Dankesrede von EIB-Präsident Werner Hoyer während der Preisverleihung des European Banker of the year Award, 28. Juni 2021.


Es gilt das gesprochene Wort


>@EIB

Sehr geehrte Frau Präsidentin, Liebe Frau von der Leyen,

Lieber Herr Scholz,

Lieber Herr Storbeck,

Liebe Mitglieder der Gruppe 20+1,

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

haben Sie vielen, herzlichen Dank für die freundlichen Worte.

 

Ich bin überwältigt.

 

Die Vorstellung – nach mehr als 30 Jahren in der Politik – heute die Auszeichnung „European Banker of the Year“ zu erhalten, und damit in die Fußstapfen von so gestandenen Bankiers wie Jean-Pierre Mustier, Axel Weber, oder Jean-Claude Trichet zu treten, fällt mir noch immer schwer.

Mit einem Schuss Demut – allerdings auch mit großer Freude –  nehme ich den Preis jedoch sehr gerne an. Ich weiß, er gilt nicht mir, sondern meiner Organisation und Ihren fast 4,000 Mitarbeitern in Luxemburg und weltweit.

Auch glaube ich, dass der Unterschied zwischen Politik und Finanzwirtschaft – selbst wenn es keine der beiden Seite gerne hört – gar nicht so groß ist, wie man vielleicht auf Anhieb meinen könnte.

Das gilt natürlich besonders für öffentliche Banken wie die EIB…

… und unsere nationalen Partner, wie die KfW in Deutschland sowie die regionalen Förderinstitute …

…deren Auftrag es ja ist, genau dort mit finanziellen Mitteln aktiv zu werden, wo dies im Interesse des Allgemeinwohls ist…

… und der Markt alleine es nicht richten kann.

Als liberalem Marktwirtschaftler ist mir der letzte Punkt sehr wichtig: das Eingreifen einer öffentlichen Bank, wie der EIB muss immer legitimiert sein.

Wir müssen eine „Crowding-in Institution“ sein…. Statt mit dem Privatsektor in Konkurrenz zu treten. Nur so stellen wir sicher, dass durch unsere Finanzierungen auch wirklich ein Mehrwert entsteht.

Das ist kein reines Lippenbekenntnis, meine Damen und Herren: als Teil unseres sogenannten „Additionality and Impact Measurement“- Frameworks durchläuft jedes einzelne Projekt, das von der EIB finanziert werden soll, eine Ex-ante-Bewertung, die darlegt, ob und inwiefern unser Einschreiten einen Mehrwert schafft.

Ohne ein überzeugendes Assessment an dieser Stelle wird ein Projekt nicht finanziert.

Ein aktuelles – geradezu brennendes – Beispiel, wo das Eingreifen einer öffentlichen Bank, wie der EIB, meiner Meinung nach besonders Sinn macht, ist das Thema Klima: Wir alle wissen, dass die Jahre bis 2030 unsere letzte Chance sind, eine Katastrophe abzuwenden.

Die Internationale Energieagentur schätzte unlängst, dass die CO2-Emissionen im vergangenen Jahr - dank der massiven Corona-Shutdowns - um etwa 8 Prozent gesunken sind.

Wenn wir den globalen Temperaturanstieg nun auf 1,5 Grad Celsius begrenzen wollen, wie wir es uns vor 5 Jahren in Paris zum Ziel gesetzt haben...

...dann müssen unsere Emissionen in der nächsten Dekade in jedem einzelnen Jahr um diesen Wert sinken.

Es sollte jedem klar sein, dass dies nicht durch Verhaltens-Änderungen, Verbote und noch mehr Shutdowns zu erreichen ist. Vielmehr braucht es massive Investitionen in neue Technologien…

… Technologien, die es größtenteils noch gar nicht gibt…

… die aber eine enorme Chance mit sich bringen. Gerade jetzt, da sich Länder, die zusammen mehr als die Hälfte der weltweiten CO2 Emissionen ausstoßen, der Klimaneutralität verpflichtet haben.

Vom Himmel fallen werden diese Innovationen gleichwohl nicht.

Jeder Volkswirt wird Ihnen bestätigen, dass gerade im Bereich von Innovationen der gesamtwirtschaftliche Nutzen von Investitionen deren kommerziellen „Return“ in der Regel deutlich übersteigt – und es dadurch, insbesondere in der frühen Phase der Entwicklung, oft zu Marktversagen kommt… und damit Unterinvestitionen.

