In den Niederlanden produziert ein Unternehmen Kleidung aus Pilzen und reduziert damit Textilmüll

Wenn es nach Aniela Hoitink geht, wird das nächste It-Piece aus Pilzen hergestellt.

Die Designerin arbeitete jahrelang für verschiedene Modehäuser, bevor sie sich mit ihren eigenen Ideen selbstständig machte.

2014 suchte ein Professor der Universität Utrecht Künstlerinnen und Designer, um mit ihnen Produkte aus dem Wurzelgeflecht von Pilzen, dem Myzel, zu entwickeln. Hoitink war sofort dabei. „Er schwärmte mir von den Vorteilen vor“, erinnert sie sich. „Mit seiner Idee traf er einen Nerv, denn biologisch abbaubare Kleidung fand ich ein spannendes Thema.“

Pilzmyzelien wurden bereits für andere Produkte gezüchtet, etwa für Waschmittel. Hoitink erkannte als erste, dass sie auch Leder und Kunststoffe in Kleidung, Schuhen oder Accessoires ersetzen können, sagt sie. Gemeinsam mit Professor Han Wösten bewies sie innerhalb von zwei Jahren: Es funktioniert. Sie stellte ein Kleid aus ihrem „Pilzleder“ vor, das sie MYCOTEX taufte.

3D-Technologie und automatisierte Modeproduktion

Darüber hinaus hat Hoitink ein 3D-Herstellungsverfahren für MYCOTEX entwickelt, das den Namen NEFFA – für „New Fashion Factory“ – trägt. NEFFA produziert allerdings nicht selbst, sondern arbeitet mit zwei europäischen Partnern zusammen.

Der eine Partner züchtet die Biomasse in großen Fermentern in einer Art Suppe aus Wasser, Zucker und Mineralien. „Innerhalb von fünf bis sieben Tagen haben wir einen großen Haufen Pilzmyzel. Das ist unser Basismaterial“, erklärt Hoitink. Für die Herstellung von MYCOTEX wird das Myzel mit anderen natürlichen Stoffen gemischt – ihre „Geheimsauce“, wie sie es nennt.

Der andere Partner von NEFFA ist der deutsche Anlagenhersteller DESMA, der auf Produktionsmaschinen spezialisiert ist. MYCOTEX wird von Robotern anhand von 3D-Schablonen in Form gebracht. So entstehen nahtlose Kleidungsstücke, die nur noch trocknen müssen – dann sind sie fertig.

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© NEFFA

Die nahtlose MYCOTEX-Kleidung kommt aus dem 3D-Drucker

Die Technologie eröffnet ungeahnte Freiheiten bei den Schnitten, Farben, Mustern, Logos oder Texturen. Die Stoffe können fest oder weich sein – von steif bis fließend ist alles möglich.

Die Zukunft soll so aussehen: Die Kundinnen und Kunden von NEFFA scannen sich mit dem Smartphone, laden das Bild hoch und bestellen ein maßgefertigtes Kleidungsstück. „In der Mode ist Maßkonfektion so etwas wie der Heilige Gral“, sagt Hoitink.

2022 stand MYCOTEX by NEFFA im Finale des Wettbewerbs für Soziale Innovation der Europäischen Investitionsbank. Dort werden Unternehmen ausgezeichnet, die eine positive soziale, ethische oder ökologische Wirkung erzielen.

Kein Produktionsabfall und vollständig biologisch abbaubar

MYCOTEX by NEFFA ist mehr als nur ein futuristischer Stoff. Das Produkt ermöglicht eine ganz neue Wertschöpfungskette, mit deren Hilfe sich zumindest einige Probleme im Modesektor lösen lassen: Rohstoffverbrauch, Giftstoffe, schlechte Arbeitsbedingungen und Müllberge.

In der Branche fallen drei Arten von Abfällen an, erklärt Hoitink. Zunächst einmal die Abfälle aufgrund von Überproduktion. „Es werden 1 000 Teile hergestellt, obwohl nur 900 benötigt werden – nur weil das Produkt bei einer Stückzahl von 1 000 billiger wird.“

Beim Zuschneiden fallen Stoffverluste von 10 bis 30 Prozent an. Und wenn die Kleidung nicht mehr getragen wird, landen 87 Prozent in der Müllverbrennung oder auf Deponien.

Zur Herstellung von MYCOTEX by NEFFA werden weder Anbauflächen noch Chemikalien und schon gar keine schlecht bezahlten Arbeitskräfte irgendwo auf der Welt benötigt. 2021 kam Accenture in einer Studie zu dem Ergebnis, dass MYCOTEX bis 2030 das Äquivalent von 430 000 Jacken pro Jahr einsparen könnte.

MYCOTEX setzt auf das Kreislaufprinzip: Am Ende wirft man die Kleidungsstücke einfach auf den Kompost, denn sie sind biologisch abbaubar. Gleichzeitig erfüllt das Material alle Stärke- und Reißfestigkeitsnormen der Modeindustrie. Es kann also nicht passieren, dass Ihr Kleid auf der nächsten Dinnerparty auseinanderfällt.

Für die Verwendung des Markennamens MYCOTEX zahlen die Modefirmen eine Gebühr. Dafür dürfen sie das Material und das System nutzen. „Für die Anbieter hat das einen weiteren Vorteil: Wenn die Kundinnen und Kunden unsere nahtlosen Kleidungsstücke erkennen, wissen sie auch, dass sie nachhaltig produziert wurden“, so Hoitink.

Wollen Hersteller die Lieferkettentechnologie nutzen, müssen sie eine Lizenzgebühr bezahlen und die Maschinen und die Biomasse von den Partnern des Unternehmens kaufen. Schon nach einer Woche kann die Produktion losgehen.

Derzeit entwickelt MYCOTEX by NEFFA Prototypen für eine Handvoll Modemarken. Das Unternehmen hat soeben die erste Finanzierungsrunde angestoßen. Es will sein Team verdoppeln und von der Pilot- in die Demonstrationsphase gehen. Wenn alles klappt, sollen die ersten Teile Ende 2023 oder Anfang 2024 auf den Markt kommen.

Hoitink konzentriert sich zunächst auf den Luxussektor, denn Innovationen sind gerade zu Beginn nun einmal teuer. Ab 2028 will sie sich dann den Fast-Fashion-Markt vornehmen. Danach möchte sie in weitere Bereiche wie Wohn- oder Autotextilien gehen oder mit anderen innovativen Stoffen arbeiten.

„Unser Ziel ist es, neben Schneiden, Nähen und Stricken eine neue Herstellungsmethode zu etablieren“, so Hoitink.

Mit anderen Worten: Sie erfindet gerade das Spinnrad neu.