In Südkorea starben weniger Menschen an Covid-19 als anderswo. Woran liegt das? Und wann gibt es ein Mittel gegen Corona? Ein erfahrener Virologe klärt auf

Dr. Marc Windisch ist Leiter des Labors für Angewandte Molekulare Virologie am Institut Pasteur in Südkorea, einem weltweit führenden Institut für translationale Forschung, das sich mit der Ausrottung von Infektionskrankheiten und Wirkstoffforschung befasst (http://www.ip-korea.org/). Wir fragten ihn, welche Herausforderungen weltweit mit Covid-19 einhergehen und wieso Südkorea eine so niedrige Sterblichkeitsrate hatte.

Den Anfang machte 2003 das Schwere Akute Respiratorische Syndrom (SARS), 2009 kam die Schweinegrippe (H1N1) und 2020 schließlich Covid-19. Warum so viele Pandemien in den letzten 15 Jahren? Können wir sie nicht voraussehen und uns schützen?

Die Globalisierung und die gestiegene Mobilität von Menschen und Gütern scheinen die Hauptursachen für häufige Virusausbrüche zu sein. Heutzutage kommen wir in kürzester Zeit überall hin. Krankheitserreger reisen mit, ohne dass wir es merken. Die hohe Bevölkerungsdichte in einigen Teilen der Welt trägt ebenfalls zur schnellen Ausbreitung von Krankheiten bei.

Lokale Virusausbrüche sind nicht vorhersehbar. Dennoch lässt sich der Ausbruch einer Pandemie von mehreren Faktoren ableiten. Neben der Bevölkerungsdichte und der gestiegenen Mobilität spielt die Übertragungsrate des Virus eine zentrale Rolle. Sie gibt an, wie viele Menschen von einer einzigen infizierten Person angesteckt werden können. Aktuell liegt sie für Covid-19 statistisch bei 2,5 Personen (basierend auf vorläufigen Daten). Zum Vergleich: Ebola-Infizierte geben das Virus an 2 weitere Personen weiter, bei Mumps sind es 4,5 und bei Masern 16 Personen. Jedes Virus mit einer Übertragungsrate von über eins kann eine Pandemie auslösen.

Die Pandemievorsorge wird daher künftig für unser Leben und unsere Volkswirtschaften enorm wichtig sein. Regierungen werden auf die harte Tour lernen müssen, wie sie schnell und angemessen reagieren (Aufbau eines Vorrats an persönlicher Schutzausrüstung, Schulung von medizinischem Personal, Stärkung der Gesundheitssysteme). Um uns für die nächste potenzielle Pandemie zu rüsten, müssen wir in neue Arzneimittel, Impfstoffe und medizinische Diagnostik für Infektionskrankheiten investieren.

Wie sieht es mit der Finanzierung aus? Welche Rolle spielen multilaterale Entwicklungsbanken wie die Europäische Investitionsbank bei der Pandemiebekämpfung?

Die EIB konzentriert sich unter anderem auf Innovation und Wissen sowie kleine Unternehmen. In diesen Bereichen kann und muss viel getan werden. Die finanzielle Förderung der Grundlagen- und angewandten Forschung bringt neue Möglichkeiten und neue Unternehmen hervor. Wir brauchen neue Bildungswege wie das eLearning. Doch das funktioniert nur mit schnellem Internet, am besten 5G. Im Vergleich zu den USA und China ist die digitale Wirtschaft in Europa quasi nicht existent. Und natürlich benötigen auch die Life Sciences einen kräftigen Schub – für neue und innovative Arzneimittel, Impfstoffe und Diagnostika. Das gilt auch für das Gesundheitswesen und für Überwachungs- und Informationstechnologien. Wichtig ist auch, dass für alle ein Mindestmaß an persönlicher Schutzausrüstung produziert wird. Wie können wir Abhängigkeiten reduzieren? Wie können wir wettbewerbsfähiger werden? Und wie können wir günstiger produzieren?

Ich lebe seit mehr als zehn Jahren in Asien und staune über den Unternehmergeist, den die Menschen hier an den Tag legen. Asiaten sind bereit, Risiken einzugehen, und oft werden diese Risiken durch staatliche Banken und Fonds sowie durch Risikokapital abgefedert. Die Frage lautet daher: Wie können wir innovative Start-ups unterstützen, und wie kann die EIB das Unternehmertum fördern? Und wie lassen sich die Risiken für Start-ups und KMU verringern?

Doch selbst in dieser verheerenden Krise kann viel für eine bessere Zukunft getan werden, indem man etwa Klimaänderungen, die Probleme der Globalisierung und Pandemien ganzheitlich angeht.

