Die Kläranlage „Aéris“ in Südfrankreich ist besonders. Sie behandelt nicht nur Abwässer, sondern erzeugt gleichzeitig Energie und ist damit die erste Anlage in Frankreich mit einer positiven Energiebilanz.

Die südostfranzösische Stadt Cagnes-sur-Mer an der Côte d'Azur hatte die erste Kläranlage im Département Alpes-Maritimes. Die Anlage filterte Schadstoffe aus dem Abwasser und leitete das Klärwasser anschließend ins Meer, sodass sich die Einwohner von Cagnes über saubere Gewässer freuen konnten. Nach fast 60 Jahren weist die Anlage nun aber deutliche Alterungserscheinungen auf. Bemerkbar macht sich das vor allem bei starkem Regen. Außerdem steht sie mitten in der Stadt, und die Einwohner fühlen sich unter anderem durch den Geruch gestört.

Infolge des Klimawandels kommt es immer häufiger zu starken Regenfällen, die für Cagnes-sur-Mer somit ein echtes Problem sind.

„Seit 21 Jahren tragen wir uns mit dem Gedanken, eine neue Kläranlage zu bauen. Nach endlosem Papierkram und zahlreichen technischen Problemen ist es nun so weit. Mit der neuen Anlage werden auch noch die nächsten Generationen in Cagnes gut versorgt sein“, erklärt Louis Nègre, Chef des Gemeindeverbands SYMISCA, der das Projekt durchführt.


Erdbauarbeiten (Juli 2017)
Erdbauarbeiten (Juli 2017)

Die technische Inbetriebnahme der neuen Kläranlage ist für 2019 geplant. Im Laufe des Jahres 2020 soll sie dann den normalen Betrieb aufnehmen. Gebaut wird sie zwischen der Bahntrasse und der Autobahn. So stört sie die Einwohner nur minimal, und sie belastet die Umwelt nicht unnötig. SYMISCA wollte eine neue Kläranlage mit modernster Technik, die eine gute Klärwasserqualität garantiert und außerdem für eine umfassende Verwertung des Klärschlamms sorgt.

Louis Nègre (Präsident von SYMISCA) und Christian Estrosi (Präsident der Métropole Nice Côte d’Azur) beim ersten Spatenstich für die neue Kläranlage am 3. Januar 2017
Louis Nègre (Präsident von SYMISCA) und Christian Estrosi (Präsident der Métropole Nice Côte d’Azur) beim ersten Spatenstich für die neue Kläranlage am 3. Januar 2017

Der Bau der neuen Anlage kostet 106,5 Millionen Euro. Die Mittel dafür stammen zum Teil von der Europäischen Investitionsbank und werden über die französische Bankengruppe BPCE bereitgestellt. Sie kommen aus einem Rahmendarlehen von 600 Millionen Euro der EIB an die BPCE. Mit diesem Darlehen sollen etwa 50 französische Kommunen bei Wasser- und Abwasserprojekten unterstützt werden.

„Die EIB fördert grundsätzlich Projekte, die der Abwasserreinigung dienen“, erklärt Emmanuel Chaponnière, Ingenieur bei der EIB. „Wir haben die geplante Kläranlage von SYMISCA geprüft, und alles sprach für das Projekt.“

Innovation für sauberes Wasser

Die neue Anlage wird sehr leistungsfähig sein: Bei starken Niederschlägen kann sie ein Abwasservolumen bewältigen, das dem Wasserverbrauch von 160 000 Personen entspricht. „Dieses Regenwasser wird zunächst in ein Rückhaltebecken geleitet, damit es nicht unbehandelt in die Umwelt gelangt. Anschließend wird es in der neuen Kläranlage gereinigt“, erläutert Karelle Delugin von der Métropole Nice Côte d’Azur, die für das SYMISCA-Projekt zuständig ist.

Für die Kläranlage wird am früheren Standort ein neues Regenrückhaltebecken gebaut. Dort laufen die verschiedenen Abwasserkanäle zusammen. Dieses Becken wird weitgehend verhindern, dass ungeklärte Abwässer die Umwelt verschmutzen.

