Rede von Vizepräsident Ambroise Fayolle bei der Podiumsdiskussion „Wohlstand vom Verbrauch entkoppeln“ auf dem Weltforum der Kreislaufwirtschaft 2023


Es gilt das gesprochene Wort.


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Meine Damen und Herren,

ich freue mich, so viele von Ihnen auf dieser Konferenz zur Kreislaufwirtschaft zu sehen, hier vor Ort und an den Bildschirmen.

Von Entscheidungstragenden und Medien wird das Thema allzu oft übersehen. Dabei ist es die Lösung für viele der Mammutaufgaben, vor denen wir stehen: von der Energie- und Ressourcenknappheit über die explodierenden Kosten bis hin zu Umweltkrisen wie der schwindenden Biodiversität.

Klar ist auch, dass es ohne Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft – das heißt Ressourcen so lange wie möglich nutzen und Abfälle vermeiden – keine CO2-neutrale Wirtschaft geben kann. Beide gehören einfach zusammen.

Als Motoren des Wandels spielen Finanzinstitute eine wichtige Rolle auf diesem Weg.

Banken können aufgrund ihrer besonderen Rolle als sektorübergreifende Investoren nicht nur Kreislaufprojekte finanzieren, sondern mit ihrem Know-how auch beraten, zum Beispiel über Netzwerke zu Rechts- oder Kreislaufthemen, die geeignete Unternehmen zu einer zirkulären Wertschöpfungskette verbinden.

Wir bei der EIB beraten Projektträger technisch und finanziell und fördern auch den Wissens- und Ökosystemaufbau. Wir wollen unsere Beratungsarbeit intensivieren, vor allem für Städte und Regionen, um sie bei der Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft und der Dekarbonisierung zu begleiten. Wir haben die Website Circular City Funding Guide und das Circular City Centre gestartet, das Kompetenzen und Ressourcen innerhalb der EIB bündelt, um europäische Städte auf dem Weg in die zirkuläre Wirtschaft zu unterstützen. Das Circular City Centre ist eine gemeinsame Initiative der EIB und der Europäischen Kommission und ein Beispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit unserer beiden Institutionen. Das Zentrum leistet Beratung und kombiniert EU-Zuschüsse und EIB-Kredite im Dienste der Kreislaufwirtschaft.

In unserer morgigen Accelerator-Sitzung erfahren Sie mehr darüber, wie Städte und Regionen zu Katalysatoren für die Kreislaufwende werden können.

Die gute Nachricht ist: Immer mehr Mittel fließen in grüne Investitionen. Nach einer Analyse von Bloomberg investierte die Welt 2022 erstmals genauso viel in CO2-freie Technologien wie in fossile Brennstoffe.

Die Europäische Investitionsbank begrüßt diesen Wandel.

Als einer der weltweit größten Geldgeber für Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit richten wir alle neuen Finanzierungen an den Zielen und Grundsätzen des Pariser Abkommens aus. Im Jahrzehnt bis 2030 wollen wir Investitionen von einer Billion Euro in Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit anstoßen. Unsere Finanzierungen für Kreislaufprojekte sind im Laufe der Jahre ununterbrochen gestiegen: In den vergangenen fünf Jahren waren es insgesamt 3,4 Milliarden Euro und allein 2022 stolze 1,1 Milliarden Euro – ein Rekord. Hier einige aktuelle Beispiele:

  • ein Darlehen von 18 Millionen Euro an das finnische Midcap-Unternehmen Tapojärvi. Der Familienbetrieb ist auf Umschlag-, Aufbereitungs- und Recyclingdienste für Bergbau und Stahlindustrie spezialisiert. Tapojärvi baut damit eine innovative Anlage zur Aufbereitung und Verwertung von Schlacke im italienischen Umbrien. Das Ziel: die Umwandlung der Schlacke in wertvolle Nebenprodukte und weniger Abfälle auf Deponien;
  • eine Eigenkapitalbeteiligung von 20 Millionen US-Dollar am Circulate Capital Ocean Fund I-B, um die Verschmutzung der Meere durch Plastik zu vermeiden und die Kreislaufwirtschaft in Asien zu fördern;
  • ein Darlehen von 120 Millionen Euro an die spanische Gruppe Cosentino, die weltweit führend in der Entwicklung und Herstellung innovativer und nachhaltiger Oberflächen ist. Sie finanziert damit ihre Innovations- und Nachhaltigkeitsstrategie mit den Schwerpunkten Kreislaufwirtschaft, Energieeffizienz und erneuerbare Energien. 

Trotzdem müssen noch viel mehr Mittel in die zirkuläre Wirtschaft fließen:

damit Innovatoren neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln

damit Städte ihre Infrastruktur ausbauen und anpassen

damit neue Materialien und Wiederverwendungssysteme erforscht und entwickelt werden

Allein für das Kunststoffreycling ermittelte eine EIB-Studie vor Kurzem eine geschätzte Investitionslücke von mindestens 6,7 Milliarden Euro, wenn Europas Ziele erreicht werden sollen.

