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    Von Ana Dilaverakis

    Der Verkehr trägt entscheidend zur wirtschaftlichen Entwicklung bei. Er ermöglicht die Beförderung von Personen und Gütern sowie Handel und Tourismus. Aber eine neue Straße oder U-Bahn-Strecke kann das Leben von Menschen auch ganz schön erschüttern, wenn die neue Infrastruktur Nachbarschaften auseinanderreißt oder Arbeitsplätze und das eigene Heim gefährdet.

    Der öffentliche Dialog stellt sicher, dass Verkehrsprojekte nicht auf Kosten von Umwelt und Gesellschaft gehen. Er wird kontinuierlich geführt und ist dann am effektivsten, wenn er früh in Gang kommt. Er ist eine feste Größe, wenn es darum geht, die ökologischen und sozialen Risiken und Folgen eines Projekts zu prüfen, zu steuern und zu überwachen.

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    Ein wichtiger Punkt: Nicht alle Personen oder Gruppen kommen mit den negativen Folgen eines Projekts gleich gut zurecht. Personen, die finanziell, kulturell, geschlechtsbedingt und/oder anderweitig diskriminiert werden, hängen möglicherweise stärker von ihrem Umfeld ab oder haben nur einen begrenzten (oder gar keinen) Zugang zu Justiz und Entscheidungsprozessen. Sie sind daher weniger in der Lage, sich auf die Risiken von Projekten einzustellen und sich von deren Folgen zu erholen. Diese Menschen werden in Entwicklungsprojekten häufig als gefährdete Gruppen bezeichnet. Zu ihnen zählen vielfach auch die indigenen Völker.

     Indigene Völker unterscheiden sich in ihren Identitäten und Zielen von der Mainstream-Gesellschaft ihres Heimatlandes und werden häufig durch traditionelle Entwicklungsmodelle benachteiligt.

    Im Dialog mit indigenen Völkern in Honduras

    Die Regierung von Honduras erstellte für die kommenden zwei Jahrzehnte ein Entwicklungsprogramm, das vorrangig die Qualität und Sicherheit des Straßennetzes verbessern sollte.

    Besondere Bedeutung hatte dabei die Modernisierung und Sanierung des Westkorridors, der San Pedro Sula – zweitgrößte Stadt und industrielles Zentrum des Landes – mit Guatemala und El Salvador verbindet. Der Nutzen des Projekts sollte beträchtlich sein: Es würde den Tourismus fördern, die Wirtschaft ankurbeln und die Lebensbedingungen der Menschen in einer der ärmsten und am stärksten benachteiligten Regionen von Honduras verbessern. Deshalb stellte die Europäische Investitionsbank für das Projekt ein Darlehen von 79,5 Millionen Euro und 3 Millionen Euro für technische Hilfe bereit.

    Das Projekt betraf etwa 740 Haushalte, darunter rund 180 Familien, denen Umsiedlungen oder wirtschaftliche Nachteile drohten. Außerdem waren in dem Projektgebiet rund 40 000 Angehörige des indigenen Volkes der Chortí beheimatet. Die Chortí leben in erster Linie von der Landwirtschaft und sind als Saisonarbeitskräfte auf Kaffeeplantagen und im Tourismus tätig. Auch Chortí-Frauen nehmen durch den Verkauf handwerklicher Produkte am Wirtschaftsgeschehen teil.

    Die Chortí leben zum Großteil in extremer Armut; ihr Alphabetisierungsgrad liegt unter dem nationalen Durchschnitt, und nahezu 50 Prozent sind arbeitslos. Zudem haben sie generell kaum Zugang zur Gesundheitsversorgung.

    Sie sind Nachkommen der alten Maya-Kultur von Copán und gelten gemäß der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker als gefährdetes Volk. Obwohl das Straßenbauvorhaben vergleichsweise wenige Chortí betraf, wurde das Projektgebiet als gefährdete sozioökonomische Region eingestuft. Die Chortí werden von zwei rechtlich anerkannten Organisationen vertreten – dem Consejo Nacional Indígena Chortí de Honduras und der Coordinadora Nacional Ancestral de Derechos Indígenas Maya Chortí.

    Die Chortí befürchteten, durch die neuen Straßen von ihrem Land vertrieben zu werden. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine indigene Bevölkerung nicht konsultiert worden wäre.

    Gemäß der UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker müssen deren Rechte geachtet und gefördert werden. Laut Artikel 26 der Erklärung haben indigene Völker das Recht auf das Land, die Gebiete und die Ressourcen, die sie traditionell besessen, innegehabt oder auf andere Weise genutzt oder erworben haben. Darüber hinaus legt der Umwelt- und Sozialstandard Nummer 10 der EIB fest, dass Darlehensnehmer einen offenen und transparenten Dialog mit allen von einem Projekt betroffenen Gemeinschaften führen und darüber Rechenschaft ablegen müssen. Standard Nummer 7 schützt die Rechte und Interessen gefährdeter Gruppen.