Sollten nationale Gesundheitssysteme bei der Bekämpfung künftiger Pandemien enger zusammenarbeiten?
Die nationalen Gesundheitssysteme müssen gerüstet sein und finanziell unterstützt werden, um künftige Virusausbrüche zu bewältigen. Covid-19 hat allen Regierungen eine Lektion erteilt ... Vor allem in der Europäischen Union müssen die Länder enger zusammenarbeiten und mehr Solidarität zeigen, und das nicht nur in einer Pandemie. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist mit Blick auf die globale Krisenantwort ein weiterer wichtiger Akteur. Wenn ein Land nützliche Diagnosetools entwickelt und validiert, sollten andere Länder diese Technologien schnell übernehmen können. Das spart Zeit und rettet Leben. Mit zügigen gemeinsamen Maßnahmen lassen sich die dramatischen Folgen für die Wirtschaft eindämmen.  

SARS und Covid-19 sind genetisch verwandt. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Ausbrüchen der beiden Pandemien?       
Zwischen den beiden Viren (SARS-CoV-1 und SARS-CoV-2) besteht eine Verwandtschaft. Sie gehören zur Familie der Coronaviridae – umhüllten einzelsträngigen RNA-Viren mit positiver Polarität. In beiden Fällen handelt es sich um zoonotische Erreger aus einem noch unbekannten tierischen Reservoir. Und beide Viren werden über Aerosole von Mensch zu Mensch übertragen und verursachen Atemwegserkrankungen. Es gibt jedoch Unterschiede bei der Übertragung und Sterblichkeitsrate.                          

Ist der Ursprung von Covid-19 genau bekannt? Warum können sich Menschen ein zweites Mal infizieren? Warum können sich sogar junge, scheinbar gesunde Menschen anstecken und innerhalb kürzester Zeit sterben? Gibt es verschiedene Varianten von Covid-19, sind einige aggressiver als andere?
Der Ursprung von Covid-19 ist derzeit nicht bekannt. Einigen Berichten zufolge könnte das Virus von Fledermäusen oder Schuppentieren stammen, aber das ist noch unklar. Es gibt sogar Gerüchte, dass das Virus versehentlich aus einem Labor in Wuhan „entwichen“ sein könnte. Doch das ist unwahrscheinlich.

Ob man sich mehrfach mit dem Virus infizieren kann, ist noch nicht sicher, aber auch nicht auszuschließen. Die Gründe für diese sogenannte Reaktivierung, bei der zuvor nicht nachweisbare virale Genome aktiv werden, liegen noch ziemlich im Dunkeln. Das wird noch untersucht. In beiden Fällen ist jedoch mit milden klinischen Symptomen zu rechnen, weil das Immunsystem der Erkrankten in der Regel Antikörper bildet, die den Erreger neutralisieren. In der Biologie gibt es leider nicht immer nur schwarz oder weiß. Daher sind Ausnahmen von der Regel möglich.

Es gab auch Fälle, in denen „gesunde“ Patienten ohne Vorerkrankungen nach einer Coronainfektion schnell verstarben. Das ist wirklich alarmierend. Das Virus hat in diesen Fällen scheinbar ein bislang unerkanntes Gesundheitsrisiko aufgedeckt.

Es gibt verschiedene Covid-19-Varianten. Dabei handelt es sich vor allem um RNA-Viren, die bei der Vermehrung ihrer Genome zufällige Mutationen erzeugen. Es ist nicht auszuschließen, dass dies zu einer höheren Virulenz führt, was für Covid-19 aber noch nicht nachgewiesen wurde.

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© DR

Marc Windisch

Südkorea registrierte über 10 000 Covid-Infizierte, aber nur 200 Tote. Wie war das möglich?
In Südkorea kam es 2015 zu einem MERS-CoV-Ausbruch. Damals lernten die Regierung und die Krankenhäuser, wie sie schnell auf eine sich rasant ausbreitende Krankheit reagieren können. Daher begann die koreanische Regierung sofort nach Ausbruch von Covid-19 zu testen und Infizierte zu isolieren. Parallel dazu setzte sie modernste Überwachungstechnologien zur Datenverfolgung ein, darunter Kreditkartennutzung, Handyortung, Videoüberwachung, Gesichtserkennung und künstliche Intelligenz. So wurden Personen ausfindig gemacht, die Kontakt zu Infizierten hatten. Diese Überwachungsstrategie scheint sehr erfolgreich zu sein.

Zudem verfügt Südkorea über hervorragend ausgestattete Krankenhäuser und gut ausgebildetes medizinisches Personal. Die Regierung klärt die Bevölkerung auf, wie man sich vor einer Ansteckung schützen und die Ausbreitung des Virus verhindern kann, etwa durch Einhalten der Hustenetikette, korrektes Maskentragen, Abstand halten und zu Hause bleiben. Diese Informationen sind überall in vier Sprachen verfügbar (Koreanisch, Englisch, Chinesisch und Japanisch). Kindergärten, Schulen, Universitäten, Kinos und Turnhallen wurden kurz nach Ausbruch der Pandemie geschlossen. Interessant zu wissen: In Südkorea gibt es keinen allgemeinen Lockdown. Supermärkte, Einzelhändler, Friseure usw. sind geöffnet. Schulen und Universitäten sind zum Online-Unterricht übergegangen. In Südkorea hat jeder Zugang zu extrem schnellem Internet, und das überall.