Im vergangenen Jahr flossen 58 Prozent der EIB-Finanzierungen in Projekte für Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit, aber nur rund 1,5 Prozent in Kreislaufprojekte.

Die Finanzierung kreislaufwirtschaftlicher Projekte ist nach wie vor eine Randerscheinung, nicht nur bei der EIB. Viele Finanzinstitute tun sich schwer damit, Kreislaufprojekte auf den Weg zu bringen.

Warum ist das so?

Kreislaufprojekte sind oft neuartig und komplex. Es geht um neue Technologien, unerprobte Geschäftsmodelle oder die Kooperation von Unternehmen und Wertschöpfungsketten. In der linearen Optik der Kreditrisikobewertung einer Bank erscheint das riskant.

Banken müssen deshalb ihre Geschäftsmodelle anpassen, um grünere Investitionsentscheidungen zu treffen und Klima- und Umweltrisiken besser zu beurteilen. Wir bei der EIB denken das Klima bereits sehr erfolgreich bei allen unseren Aktivitäten mit. Wir wissen jetzt: Wenn wir externe soziale und Umwelteffekte in unsere Bewertungen einbeziehen, sind zirkuläre Lösungen oft billiger und risikoärmer für die Gesellschaft als lineare.

So können wir Wohlstand vom Verbrauch entkoppeln: indem wir Gesellschaft und Umwelt als Ganzes betrachten und uns bewusst werden, dass alles miteinander verbunden ist.

Bei der Entwicklung der Kapazitäten und Werkzeuge zur Bewertung kreislaufwirtschaftlicher Investitionen müssen die Finanzinstitute zusammenarbeiten.

Genau deshalb hat sich die EIB mit anderen multilateralen Entwicklungsbanken zusammengetan. Die EIB, die Afrikanische Entwicklungsbank die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, die Interamerikanische Entwicklungsbank und die Weltbank beschlossen gestern auf dieser Konferenz, bei den großen Herausforderungen für den Finanzsektor zusammenzuarbeiten. Gemeinsam werden wir:

  • den Anteil unserer Finanzierungen für besonders wirksame Kreislaufprojekte erhöhen
  • Kapazitäten aufbauen, um die zirkuläre Wirtschaft als Strategie für wirtschaftlichen Erfolg und Resilienz in Empfängerländern zu nutzen
  • Mechanismen zur Risikominderung bei Investitionen in die Kreislaufwirtschaft entwickeln und den Zugang zu kombinierten Finanzierungen durch öffentlich-private Zusammenarbeit verbessern

Der Schlüssel liegt dabei in der öffentlich-privaten Zusammenarbeit. Es gibt immer noch zu viele regulatorische Engpässe, in denen Kreislaufprojekte stecken bleiben, und viel zu wenig Anreize, um lineare Prozesse auf zirkuläre umzustellen. Diese regulatorischen Hürden müssen beseitigt werden. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass in der Linearwirtschaft möglicherweise Arbeitsplätze verloren gehen und der Übergang gerecht sein muss. Hier kommen die Anreize ins Spiel.

Erlauben Sie mir ein letztes Wort zu den Synergien zwischen Innovation und Kreislaufwirtschaft. Tatsächlich ist die Finanzierung von Innovationen besonders wichtig dafür, dass kreislaufwirtschaftliche Lösungen entstehen. Einrichtungen wie die EIB können Innovation beschleunigen, indem sie geeignete Geschäftsmodelle fördern. Dafür arbeiten wir auf EU-Ebene etwa mit dem Fonds des Europäischen Innovationsrats EIC zusammen. Der EIC-Fonds ist das europäische Vorzeige-Innovationsprogramm, um bahnbrechende und wegweisende Technologien zu identifizieren, zu entwickeln und zu skalieren. Unser Venture-Debt-Produkt, das durch EU-Garantien ermöglicht wird, ergänzt den EIC-Fund. Es unterstützt etwas reifere Unternehmen und absorbiert das Technologierisiko.

Die EIB ist entschlossen, mehr Kreislaufprojekte in allen Sektoren und Regionen zu finanzieren, in denen wir aktiv sind. Wir stehen weltweit als Partner bereit, um unsere wertvollen Ressourcen zu erhalten, Umweltverschmutzung und Abfälle zu vermeiden und den Klimawandel zu bekämpfen. Der Planet Erde ist unsere Heimat. Mit ihm ist unser gegenwärtiges und zukünftiges Schicksal untrennbar verbunden – also gilt es, ihn zu schützen und damit Wohlstand für alle zu sichern.