Die Europäische Union ist in vielen Bereichen technologisch führend, muss aber ihre Position festigen, um im immer härteren globalen Wettbewerb zu bestehen. Drei Maßnahmen könnten Europa helfen, seinen Vorsprung zu halten: massive Investitionen in Innovation und mehr Finanzierungen für junge Hightech-Unternehmen, eine bessere Integration des teils fragmentierten Binnenmarktes sowie einfachere Verfahren und weniger Bürokratie.
Europa hat enorme Stärken: seine Stellung in Industrie, Forschung und Handel, seine Vorreiterrolle beim Klima und sein Sozialmodell, das Menschen schützt und ihnen hilft, sich zu entfalten. Europa ist in Handel und Forschung eine Macht, mit einer starken industriellen Basis. Neue Digitaltechnologien wie künstliche Intelligenz und Big Data könnten nun für einen Produktivitätsschub sorgen. Gleichzeitig zahlt sich Europas Vorreiterrolle im Klimaschutz aus, denn die Fortschritte bei der Energiewende und die Führungsposition bei Greentech-Innovationen und im Handel eröffnen neue Chancen.
Um diese und andere Chancen zu nutzen, braucht die EU vor allem eins: konsequente, massive Investitionen. In der Coronapandemie und der Energiekrise wurden die privaten Investitionen zum Teil von der massiven öffentlichen Unterstützung getragen. Diese Unterstützung lässt sich jedoch kaum aufrechterhalten, weil die EU-Haushaltsregeln wieder greifen und einzelne Länder gezwungen sind, Schulden abzubauen. Daher gilt es, die Wirkung öffentlicher Mittel zu maximieren und private Investitionen durch gezielte Instrumente zu mobilisieren – mit der nötigen Abstimmung auf EU-Ebene. Nur so bekommt die europäische Wirtschaft die Investitionen, die sie braucht, um ihr enormes Potenzial auszuschöpfen.
Die öffentlichen Investitionen stiegen im ersten Halbjahr 2024 um 7,2 %
gegenüber dem Vorjahr. Das glich den Rückgang der privaten Investitionen um 2,5 % teilweise aus.
EU-Exporte grüner Technologien sind seit 2017 um 65 % gestiegen.
In China lag der Anstieg bei 79 %, in den USA nur bei 22 %.
74 % der europäischen Innovatoren sehen Hürden
beim Export ihrer Produkte in andere EU-Länder oder ihrer Tätigkeit dort.
Mehr Investitionen
Die Investitionstätigkeit zeigte sich nach der Coronapandemie überraschend robust, größtenteils wegen der staatlichen Hilfen und der direkten EU-Mittel über die 650 Milliarden Euro starke Aufbau- und Resilienzfazilität. Jetzt schwächen sich die Investitionen jedoch ab. Die aktuellen Daten für 2024 zeigen einen allgemeinen Rückgang – auch weil der Privatsektor weniger investiert.
- Die öffentlichen Investitionen stiegen im ersten Halbjahr 2024 um 7,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das glich den Rückgang bei den privaten Investitionen um 2,5 Prozent teilweise aus.
Die EU muss strukturell mehr investieren, um die Aufgaben von morgen zu stemmen: die grüne Wende, die Innovationsförderung, die KI-Revolution, den Fachkräftemangel oder die Verteidigungsaufgaben.
Was optimistisch stimmt: Bei der Umfrage im Sommer 2024 gaben viele EU-Unternehmen an, mehr investieren zu wollen, vor allem diejenigen in Hightech- und Midtech-Branchen. Allerdings dürften die jüngsten Entwicklungen die Investitionen dämpfen – Stichwort Unsicherheit, Zölle und knappere Haushalte der EU-Länder. Wenn Ende 2026 die Aufbau- und Resilienzfazilität ausläuft, wird sich die Situation noch verschärfen.
Besser integrierte Märkte
Ein tieferer EU-Binnenmarkt würde den Unternehmen helfen, neue Märkte zu erschließen und ihnen Investitionsanreize geben. Dies würde sie global wettbewerbsfähiger machen.
- 60 Prozent der europäischen Exporteure und 74 Prozent der Innovatoren kämpfen beim Export ihrer Produkte oder beim Geschäftsaufbau in anderen EU-Ländern mit unterschiedlichen Vorschriften und Verbraucherschutzstandards.
Gleichzeitig verhindert die Fragmentierung der EU-Kapitalmärkte, dass die erheblichen Ersparnisse Europas in die Finanzierung der benötigten Investitionen fließen. Ein Beispiel ist die Ausgabe von Aktien. Eine stärkere Integration würde die EU-Finanzmärkte vergrößern und vertiefen, sodass die Unternehmen innovative Ideen oder Technologien leichter über die Ausgabe von Aktien finanzieren könnten.
Ob ein Unternehmen Aktien ausgibt oder nicht, hängt laut EIB-Investitionsbericht nicht mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf zusammen, sondern eher mit der Größe, Integration und Tiefe der Finanzmärkte.
