Eröffnungsrede von EIB-Präsident Werner Hoyer zum ersten Forum der EIB-Gruppe.


Es gilt das gesprochene Wort.


>@Blitz Agency/EIB

Verehrte Präsidentinnen und Präsidenten, Kommissarinnen und Kommissare, Ministerinnen, Minister und Exzellenzen, meine Damen und Herren,

ich freue mich, Sie hier in Luxemburg zum ersten Forum der EIB-Gruppe zu begrüßen.

Das Großherzogtum hat europäische Institutionen stets großzügig aufgenommen, seit Robert Schuman – der im Tal hinter uns geboren wurde – 1951 vorschlug, die kriegsrelevante Kohle- und Stahlindustrie unter einem Dach zu vereinen. Ein Zusammenschluss, aus dem später eine Gemeinschaft des Friedens und Wohlstands erwuchs: die Europäische Union.

In diesem Gebäude hier treffen sich alljährlich im April, Juni und Oktober Ministerinnen und Minister aus ganz Europa, um über die drängendsten Probleme unserer Union zu sprechen. Ein passender Ort also für uns, um das Gleiche zu tun.

Einige Themen, um die es heute und morgen geht, beschäftigen uns schon länger – der Klimawandel etwa und die Umweltzerstörung.

Andere, wie die Resilienz einer globalisierten Wirtschaft, nahmen mit der Pandemie eine neue Wendung, auf die wir absolut nicht vorbereitet waren.

Und dann kam der Krieg in der Ukraine. Er legte die Bruchlinien zwischen Demokratien und autoritären Regimes frei, die viele Regierungen viel zu lange nicht beachtet hatten.

Die vernetzte Welt, die wir so gut zu kennen glaubten, sieht jetzt ganz anders aus.

Klar ist: Das neue Umfeld verlangt uns allen viel ab. Wir müssen uns anpassen und hie und da auch das Rad neu erfinden, um vom Fleck zu kommen. Deshalb steht dieses Forum unter dem Motto: „Anpassung an eine Welt im Wandel“.

Europa hat in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass es sich anpassen kann. Europa wird in Krisen geformt, wie Jean Monnet einst sagte. Und es ist immer gestärkt aus ihnen hervorgegangen.

Die Frage ist: Was ist jetzt zu tun, damit letztlich die ganze Welt gestärkt aus dieser Polykrise hervorgeht?

Ukraine

Meine Damen und Herren,

Russlands Einfall in die Ukraine vor etwas mehr als einem Jahr hat uns allen die Augen geöffnet. Die Strategie, Putin ruhig zu stellen, indem wir vor allem zuließen, dass unsere Volkswirtschaften von Öl, Gas und anderen Rohstoffen aus Russland abhängig wurden, hat sich als tragischer Fehler erwiesen.

Wir hätten es besser wissen müssen! 

Aber wir haben entschlossen reagiert, angespornt vom Willen des ukrainischen Volkes, sich gegen den russischen Angriff zu wehren.

Die Europäische Union leistet nicht nur wirtschaftliche Hilfe – fast zwei Milliarden Euro davon über die EIB –, sondern erstmals in ihrer Geschichte auch direkte militärische Hilfe. Und sie verhängte weitreichende Sanktionen, die Russland in den nächsten Jahren wirtschaftlich lähmen werden.

Europa blieb geeint, und die Attraktivität und Relevanz der NATO wurde nicht geschwächt, sondern gestärkt.

Europa hilft der Ukraine entschlossener denn je, damit sie diesen Krieg gewinnt und in der Zukunft einen Platz in der Europäischen Union findet.

Wir bei der Europäischen Investitionsbank prüfen weiter alle Optionen, die Ukraine 2023 zu unterstützen. Dazu bündeln wir eigene Gelder mit Garantien der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Vor zwei Wochen erst gaben unsere Anteilseigner grünes Licht für einen neuen Treuhandfonds für die Ukraine. Jetzt werben wir die Mittel dafür ein.

