Medizinische Forschung zum Coronavirus verspricht bessere Behandlungschancen für Patienten. Aber woher kommt das Geld dafür? Wir haben unseren Experten für die Gesundheitswirtschaft gefragt.

Die Coronakrise hat unser Leben verändert. Aber bleibt das nun so? In unserer Reihe Ändert sich jetzt alles? sprechen wir mit Expertinnen und Experten der Europäischen Investitionsbank über die Auswirkungen von Covid-19 auf die Bildung, Digitalisierung, Mobilität in Städten und Medizin – und auf unser tägliches Leben.

Der ungarische Wissenschaftler Albert Szent-Györgyi, Entdecker des Vitamin C, sagte einst: „Die Forschung braucht vier Dinge: erstens Köpfe zum Denken, zweitens Augen zum Sehen, drittens Geräte zum Messen und viertens – Geld.“ Welche Geräte, welche Gelder und vor allem welche Kooperationen sind notwendig, um die Forschung voranzubringen und denjenigen zu helfen, die bereits rund um die Uhr Covid-19-Patienten behandeln? Darüber haben wir mit Marcin Golec gesprochen – er ist Arzt und arbeitet als Gesundheitsökonom für die Europäische Investitionsbank.


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Das Coronavirus zeigt, dass wir eine aktive Zusammenarbeit zwischen der medizinischen Forschung und der klinischen Praxis brauchen. Wie hat das europäische Gesundheitswesen reagiert?

Covid-19 ist eine neue Krankheit, und wir haben es mit einem neuartigen Virus zu tun. Alles, was wir über den Erreger und die Krankheit bislang wissen, haben überarbeitete Ärztinnen und Ärzte unter Ansteckungsgefahr in den letzten Monaten zusammengetragen – mit Unterstützung der medizinischen Forschung.

Wie hat das europäische Gesundheitswesen reagiert? Lehrkrankenhäuser und medizinische Forschungsinstitute in ganz Europa beteiligen sich an der Forschung zu Covid-19 und dem neuen Coronavirus. Zum Teil wurde sogar schon geforscht, bevor das Virus auf so unselige Weise bekannt wurde. Die ganze Maschinerie dahinter lief sofort an: die Forschungs- und auch die Finanzierungsprogramme, bei denen die EIB mit dabei ist.

Deshalb haben wir jetzt all diese schönen Modelle, auf deren Grundlage wir und die Entscheidungsträger auf die Krise reagieren können. Wir können auf neue Medikamente hoffen, und wir können auf konkrete Anweisungen hoffen, wie wir uns im Alltag verhalten sollen [um die Ausbreitung des Virus einzudämmen]. Da steckt eine unglaubliche Arbeit dahinter, die in den letzten Monaten in Klinik und Forschung geleistet wurde.

Ich denke, uns allen ist jetzt klar, wie wichtig die medizinische Forschung ist. Sie ist der einzige Weg, wie wir die Covid-19-Pandemie vernünftig in den Griff bekommen können, ohne unzählige Menschenleben oder eine Katastrophe für die Weltwirtschaft zu riskieren.

Ich muss wohl nicht das Argument bemühen, mit dem die amerikanische Aktivistin Mary Lasker den US-Senat aufforderte, Gelder für das National Institute of Health freizugeben: „Senatoren, wenn Sie medizinische Forschung teuer finden, dann überlegen Sie, was Krankheiten kosten.“ Weil wir gerade auf tragische Weise erleben, wie teuer eine Krankheit sein kann, erwähne ich es trotzdem.

Was hat Europa unter enormem Druck gut gemacht, und was gelang weniger gut?

Wir haben erkannt, dass wir hervorragende Forscherinnen und Kliniker haben, die trotz Überlastung und Infektionsrisiko alles tun, um Erkenntnisse über die Krankheit zu sammeln und weiterzugeben. Zweitens hat die gesamte Maschinerie der Forschungsfinanzierung, einschließlich der EIB, sofort auf Programme zu Covid-19 und dem SARS-Cov-2-Virus umgestellt.

Was ist nicht gut gelaufen? Es gibt noch Lücken, die wir schließen müssen, damit wir besser reagieren können. Ich denke an die Digitalisierung des Gesundheitssektors und die Schnittstelle zwischen Gesundheitssektor und medizinischer Forschung. Stellen Sie sich vor, diese Sektoren – beispielsweise in Italien, Polen, Frankreich, Deutschland – arbeiten in einem geeigneten rechtlichen Rahmen nahtlos digital zusammen, und die medizinischen Fachkräfte stehen im Austausch mit Experten, die große Datenmengen analysieren. Dann haben wir nicht nur die Menschen, die an der Front Heldenhaftes leisten, sondern auch eine ganze Maschinerie dahinter, die regelmäßig all diese Daten analysiert. So bekommen wir bessere Modelle und wissen schneller, wie mit der Krankheit umzugehen ist – wie ein geeignetes Disease Management aussieht.