In Europa zählten Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland jeweils mehr als 10 000 Covid-19-Fälle, wobei die Sterblichkeitsrate in Deutschland mit unter drei Prozent sehr niedrig ist. Woran liegt das?
Deutschland hat ein solides Gesundheitssystem mit gut ausgestatteten Krankenhäusern und gut ausgebildetem medizinischen Personal. Zudem hat Deutschland früh damit begonnen, Infizierte ohne oder mit nur leichten Symptomen zu testen, was die Überlebensrate statistisch gesehen erhöht. Dennoch hätte das Land die Übertragungs- und die Sterblichkeitsrate weiter senken können, wenn es schneller dem Beispiel der asiatischen Länder gefolgt wäre. Die Situation ist jedoch fragil, auch in Südkorea. Um die weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern, müssen einige Maßnahmen weltweit zur neuen Normalität werden, zumindest für eine gewisse Zeit.              

Es sind diverse Theorien im Umlauf, warum sich das Virus in manchen Ländern so schnell verbreitet hat. Angeblich seien der Klimawandel und die Umweltverschmutzung, die Bevölkerungsdichte und starke Industrialisierung oder sogar die 5G-Netze schuld. Ist da etwas dran?
Aktuell gibt es keine Daten, die die Behauptung stützen, dass Covid-19 durch den Klimawandel bedingt wird. Ich sehe da keinen Zusammenhang. Es gibt einige Berichte über den Zusammenhang zwischen der Luftverschmutzung und dem Schweregrad der klinischen Krankheitsverläufe. Gerade die Feinstaubbelastung kann in China und Südkorea sehr stark sein. Trotzdem sind die Patientenzahlen und der Schweregrad der Erkrankungen nicht höher als in Ländern mit geringerer Luftverschmutzung. Wir können mit Sicherheit ausschließen, dass 5G-Netze etwas mit Covid-19 zu tun haben. Eine hohe Industrialisierung bedeutet Globalisierung, weil die Industrien voneinander abhängen und beispielsweise in China hergestellte Produkte in Europa landen und umgekehrt. Die zunehmende Interaktion zwischen den Kontinenten erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich Krankheiten ausbreiten, insbesondere leicht übertragbare Atemwegserkrankungen.

Die bislang wirksamsten Maßnahmen sind Abstand halten, Maske tragen, häufiges Händewaschen und Lockdowns. Können wir sonst noch etwas tun?     
All diese Maßnahmen sind sehr wichtig und einfach umzusetzen und werden langfristig zur neuen Normalität. Ein allgemeiner Lockdown sollte möglichst vermieden werden.  

Was könnte sonst noch helfen? Auf Reisen in ferne Länder sollten wir besser keine „exotischen“ Tiere wie Fledermäuse, Primaten, Schuppentiere und Seidenäffchen essen oder anfassen. Und wenn wir weniger reisen, verringern wir die Wahrscheinlichkeit eines Kontakts mit den neuen Erregern und reduzieren gleichzeitig die CO2-Emissionen.

Derzeit werden viele Impfstoffe und Arzneimittel in verschiedenen Stadien getestet. Wie werden wir das Virus künftig bekämpfen – mit einem einzigen Impfstoff oder mehreren verschiedenen Therapien? Oder mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen? Wenn ja, wann?           
Aktuell laufen zahlreiche klinische Versuche mit Impfstoffen, Medikamenten und Genesungsplasma. Im dritten Quartal 2020 werden hoffentlich mehrere Medikamente für die Behandlung von Covid-19 zugelassen. Da jedoch keines davon speziell für das Virus entwickelt wurde, sollten wir nicht zu viel erwarten.

Ich gehe dennoch davon aus, dass die neuen Arzneimittel die klinischen Symptome lindern und die Sterblichkeitsrate weiter senken werden. Auf Impfstoffe müssen wir möglicherweise noch bis zum ersten Quartal 2021 warten. Dann wird eine begrenzte Anzahl von Personen (etwa medizinisches Personal) zuerst geimpft. Forschung und Entwicklung sind komplex und kosten viel Zeit und Geld. Auch die Zulassung neuer Arzneimittel und Impfstoffe braucht Zeit, um das Leben der Erkrankten nicht zu gefährden.

Wie können wir die Kurve in der Zwischenzeit abflachen?           
Um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, sollten wir alle eine Maske tragen und einen Mindestabstand von zwei Metern halten. Vermeiden Sie große Menschenansammlungen. Achten Sie auf ihre Handhygiene: Waschen Sie Ihre Hände gründlich mit guter, altmodischer Seife. Die ist auch viel billiger als Händedesinfektionsmittel.