Wie wirkt sich das Coronavirus auf Private Debt aus? Gibt es für kleine und mittlere Unternehmen in der Krise alternative Finanzierungsmöglichkeiten? Wir haben unseren Experten für Private Debt gefragt.

Die Coronakrise hat unser Leben verändert. Aber bleibt das nun so? In unserer Reihe Ändert sich jetzt alles? sprechen wir mit Expertinnen und Experten der Europäischen Investitionsbank-Gruppe über die Auswirkungen von Covid-19 auf die Bildung, Digitalisierung, Mobilität in Städten und Medizin – und auf unser tägliches Leben.

Was das Coronavirus für den Private-Debt-Markt bedeutet, erklärt uns Francesco Battazzi, Leiter der Abteilung Diversifizierte Kreditfonds beim Europäischen Investitionsfonds.


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Verändert das Coronavirus die Zukunft von Private Debt?

Ja, zumindest kurz- bis mittelfristig.

Immer mehr europäische Unternehmen wenden sich an alternative Geldgeber statt an Banken.

Kreditfonds etwa werben Mittel von institutionellen Investoren ein, zum Beispiel Pensionsfonds, und verleihen sie an Unternehmen. Sie erweitern das Finanzierungsangebot für kleine und mittlere Unternehmen, kurz KMU, und lassen institutionelle Investoren mit dieser Anlageklasse am Wachstum der europäischen Realwirtschaft teilhaben.

Covid-19 wird für Unternehmen jeglicher Größe schwere wirtschaftliche Folgen haben.

Angesichts der massiven Beeinträchtigungen der Liquidität und der Lieferketten europäischer Unternehmen lässt sich die Wirtschaft nicht einfach wieder per Knopfdruck in Gang setzen, wenn die Distanzierungsmaßnahmen vorbei sind.

Mir gefällt an Kreditfonds, dass es geschlossene Fonds sind. Anders als Banken, die vor allem von kurzfristigen Einlagen abhängen, machen Investoren geschlossener Fonds ihre Zusagen bis zum Ende der Fondslaufzeit. Sie stellen KMU also geduldiges Kapital zur Verfügung. In einer Krise verlangen die Investoren ihr Geld nicht plötzlich zurück, sondern vertrauen darauf, dass die Fondsmanager den Fonds auch durch schwierige Zeiten manövrieren. Kreditfonds verhalten sich also sozusagen antizyklisch – bei einem Markteinbruch unterstützen sie nach wie vor solide neue Geschäftschancen.

Natürlich muss man dabei beachten, dass der Private-Debt-Markt erst nach der Finanzkrise von 2009 entstand und sich jetzt zum ersten Mal bei einem Konjunkturabschwung beweisen muss.

Die Anlageklasse ist also noch dabei, ihren Track Record aufzubauen.

Vor welchen Herausforderungen steht der Markt aktuell?

Auf kurze bis mittlere Sicht sehe ich da drei Herausforderungen.

Erstens ergreifen die finanzierten Unternehmen strenge Maßnahmen, um ihre Liquidität so gut es geht zu schützen. Sie beantragen Steueraufschübe, staatliches Kurzarbeitergeld und kurzfristige Kredite – Letztere vor allem bei Banken. Langfristige Investitionen werden erstmal ausgesetzt.

Zweitens fahren die Fondsmanager angesichts der Ungewissheit ihre Investitionen zurück. Momentan spalten sich die Sektoren in starke und schwache Sektoren. 

Drittens steht Kreditfondsmanagern weniger Anlagekapital zur Verfügung. Die Anleger wollen derzeit nicht in Kreditfonds investieren, sondern sich erstmal ein Bild von der Lage machen.

Welche neuen Produkte oder Ideen könnten Kreditfonds in dieser Situation helfen?

Die größte Sorge vieler europäischer Unternehmen während des Stillstands ist die Liquidität, da ihnen die Einnahmen wegbrechen. Unsere Fondsmanager helfen ihren KMU-Kunden deswegen, mit den staatlichen Maßnahmen fertigzuwerden.

Die meisten Kredite werden wohl von den Banken kommen, und in manchen Ländern und Sektoren werden dafür staatliche Garantien gestellt.

Kreditfondsmanager haben in den vergangenen zwei Wochen vor allem Zahlungen gestundet, wenn dies notwendig war. Einer unserer Fonds hat zum Beispiel allen KMU in seinem Portfolio einen Tilgungsaufschub von drei Monaten gewährt. Dafür waren die KMU sehr dankbar.

Ich denke, dass Private-Debt-Fonds in den nächsten Monaten einen ganz klaren Schwerpunkt setzen werden:

Mehr kurz- bis mittelfristige Darlehen – zwei bis maximal drei Jahre – um den Betriebskapitalbedarf von Unternehmen zu decken und ihnen die Refinanzierung ihrer Schulden zu ermöglichen. Die Mittel würden dabei zusätzlich zu bereits gewährten Finanzierungen bereitgestellt.

Die Markttendenz geht hin zu Krediten für Sondersituationen, für Unternehmen mit speziellem Bedarf, der durch marktübliche Finanzierungen nicht gedeckt wird und bei dem die Banken abwinken.