Sie können auf mich zählen. Ich werde alles tun, damit die EU-Hilfe weitergeht und wir mithelfen, eine siegreiche Ukraine wiederaufzubauen. 

Das wird eine Herkulesaufgabe, keine Frage, aber das spornt uns nur dazu an, sofort loszulegen!

Die Betonung liegt auf „sofort“. Manche denken, wir können warten, bis die Tinte unter einem Friedensvertrag trocken ist. Das wäre ein schwerer Fehler. Wenn wir warten, wird es noch teurer.

Energiekrise und Klimawende

Meine Damen und Herren,

der Krieg in der Ukraine hat die wackeligen Füße eines Wachstumsmodells bloßgelegt, das auf Öl und Gas aus autoritären Ländern beruht.

Aber schon bevor die ersten Panzer über die Grenze rollten, mussten wir weg von fossilen Brennstoffen, um die Klimakatastrophe abzuwenden.

Die EIB war die erste internationale Finanzierungsinstitution, die aufgehört hat, fossile Projekte ohne Emissionsminderung zu fördern.

Mittlerweise wird allen klar, dass die grüne Wende auch ein Muss für unsere Sicherheit ist – die Grundlage eines nachhaltigen und gerechten Wachstumsmodells für die EU und die Welt insgesamt.

Deshalb steht die Finanzierung der Energiewende heute und morgen hier im Mittelpunkt unserer Gespräche.

Die Internationale Energieagentur bestätigte letzte Woche, dass die Gaspreise in Europa wieder auf ihrem Vorkriegsniveau sind, aber immer noch dreimal so hoch wie im langfristigen Durchschnitt.

Unternehmen und Haushalte zahlen in Europa weiterhin viel mehr für Gas und Strom als in den Vereinigten Staaten oder in China. Das bremst unsere Wirtschaft gewaltig und verzerrt den Wettbewerb.

Und wenn die Wirtschaft lahmt, könnten die Investitionen noch mehr leiden. Das wäre fatal. Dabei müssen wir doch so dringend in die grüne Wende investieren, um die Zukunft unseres Planeten zu sichern, mittel- und langfristig.

Investitionen braucht es auch, damit unsere Volkswirtschaften resilienter werden: resilient gegen künftige Erpressungsversuche von Despoten, resilient gegen Klimaveränderungen, die unsere Infrastruktur, Nahrungsmittel- und Wasserversorgung und die Städte an ihre Grenzen bringen.

Die Europäische Investitionsbank hat ihre Finanzierungen für saubere Energie letztes Jahr auf 19,4 Milliarden Euro gesteigert, ein Rekordbetrag.

Und mit unserem Paket für REPowerEU willen wir noch höher hinaus:

Über die nächsten fünf Jahre werden wir weitere 30 Milliarden Euro an Krediten und Eigenkapital für erneuerbaren Strom und Energiesparprojekte vergeben, zusätzlich zu unserem normalen Geschäft. Und wir könnten noch mehr tun, wenn unsere Anteileigner das wünschen!

Wettbewerbsfähigkeit der EU

Meine Damen und Herren,

wir brauchen dringend Investitionen, damit Europas Wirtschaft im Wettbewerb vorne bleibt. Mit Investitionen – und nur mit Investitionen – können wir dafür sorgen, dass Europa für Unternehmen attraktiv bleibt – ein Ort, wo Innovationen geboren werden, neue Ideen sprießen und Wohlstand wächst.

Wenn wir nicht wettbewerbsfähig und innovativ bleiben, dann bleibt unsere soziale Marktwirtschaft, auf die wir alle so stolz sind, nicht zukunftsfähig.

In einer alternden Gesellschaft ist Produktivitätswachstum der einzige Weg, um unseren Wohlstand zu wahren und auf der Weltbühne weiter mitzuspielen.