Zudem wird sich die Badegewässerqualität verbessern, da die geklärten Abwässer durch ein neues Auslaufrohr weiter von der Küste entfernt und in größerer Wassertiefe ins Meer geleitet werden. Dieses Öko-Konzept sorgt dafür, dass die Biodiversität weitgehend intakt bleibt.

Auch die Anlage selbst ist äußerst innovativ. Sie ist hochautomatisiert und hermetisch abgeriegelt, sodass die Anwohner weder von üblen Gerüchen noch von Lärm belästigt werden.

Früher Nebenprodukt, bald schon wertvolle Energiequelle

Thema Klärschlamm: Aus dem vergorenen Schlamm der Kläranlage wird Biomethan hergestellt, das verkauft und in das städtische Erdgasnetz eingespeist wird. Dieser Klärschlamm lässt sich zudem als Brennstoff in Zementfabriken, in Anlagen zur Energierückgewinnung aus Haushaltsabfällen und künftig auch in modernen Heizungsanlagen verwenden.

„Aéris“ setzt voll und ganz auf Energieeffizienz. In der Anlage sind sowohl bei der Wasseraufbereitung als auch bei der Schlammbehandlung Energieverbrauch und -rückgewinnung optimiert. Sonnenkollektoren decken ein Drittel des Wärmebedarfs der Faulanlage, und die von den verschiedenen Motoren abgegebene Wärme wird über Wärmepumpen rückgewonnen.

Letztlich verbraucht die Anlage weniger Energie (hauptsächlich Strom) als sie erzeugt. „Deshalb sprechen wir bei der Anlage von einer positiven Energiebilanz.Sie leistet einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft, weil alles rückgewonnen, eingespart und verwertet wird“, so Chaponnière.

BREEAM-Bewertung „sehr gut“

Das britische Zertifizierungssystem für nachhaltiges Bauen (Building Research Establishment Environmental Assessment Method, BREEAM) ist der älteste und weltweit meistverbreitete Standard für die Bewertung der Umweltqualität von Gebäuden. „Aéris“ dürfte die erste BREEAM-zertifizierte Kläranlage in Frankreich sein. Keine andere Anlage hat bisher diese Zertifizierung erhalten.

Damit gibt sich SYMISCA aber noch nicht zufrieden. Ziel ist die BREEAM-Bewertung „sehr gut“. Wir drücken die Daumen.


Modell der künftigen Kläranlage
Modell der künftigen Kläranlage

Verknüpfung von Pädagogik, Forschung und sozialen Anliegen

SYMISCA will „Aéris“ außerdem mit einer Pilotanlage zur Erforschung und Elimination von Mikroschadstoffen ausstatten, die in herkömmlichen Anlagen bisher nicht herausgefiltert werden. Für Schüler sollen pädagogische Führungen angeboten werden, damit sie diese beispielhafte Anlage kennenlernen können.

Zugleich hat das Projekt eine soziale Komponente: Es eröffnet Menschen mit sozialen oder beruflichen Integrationsschwierigkeiten durch geeignete Arbeitsplätze die Chance zur Wiedereingliederung in die Berufswelt. So sind in der Bauphase 27 000 Arbeitsstunden (das entspricht fünf Vollzeitkräften) und nach Inbetriebnahme 8 100 Stunden (eine Vollzeitkraft) zu erbringen.

Natürlich und offen

Die neue Anlage soll architektonisch und landschaftlich optimal in die Umgebung eingebettet werden. „Aéris“ hat die Standort- und technischen Herausforderungen gut bewältigt und wird eine Wegmarke für Reisende sein, die im Auto und im Zug vorbeifahren.


Architekturansicht der künftigen Kläranlage
Architekturansicht der künftigen Kläranlage

Bei der Anlage wird vor allem darauf geachtet, die Geruchs- und Lärmbelästigung der Anwohner zu minimieren. „Aéris“ wird komplett überdacht, schallisoliert und mit einer Abluftbehandlungsanlage ausgestattet sein. Selbstverständlich werden die Werte regelmäßig gemessen.

Somit wird „Aéris“ die Kläranlage der Zukunft sein – innovativ, symbolträchtig und nicht nur auf das Wohlbefinden der derzeitigen Bevölkerung ausgerichtet, sondern auch auf das künftiger Generationen.

Die Bewohner der Region können nun ruhig schlafen.