    „Bevor EIB-Mittel vergeben werden konnten, musste ein zufriedenstellender Plan zur Einbindung der betroffenen Gruppen entworfen und umgesetzt werden“, erklärt David Lopez, der das Projekt als leitender Ingenieur der EIB betreute.

    In Einklang mit der UN-Erklärung und den Umwelt- und Sozialstandards informierte die EIB die für den Straßenbau zuständige Regierungsstelle für Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen, dass die Bank das Projekt nur kofinanzieren würde, wenn strengere Schutzmaßnahmen Anwendung fänden.

     „Aufgrund der gefährdeten Chortí-Siedlungen forderte die Bank die verantwortlichen honduranischen Behörden auf, die Rechte und Interessen der indigenen Völker stärker zu schützen“, so Joana Pedro, die als Expertin der EIB für soziale Entwicklung am Projekt mitarbeitete.

    Als Unterstützung stellte die EU für das Projekt einen Zuschuss für technische Hilfe zur Verfügung. Angesichts der sensiblen Thematik wurde zudem ein erfahrener Berater für den Dialog mit der indigenen Bevölkerung rekrutiert. Mit seiner Hilfe wurden die Chortí äußerst proaktiv informiert. Die Chortí äußerten sich bald recht positiv zu dem Projekt und erkannten, dass es ihnen erhebliche Vorteile bringen würde.

    So entstand schließlich ein Entwicklungsprogramm, das Schutzmaßnahmen und einen Vorteilsausgleich festlegte. Das Programm sah die Sanierung von 56 Kilometern Landstraße sowie folgende Maßnahmen vor:

    • Anbindung der Chortí-Gemeinschaften an das nationale Straßennetz, um ihnen einen besseren und klimaresilienten Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und Wirtschaftszentren zu ermöglichen
    • Unterstützung für die Landwirtschaft der indigenen Gemeinschaften
    • Unterstützung der Geschäftsaktivitäten von Frauen und bevorzugte Einstellung von Chortí für den Bau der geplanten Straßen

    Die Ergebnisse waren durchaus erfreulich: Viele Chortí wurden zu einem guten Lohn auf den Baustellen beschäftigt, was ihnen ein höheres Durchschnittseinkommen und damit eine bessere Lebensqualität bescherte. Die Behörde für Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen stand den Chortí zudem in der Landwirtschaft beratend zur Seite und versorgte sie mit Saatgut. Der Bau eines neuen ganzjährig betriebenen Bewässerungssystems trug ferner zur Ernährungssicherheit bei.

    In Workshops erhielten Chortí-Frauen praktische Tipps für ihr Geschäft mit Kunsthandwerk und einen leichteren Zugang zu Märkten. Sie stellten neue Produkte her, die sie auf verschiedenen Veranstaltungen und in Geschäften verkauften.

    Und weil die Chortí durch diese Maßnahmen mehr Geld zur Verfügung hatten, konnten ihre Kinder häufiger die Schule besuchen. Dank der verbesserten Anbindung der Siedlungen war die Schule nun ganzjährig erreichbar, auch während der Regenzeit.

    Die neuen Straßen boten auch einen leichteren Zugang zu den Ruinen von Copán, einer archäologischen Maya-Stätte und UNESCO-Weltkulturerbe.

    Nachdem das Entwicklungsprogramm für indigene Völker stand, fand eine umfassende Konsultation statt. Daraufhin wurde in Abstimmung mit allen betroffenen Bevölkerungsgruppen (einschließlich der nicht indigenen) ein Umsiedlungsplan erstellt. Dieser Plan sah 4,1 Millionen US-Dollar für Umsiedlungen und finanzielle Entschädigungen vor sowie begleitende Maßnahmen zur Unterstützung der am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen.  Auch an die Verkehrssicherheit wurde gedacht, etwa durch Sicherheitstrainings in Schulen und Gemeinden.

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    Öffentlicher Dialog schafft Vertrauen

    Beim öffentlichen Dialog geht es um mehr als nur darum, Transparenzpflichten zu erfüllen. Er bezieht die Zivilgesellschaft und andere interessierte Gruppen ein und ermöglicht es ihnen, Projekte, Governance-Strukturen und Entscheidungsprozesse zu durchleuchten. Der öffentliche Dialog erhöht das Vertrauen in das, was wir tun.

    Ana Dilaverakis arbeitet in der Abteilung Strategische Straßen bei der Europäischen Investitionsbank.