Allerdings liegen die produktiven Investitionen in Europa ganze zwei Prozent des BIP niedriger als in den Vereinigten Staaten.

Das ist schon seit zehn Jahren so und hat sich bis heute nicht geändert.

China, das bereits die Produktion von Solarmodulen und Batterien beherrscht und wichtige Lieferketten kontrolliert, investiert massiv in die Zukunftsbranchen.

Der jüngste Vorstoß der USA für mehr Investitionen in saubere Technologien ist durchaus zu begrüßen, doch wir dürfen nicht naiv sein: Wenn es etwas gibt, wo die EU bislang einen Wettbewerbsvorteil verteidigen kann, dann ist das der Schnittpunkt von grün und digital. Aber der Vorteil ist hauchdünn.

Die Anforderungen des Inflation Reduction Act an lokale Fertigung und Vorleistungen sind für einige unserer innovativsten Firmen ein starker Anreiz, in die USA abzuwandern. Wir müssen das Gespräch mit unseren amerikanischen Partnern suchen, um das zu entschärfen.

Aber wir müssen auch erkennen, dass das US-Gesetz – wie auch Chinas Protektionismus – nur die Spitze des Eisbergs sind, der die weitere Wettbewerbsfähigkeit der EU bedroht.

Wir haben zu lange zu wenig getan. Jetzt können wir nicht einfach mit dem Finger auf andere zeigen, die aufholen wollen!

Wir bei der EIB sind bereit, an einer europäischen Investitionsinitiative mitzuwirken, die die Wettbewerbsfähigkeit der EU stärkt und faire Bedingungen für alle in unserem Binnenmarkt sichert.

Die Europäische Investitionsbank kann mit ihrer Schlagkraft eine tragende finanzielle Säule einer Initiative werden, die uns den Weg zu Netto-Null ebnet. Wie das gehen kann?

Wir haben die Ressourcen, um unseren Beitrag zu REPowerEU von derzeit 30 Milliarden Euro auf, sagen wir, 45 Milliarden Euro aufzustocken. Damit könnten wir Investitionen von über 150 Milliarden Euro anschieben. Das muss natürlich mit unseren Leitungsorganen abgesprochen werden.

Und wir können noch mehr tun, wenn die Weichen richtig gestellt werden. Denn eines ist klar: Wir stehen zwar sehr solide da, aber ich werde auch nicht die finanzielle Stabilität unserer Institution aufs Spiel setzen. Die EIB ist stark und gesund, und das wird so bleiben.

Meine Damen und Herren,

wir müssen auf den jüngsten Kurs der USA reagieren und unseren eigenen Weg zu Netto-Null und zur grünen und digitalen Technologieführerschaft noch entschlossener weitergehen.

Wir sollten EU-Mittel, Anreize und günstige Kredite in einfache Finanzinstrumente für alle EU-Länder packen. Damit könnten wir einen Funken für die Transition in allen EU-Ländern zünden – nicht nur in denen, die sich staatliche Beihilfen leisten können.

Es fehlt uns nicht an den finanziellen Mitteln dafür. Wir brauchen nur den politischen Willen und einen Plan, der Investoren Sicherheit gibt und privates Kapital heranholt.

Ich denke nicht, dass wir im großen Stil Subventionen brauchen. Im Gegenteil: Die sind in einem inflationären Umfeld wahrscheinlich eher kontraproduktiv. Stattdessen brauchen wir einen schnellen, gezielten und europäischen Investitionsschub!

Das bedeutet übrigens auch Reformen. Schwerfällige Verwaltungsverfahren machen unseren Unternehmen das Leben so schwer, dass sie oft lieber die EU verlassen und anderswo durchstarten. Ich spreche aus Erfahrung: Wir haben bei uns in der Bank jede Menge grüne Industrieprojekte in der Pipeline, aber unsere Kunden warten auf Genehmigungen und hängen im bürokratischen Dickicht fest.