Es ist schade: Wir haben die Technologie, nur setzen wir sie im Gesundheitssektor bislang nicht ein. Hier sehe ich die Aufgabe für die Zukunft, auch für die EIB. Die Digitalisierung des Gesundheitssektors, die Vernetzung von Gesundheitssektor und medizinischer Forschung, Forschungseinrichtungen – da hat die EIB Erfahrung in der Finanzierung und bei der Suche nach Lösungen für Projektträger. Und das ist es, was wir tun müssen, in noch größerem Umfang als bisher schon. 

Interessant, dass Sie das sagen. Erst kürzlich hat die EIB ja in Polen und Irland Campuseinrichtungen finanziert, die Forschung und Praxis in der Medizin zusammenbringen. Wird das den Informationsaustausch fördern, von dem Sie sprechen?

Medizinische Forschung ist sehr teuer, und der Gesundheitssektor ist ein sehr fragiles, komplexes Gebilde. Viele Köpfe machen sich Gedanken, wie sich diese Systeme so organisieren lassen, dass sie das Bestmögliche leisten. Die EIB unterstützt mit viel Geld die gemeinsame Ansiedlung von medizinischen Forschungslaboren, Lehrkrankenhäusern und – nicht zu vergessen – Inkubatoren, die helfen, Forschungsergebnisse kommerziell zu verwerten und in den Dienst der Patienten zu stellen.

Die Verbindung all dieser Aktivitäten hilft der Forschung also, Zugang zu Echtzeit-Patientendaten zu erhalten. Ist das der Gedanke?   

Die Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus kümmern sich Tag und Nacht um ihre Patienten. Und sehr oft kommt die Zeit für die Forschung noch extra dazu. So ist es im Moment. In der Klinik wird geforscht, und die Ergebnisse dieser Arbeit kommen Patienten zugute, die vielleicht in einigen Jahren oder Jahrzehnten erkranken. Heute ist es mit der Digitalisierung aber möglich, Patientendaten vor Ort zu analysieren und die Schlussfolgerungen daraus direkt umzusetzen.

Bei der Covid-19-Pandemie wäre das jetzt sehr hilfreich. Es ist ein Weg, die Forschung technisch zu erleichtern und voranzubringen. 

Wie hilft die EIB bei alldem? Was können wir bieten, das andere Kreditgeber oder internationale Organisationen nicht leisten können?

Welche Rolle die EIB in diesem Ökosystem der medizinischen Forschung spielt? Ich möchte mit den Worten des ungarische Wissenschaftlers Albert Szent-Györgyi antworten, dem Entdecker des Vitamin C: „Die Forschung braucht vier Dinge: erstens Köpfe zum Denken, zweitens Augen zum Sehen, drittens Geräte zum Messen und viertens – Geld“, um alles zu bezahlen.

Die EIB zählt zu den internationalen Finanzierungsinstitutionen, so wie die Weltbank oder auch die Asiatische Entwicklungsbank und die Afrikanische Entwicklungsbank. Das Besondere an der EIB ist, dass sie hauptsächlich in der EU tätig ist und damit in Ländern mit hohen bis sehr hohen Einkommen. Laut WHO sind in diesen Ländern 45 Mal so viele Menschen in der medizinischen Forschung tätig wie in armen Ländern, die weniger gut dran sind.

Das ist eine Chance für uns. Wir können mehr medizinische Forschung finanzieren oder unseren Gesundheitssektor nutzen, um mehr Forschungsprojekte zu finanzieren. Es ist aber auch unsere Pflicht. Wir haben die Mittel und die Möglichkeiten dazu. Mit „wir“ meine ich die EIB als Finanzierungseinrichtung der EU und die EU, die mit ihren fantastischen Lehrkrankenhäusern, Forschungsinstituten und Forschungskonsortien die großen Gesundheitsthemen der Menschheit angehen kann. Im Moment dreht sich alles um Covid-19, aber vergessen wir nicht: Es gibt auch noch andere Infektionskrankheiten, Krebs, neurodegenerative Erkrankungen etc.

Wie kann die EIB helfen? Die EIB verfügt erstens über die Mittel. Zweitens ist sie als Einrichtung für langfristige Finanzierungen bestens aufgestellt, um medizinische Forschung zu finanzieren, die langfristig ausgerichtet und sehr teuer ist. Die EIB kann die riesigen Summen aufbringen, die dafür nötig sind.

Die Finanzierung medizinischer Forschung ist ein sehr komplexes Thema. Allein das Geld dafür zu haben, reicht nicht aus. Man muss auch wissen, wie man es investiert, damit es optimal eingesetzt und nicht verschwendet wird. Die EIB hat jahrzehntelange internationale Erfahrung in der Finanzierung dieser Art von Forschung.

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