulicht, wie wir Krankenhäuser „pandemiebereit“ machen können.

    Die meisten Krankenhäuser, die wir finanzieren, haben spezielle Bereiche, die im Notfall zu Isolationsbereichen mit maximal einem oder zwei Patientenbetten pro Zimmer umfunktioniert werden. In so einem Krankenhaus können viel leichter Corona-Patienten im gleichen Haus wie Nicht-Corona-Patienten behandelt und die Covid-19-Bereiche bei Bedarf erweitert werden. In älteren Krankenhäusern führten großräumige, unflexible Strukturen dazu, dass wegen Corona weniger andere Patienten aufgenommen werden konnten. Leidtragende waren u. a. Patienten mit chronischen Erkrankungen. Und nicht nur Patienten, auch das medizinische Personal musste innerhalb des Hauses getrennt werden. Wir bereiten zurzeit neue Förderkriterien für unsere Projekte vor, die nicht nur Vorsorge- und Resilienz-, sondern auch Flexibilitätskomponenten in diesem Sinne enthalten.

    Und wir finanzieren patientennahe Zentren für die medizinische Grundversorgung, damit Krankenhäuser generell entlastet werden, etwa in Irland und Österreich. Die Patientinnen und Patienten werden im gewohnten Umfeld versorgt. Statt einer Odyssee von Arztpraxis zu Arztpraxis werden sie unter einem Dach betreut. Das Zentrum kann bis zur fachärztlichen Versorgung die meisten medizinischen Probleme vor Ort lösen.

    Integrierte medizinische Grundversorgungszentren leisten neben der Behandlung auch viel Bildungs-, öffentliche Gesundheits- und Präventionsarbeit. Sie sind im Gemeinwesen verankert, bieten lange Sprechstunden, verfügen über Personal verschiedener Fachgebiete und sind nach Möglichkeit mit dem Gesundheitssystem und den Patienten selbst digital integriert.

    Jenseits der digitalen Grenzen

    Kompliziert ist die Situation auch deshalb, weil zumindest in der EU allein die Mitgliedsländer für das Gesundheitssystem zuständig sind.

    Die EU hat zwar Leitprinzipien und Prioritäten für die Gesundheitspolitik erarbeitet, die Versorgung selbst, die Finanzierung und Organisation (einschließlich Zugang und Nutzung personenbezogener Daten für medizinische Zwecke) liegen aber in der Hand der einzelnen Länder. Ideal aus Sicht der Pandemievorsorge wäre eine persönliche Patienten-Kennnummer (nebst medizinischer Basisinformationen), die EU-weit gültig ist. Das Covid-Zertifikat bzw. der Covid-Pass ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es macht vor, wie Informationen in der EU ohne digitale Grenzen ausgetauscht werden. Das könnte der Anfang einer Entwicklung sein, an deren Ende auch Patientenakten und -daten die Grenzen überwinden.

    Der Königsweg zur Vorsorge ist Wissenschaftskommunikation. Denn sie fördert den politischen Konsens – auf der Basis valider wissenschaftlicher Daten, Informationen und Analysen – und die Akzeptanz aller notwendigen Maßnahmen in der Öffentlichkeit. Erforderlich ist ein klarer Kommunikationsweg zwischen Wissenschaft und Politik, damit politische Entscheidungen nicht auf Fake News und Desinformation, sondern auf echten Informationen beruhen. Sonst können wir noch so gut planen, wir wären der nächsten Pandemie wieder schutzlos ausgeliefert. Niemand darf so tun, als hätte es Corona nie gegeben.

    Dana Burduja ist Gesundheitsökonomin und Anna Lynch Expertin für Biowissenschaften in der Abteilung Life Science und Gesundheit der EIB.