Gleichzeitig ist bei allem Erfolg des Binnenmarkts unsere Kapitalmarktunion noch immer nicht vollendet und die Bankenunion weiter Work in Progress. Deshalb gehen europäische Firmen, die Kapital brauchen, oft woanders hin, wo Investoren tiefere Taschen haben.

Die European Tech Champions Initiative, die gerade von Mitgliedstaaten und der EIB-Gruppe auf den Weg gebracht wurde, ist ein Schritt, das zu ändern. Damit wollen wir indirektes Wachstumskapital in der späten Entwicklungsphase bereitstellen, damit neue Technologien aus Europa in Europa bleiben. 

Ich bin stolz auf diese Initiative, weil sie die hervorragende Arbeit unserer Tochtergesellschaft ins Rampenlicht rückt. Der EIF ist ein Motor der europäischen Start-up-Szene! Mit der Tech Champions Initiative gehen wir nun einen Schritt weiter. Wir helfen den Start-ups, die wir seit Jahren unterstützen, so groß zu werden, dass sie auf der Weltbühne mitspielen können.

Genauso stehen wir bereit, gemeinsam mit der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten ein neues Instrument zu schaffen, mit dem Europa Risikokapital in seine grüne Industrie der Zukunft lenken kann: einen neuen paneuropäischen Fonds, der große EU-Projekte von strategischer Bedeutung fördert und Risikofinanzierungen für bahnbrechende Technologien vergibt.

Von vielen Seiten, darunter dem Europäischen Rat, kommt Unterstützung für die EIB-Gruppe als finanzielles Rückgrat einer solchen Initiative. Das begrüße ich sehr!

Globale Partnerschaften

Meine Damen und Herren,

Autonomie und Sicherheit erwachsen aus Zusammenarbeit und Partnerschaft. Europas Einfluss in der Welt wird nur so stark sein, wie seine Bereitschaft und Fähigkeit, mit anderen zusammenzuarbeiten – als gleichberechtigte Partner für gemeinsame Ziele.

Die grüne und digitale Wende kann sich nicht auf Europa beschränken. Vom Klimawandel bis zur Coronapandemie: Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind global. Wir sitzen alle im selben Boot. Wir schaffen es zusammen, oder wir gehen gemeinsam unter.

Das ist der Hintergrund der Global-Gateway-Initiative. Damit will die EU weltweit ein nachhaltiges und gerechtes Wachstum fördern, mit Investitionen, die nicht zu toxischen Abhängigkeiten führen.

Die EIB ist über die EIB Global auf gutem Weg, mindestens ein Drittel der 300 Milliarden Euro an Investitionen zu mobilisieren, die Global Gateway bis 2028 erreichen will.

Europa muss seine politische und wirtschaftliche Präsenz in der Welt verstärken und sich Gehör verschaffen. Die EIB Global spielt dabei eine Schlüsselrolle; sie leistet unverzichtbare Arbeit!

Sie kennen meine Überzeugung: Angesichts der geopolitischen Realitäten kam die Gründung der EIB Global im letzten Jahr zur rechten Zeit. Jetzt muss sie eine vollwertige Tochtergesellschaft werden. Sie braucht noch mehr Mittel, damit die EU ihre strategischen Ziele weltweit mit der nötigen finanziellen Schlagkraft verfolgen kann.

Es ist höchste Zeit, dass Europa Nägel mit Köpfen macht! Die EIB steht bereit, über die EIB Global ihren Teil dazu beizutragen.

Meine Damen und Herren,

ich freue mich sehr darauf, Ihrem Austausch in den kommenden zwei Tagen zu folgen.

Ihre Arbeit hier wird uns helfen, unsere anstehenden Herausforderungen besser zu verstehen, daran zu wachsen und sie zu meistern. Wir werden viel lernen – davon bin ich überzeugt.

Danke, dass Sie bei uns sind!