Innovationen sind nicht mehr das, was sie einmal waren. Ein neues Produkt zu erfinden reicht nicht mehr aus. Wichtig ist auch, wie es hergestellt wird. Heute benötigen wir oft cloudbasierte Kontrollsysteme, die weltweit verteilte Fabriken steuern und Größenvorteile nutzen. In digitalisierten Lieferketten werden Güter rund um die Uhr umgeschlagen.

Von Werner Hoyer

Präsident der Europäischen Investitionsbank, der Bank der Europäischen Union, deren Anteilseigner die 28 EU-Mitgliedstaaten sind

Unternehmen von heute setzen verstärkt auf eine digitalisierte Produktion. US-Firmen haben im Dienstleistungssektor die Nase vorn, weil sie die Digitalisierung in den vergangenen zwei Jahrzehnten vorangetrieben haben. Europa dagegen verfügt durch sein Know-how noch über einen leichten Vorsprung im Produktionssektor. Aber auch dieser Sektor wird in wenigen Jahren voll digitalisiert sein. Wir müssen deshalb schnell und massiv in innovative Produktionsmethoden investieren und uns höheren Risiken – die höhere Erträge versprechen – öffnen. Ansonsten droht die reale Gefahr, dass Europa für Generationen hinter die USA zurückfällt.

Die Europäische Investitionsbank, deren Präsident ich bin, gehört den Mitgliedstaaten der EU. Eine neue Studie der Volkwirte der Bank zeigt das alarmierende Ausmaß der Investitionskluft mit den USA. Jetzt müssen wir dringend die Versäumnisse von Jahrzehnten wettmachen, in denen wir das Thema Innovation unterschätzt und zu wenig Geld dafür ausgegeben haben.

Die USA übertrumpften in den 1990er Jahren Europa mit ihren Innovationen. Die dominierenden digitalen Dienstleister sind heute amerikanisch: Google, Amazon, Facebook, Apple. Der Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 hat die Wettbewerbsschwäche Europas noch einmal verschärft. Unter anderem erholte sich unsere Wirtschaft nicht so stark und nicht so schnell wie in den USA, weil wir schon lange zu wenig in Forschung, Digitalisierung und Bildung investiert hatten.

Für diese Investitionslücke gibt es strukturelle Gründe. Während die USA einen einheitlichen Raum mit einer gemeinsamen Sprache bilden, hat Europa seinen Binnenmarkt noch nicht vollendet. Die Mobilität der Arbeitskräfte wird durch die Sprachenvielfalt behindert. Verschiedene Länder haben immer noch unterschiedliche Rechtsvorschriften für dasselbe Produkt. Wir haben unglaublich viel durch die europäische Integration gewonnen, sind von einem wirklich integrierten Binnenmarkt aber noch weit entfernt.

Auch die Tatsache, dass Unternehmen in Europa sich besonders stark über Banken finanzieren, ist Innovationen nicht zuträglich. Für Innovationen braucht es jemanden, der vielversprechende Chancen erkennt und Risiken eingeht. Und es braucht jemanden, der dafür Geld zur Verfügung stellt. Dies ist Aufgabe von Risikokapitalgebern, für die es in den USA, anders als in Europa, eine sehr lebendige Szene gibt.

Der Investitionsbedarf in Europa ist riesig. Eine im Januar in Davos veröffentlichte Studie von Ökonomen der EIB zeigt, was nötig wäre:

  • 130 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr, um das EU-Ziel zu erreichen, 3 Prozent des BIP in Forschung und Entwicklung zu investieren, und damit fast so viel wie andere führende Volkswirtschaften,
  • 90 Milliarden Euro pro Jahr, um die Fertigungstechnologien auf dem neuesten Stand zu halten,
  • 35 Milliarden Euro pro Jahr, um mit US-Risikokapitalfinanzierungen Schritt halten zu können,
  • 10 Milliarden Euro für hochmoderne Bildungseinrichtungen,
  • 65 Milliarden Euro, um die EU-Ziele für Breitbandzugang, Leistung von Rechenzentren und Netzsicherheit zu erreichen.

Wenn jemand fragt, warum Europa noch weiter zusammenwachsen muss, dann liegt die Antwort in dieser immensen Aufgabe. Kein Land Europas könnte sie alleine bewältigen.

Die EIB ist Vorreiter bei der Finanzierung innovativer Projekte und Unternehmen. Im vergangenen Jahr stellten wir dafür den Rekordbetrag von 18,7 Milliarden Euro bereit. 2008 waren es noch unter 10 Milliarden Euro gewesen. All diese Projekte haben strategische Bedeutung. 2014 vergaben wir einen Kredit über 30 Millionen Euro für das FuE-Programm eines italienischen Datenunternehmens. Zu den Produkten des Unternehmens gehören Laserbeschriftung und Lesegeräte, mit denen Fabriken während der sogenannten vierten industriellen Revolution betrieben werden können. Durch das von der EIB mitfinanzierte Projekt dürften innerhalb von drei Jahren 130 neue Patente angemeldet werden. Ohne solche Fortschritte wird die europäische verarbeitende Industrie abgehängt werden.

Wir finanzieren außerdem die Ausbildung der nächsten Erfindergeneration, weil Europa bei der Hochschulbildung zurückgefallen ist. Die USA geben doppelt so viel für jeden Studierenden aus wie Europa. Im vergangenen Jahr vergaben wir mit 278 Millionen Euro für die Forschungseinrichtungen der University of Oxford unser bislang größtes Darlehen an eine Hochschule.

Entscheidend ist auch, dass die EIB-Gruppe die Finanzierungsseite eines Programms mit der Europäischen Kommission umsetzt, das meiner Überzeugung nach die Innovationsfähigkeit Europas neu beleben wird. Im Rahmen des Europäischen Fonds für strategische Investitionen wird die EIB Darlehen mit höheren Risiken, die durch eine Garantie der Kommission besichert sind, und auch eigene Mittel vergeben. Ziel ist es, private Mittel für die Projekte, die wir mitfinanzieren, anzuziehen, indem wir selbst einen Teil des Risikos übernehmen, das durch die EU-Haushaltsgarantie gemindert wird. Innerhalb von drei Jahren sollen so neue Investitionen in Infrastruktur, kleine und mittlere Unternehmen und Innovation in Höhe von 315 Milliarden Euro getätigt werden.

Das allein wird nicht ausreichen, um die Investitionskluft zu überbrücken: Das schafft kein Plan. Geld ist in der europäischen Wirtschaft aber reichlich vorhanden. Wir brauchen mehr Dynamik für neue Investitionen und müssen Risiken übernehmen, um sicherzustellen, das Geld arbeitet. Wenn alle ihren Teil dazu beitragen, indem Rechtsvorschriften vereinfacht werden, der Binnenmarkt fertiggestellt und Projekte dabei unterstützt werden, verfügbare Mittel zu mobilisieren, kann der Umfang und der Zeitrahmen des Investitionsplans für Europa der Kommission diese Dynamik erzeugen. Im zweiten Halbjahr 2015 unterstützten wir im Rahmen dieses Plans bereits neue Investitionen in Gesamthöhe von 50 Milliarden Euro.

Mit solchen Finanzierungen sollte es für europäische Unternehmen zur zweiten Natur werden, Innovationen voranzutreiben. Wir müssen es. Wenn wir keine Innovationen schaffen, werden unsere Kunden zu Unternehmen – oder Kontinenten – abwandern, die Innovation anbieten.