Wie schwer wird es Private-Debt-Fonds fallen, sich anzupassen, neue Lösungen zu finden?

Kreditfondsmanager sind sehr anpassungsfähig, jedenfalls mehr als traditionelle Geldgeber. Allerdings ist fehlendes Kapital von privaten Anlegern ein großes Problem für sie. Bestehende Fonds mit hohen Zusagen können während der Covid-19-Krise am besten in neue Geschäftschancen investieren. Neuen Fondsmanagern wird das schwerfallen. Sie müssen die Mittel erst noch einwerben und die Anleger davon überzeugen, dass ihre Investitionsstrategie solide ist – vor allem, wenn sie noch keine Erfolge und kein etabliertes Netzwerk vorweisen können. In der jetzigen Lage dürfte sich das als sehr schwierig erweisen.

Wie könnte sich das auf den Alltag der Menschen auswirken? Und auf die europäische Wirtschaft?

Derzeit gelten für die meisten Menschen in der EU Kontaktverbote oder Ausgangsbeschränkungen. Damit müssen sie erst einmal zurechtkommen.

Manche Produkte sind nicht verfügbar, etwa weil Lieferketten unterbrochen wurden. Wenn ein Unternehmen seine Produkte nicht verkaufen kann, kann es Zulieferern keine Ware abnehmen. Das ist ein Teufelskreis – außer Banken oder Kreditfonds führen den Unternehmen frisches Kapital zu.

In der EU wollen wir unsere Wirtschaft langfristig widerstandsfähig, nachhaltiger und ökologischer machen.

Für die heutige und für nachfolgende Generationen muss es Arbeitsplätze geben, und Innovation muss möglich sein.

Private-Debt-Fonds spielen für eine widerstandsfähige Wirtschaft eine zentrale Rolle, denn die innovativsten und am schnellsten wachsenden Unternehmen brauchen oft maßgeschneiderte Finanzierungen.

Kein Unternehmen ist wie das andere, ebenso wenig sein Finanzierungsbedarf. Ein Technologieunternehmen mag zwar geistiges Kapital haben, dafür aber keine Sicherheiten für ein ganz normales Bankdarlehen.

Und ein wachstumsstarkes Unternehmen, das seine ersten Einnahmen für Anschaffungen nutzt, zahlt das Darlehen vielleicht lieber am Ende in einer Summe zurück als in Raten.

Hier können Private-Debt-Fonds den innovativsten und am schnellsten wachsenden Unternehmen maßgeschneiderte Finanzierungen bieten und so Arbeitsplätze sichern.

Eine alternative Finanzierungsform sind die Crowdfunding-Plattformen, die moderne Online-Finanzierungslösungen anbieten. Hier muss sich niemand zu Gesprächen in eine Bankfiliale begeben, um dann erst einen langwierigen Prozess anzustoßen.  Diese Art von Finanzierung lässt sich mit Kontakteinschränkungen gut vereinbaren.

Das Crowdfunding hängt immer mehr vom Geld institutioneller Anleger ab. Deswegen ist der Private-Debt-Markt für uns Europäerinnen und Europäer und für unsere Wirtschaft wichtig.

Seit dem Ausbruch von Covid-19 können Kreditfonds den Liquiditätsbedarf von KMU nicht mehr mit dem Geld privater Anleger decken.

Die Verbindung zwischen institutionellem Vermögen und der europäischen Realwirtschaft darf keinesfalls abreißen.

Welche Rolle wird der Europäische Investitionsfonds spielen?

Der Europäische Investitionsfonds fördert Private-Debt-Fonds noch stärker als letztes Jahr. Sein besonderes Augenmerk liegt dabei auf Fonds, die KMU finanzieren. Dazu gehören auch neue Manager oder solche, die Fonds in EU-Ländern auflegen, in denen alternative Finanzierungsformen noch nicht sehr ausgeprägt sind.

Um Europas wachsenden Private-Debt-Markt voranzubringen, tätigt der Europäische Investitionsfonds im Rahmen des neuen Programms EFSI Private Credit für KMU Ankerinvestitionen in neue Kreditfonds.

Ziel des „EFSI Private Credit für KMU“-Programms ist es, private institutionelle Investitionen in Kreditfonds zu leiten und stärker marktorientierte, individuelle Finanzierungslösungen für die europäische Wirtschaft zu fördern. Dadurch will man mehr und vielfältigere alternative Finanzierungsformen für europäische KMU zur Verfügung stellen. Letztlich soll durch die Ankurbelung europaweiter Investitionen die Kapitalmarktunion unterstützt werden.

Das größte Problem ist derzeit die Verfügbarkeit von privatem Anlagekapital. Deswegen will der Europäische Investitionsfonds seine Beteiligung an bestimmten Fonds erhöhen oder in der nächsten Zeichnungsrunde eine höhere Zusage machen, damit die Mitteleinwerbung nicht abbricht. Leider werden manche Kreditfonds, die wir gerne finanzieren würden, aufgrund der schwierigen Marktlage ihr Zielvolumen in diesem Jahr nicht erreichen.

Mit einem stärkeren Engagement beweist der Europäische Investitionsfonds Vertrauen in den Markt und ermutigt Investoren, weiter in Private-Debt-Fonds zu investieren.

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