- Firmen, die neue Produkte oder Dienstleistungen über Aktien finanzieren können, haben eine um 7 Prozentpunkte höhere Wachstumsrate als Unternehmen, die diese Möglichkeit nicht haben.
- Zudem ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie innovative neue Produkte entwickeln, bei diesen Unternehmen um 13 Prozentpunkte höher.
Europas grüner Ehrgeiz zahlt sich aus
Europa hat ehrgeizige Pläne für grüne Energie und Innovation. Das Ziel, die Emissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu senken, gibt den Investitionen europaweit Auftrieb.
Trotz des aggressiven globalen Wettbewerbs bleibt Europa bei grünen Technologien führend und ist auch bei Patenten weltweit gut aufgestellt. Europäische Unternehmen haben im Bereich Greentech weiter einen Wettbewerbsvorteil, und die EU-Exporte bei CO2-armen Technologien legen rasant zu.
- Die Exporte grüner Technologien sind seit 2017 um 65 Prozent gestiegen. In China betrug der Anstieg 79 Prozent, in den USA nur 22 Prozent.
Anders als bei grünen Technologien fällt Europa in der Biotechnologie, bei Digitaltechnologien und künstlicher Intelligenz trotz einiger Exzellenzfelder zurück. Was die Einführung von Innovationen betrifft, so steigt der Anteil der EU-Unternehmen, die neue digitale Technologien und künstliche Intelligenz in ihr Geschäft einbinden, parallel zur Entwicklung in den USA. Dennoch hinkt Europa hier weiter leicht hinterher.
Innovative Unternehmen fördern
Europa braucht ein Geschäftsumfeld, das Disruption fördert und Finanzierungsmöglichkeiten bietet – damit junge, innovative Unternehmen wachsen können. Ein innovationsfreundlicheres Umfeld würde dynamische Unternehmen dazu ermutigen, in Europa zu bleiben und die Mittel für ihr Wachstum nicht in den USA oder Asien zu suchen.
- Scale-up-Unternehmen in der EU nehmen in den ersten zehn Jahren im Schnitt 50 Prozent weniger Kapital auf als ihre US-Pendants.
Europa muss seine Finanzierungslücken schließen. Damit würde es Innovationen fördern und erfinderischen Unternehmen gerade in späteren Entwicklungsphasen helfen, in denen die Unternehmen bereit sind, ihr Geschäft auszuweiten und neue Märkte zu erschließen. Mögliche Rezepte dafür wären mehr Fremd- und Eigenkapitalprodukte für bestimmte Schlüsseltechnologien oder bessere Möglichkeiten für die Übernahme oder den Börsengang junger Unternehmen. Dies würde die Renditen für Investoren erhöhen und mehr Kapital für Start-ups und wachstumsstarke Unternehmen mobilisieren.
Soziale Investitionen, die sich lohnen
Europas inklusives Sozialmodell – oft als selbstverständlich angesehen – zählt zu den Stärken des Kontinents. Die steigende Erwerbsbeteiligung, vor allem von Frauen, und die zunehmende Chancengleichheit haben das Wachstum gefördert. Handlungsbedarf besteht jedoch in der Frage, wie Europa den Menschen helfen kann, die nötigen Fähigkeiten für die Welt von morgen zu erwerben.
- 51 Prozent der EU-Unternehmen nannten 2024 den Fachkräftemangel als wesentliches Investitionshemmnis; 2016 waren es noch 39 %. Dies hat jedoch nicht dazu geführt, dass mehr Firmen Schulungen anbieten.
Wichtig sind weitere soziale Investitionen, denn sie ermöglichen eine entsprechende Qualifizierung und fördern die Erwerbsbeteiligung und die Arbeitsmobilität. Wenn die Erwerbsbeteiligung der Frauen in allen EU-Ländern auf das EU-weit höchste Niveau stiege, könnte das BIP in der EU um 4 Prozent wachsen. 1,5 Millionen zusätzliche Betreuungsplätze für Kinder würden den Unterschied in der Beschäftigungsquote von Männern und Frauen um 5 Prozent senken.
Ein großes Problem ist auch der Mangel an bezahlbarem Wohnraum. In Europa leidet der Bausektor unter geringer Produktivität und unzureichenden Innovationen, was die Kosten und den Zeitaufwand für Wohnungsbauprojekte erhöht. Hinzu kommen regulatorische Hürden, schwierige Genehmigungsprozesse und ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften.
Weil bezahlbare Wohnungen fehlen, bleiben florierende Arbeitsmärkte, etwa in schnell wachsenden Städten, vielen Menschen verschlossen. Das wiederum schmälert das Wachstum und die Produktivität. Hinzu kommt: Wer innerhalb der EU den Wohnort wechselt, hat seltener Eigentum als jene, die noch nie umgezogen sind. Eine Vermögensbildung durch Immobilieneigentum, wie in den letzten Jahrzehnten zu beobachten, ist in diesem Fall nicht möglich.