Verschlimmert wird dieses Problem gegenwärtig durch massive Unsicherheit im Markt. Ich rede hier nicht von Investitionsrisiken, die sich mit Wahrscheinlichkeiten beziffern lassen, sondern vielmehr von einer tiefsitzenden Verunsicherung …

… die Teile unserer Wirtschaft erfasst und stellenweise zu einer Art Paralyse geführt hat…

Und auch angespannte Unternehmensbilanzen tragen zu Unterinvestitionen bei: Unsere jährliche Unternehmensbefragung unter mehr als 12,000 Unternehmen in Europa hat ergeben, dass viele Unternehmer sich nach eineinhalb Jahren Corona-Krise vor die Wahl gestellt sehen, ob sie nun lieber in die langfristige Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens investieren sollen …

… oder doch besser die kurzfristigen Überlebenschancen ihres Unternehmens verbessern, indem sie Ausgaben kürzen.

Für die Mehrzahl der Unternehmer liegt die Antwort hier auf der Hand: lieber erstmal abwarten!

Die Konsequenz: obwohl jeder weiß – und sagt – dass wir dringend mehr Investitionen vor allem in Innovationen benötigten…

obwohl sich, insbesondere im Bereich nachhaltiger Technologien, gerade ein gewaltiger Zukunftsmarkt entwickelt, und

obwohl wir durch die sehr lockere Geldpolitik der EZB keinen Mangel an Liquidität haben…

… investieren wir viel zu wenig.

Unsere volkswirtschaftliche Abteilung beziffert die Investitionslücke allein im Bereich Klima auf ca. 350 Milliarden Euro pro Jahr.

Besonders beunruhigend ist dabei, dass wir nicht nur weniger investieren als nötig, sondern auch weit weniger als die meisten unserer internationalen Wettbewerber. 

Seit nunmehr 16 Jahren geben wir jedes Jahr rund 1.5 Prozentpunkte des BIPs weniger für den Bereich Forschung und Entwicklung aus, als unsere Konkurrenten in Asien oder Nordamerika.

Hier kann – und muss –  eine Institution wie die EIB, die ja im Grunde ein Hybrid ist zwischen Politik und Finanzwirtschaft, Maßnahmen der Politik, wie die Förderung der Grundlagenforschung, die Etablierung eines CO2 Preises, oder bestimmte Regulierungsvorhaben…

… durch die gezielte Förderung von vielversprechenden Innovationsvorhaben, komplementieren.

Und das tun wir auch: ob durch die Unterstützung des ersten schwimmenden Windparks in Portugal, die Finanzierung der ersten ‚Gigafabrik für Lithium-Ionen-Akkus‘ in Schweden, oder unseren Support für Wasserstoffanwendungen im Bereich der Stahlherstellung in Luxemburg.

Das Ziel dabei ist immer: neuartigen Projekten mithilfe von maßgeschneiderten Beratungs- und Finanzierungsprodukten zur Marktreife zu verhelfen … 

… und durch die Einbindung des Privatsektors so Jahr-für-Jahr Investitionsvorhaben in Milliardenhöhe anzuschieben.

 

Meine Damen und Herren,

 

Viele von Ihnen kennen die EIB als EU-Klimabank; nicht zuletzt durch unser klares „Nein!“ zur Finanzierung von Energieprojekten, die auf fossilen Brennstoffen beruhen…

… eine Entscheidung, die uns nicht leichtgefallen ist und auch unseren Anteilseignern, den EU Mitgliedsstaaten, nicht…

… die aber, so hoffe ich – und das ist teilweise jetzt schon zu beobachten – Signalwirkung für andere haben wird.

Ich bin fest davon überzeugt, dass Investitionen in Kohle und Gas auf Dauer kein Wachstum sichern, sondern als ‚stranded assets‘ enden werden…

… und dass unsere Entscheidung aus dem Herbst 2019 keine ideologische war, sondern wirtschaftlich fundiert – und nebenbei bemerkt – politisch notwendig.

Was wenige von Ihnen wissen dürften: Die EIB ist sehr viel mehr als nur Klimabank. Wir sind auch EU-Innovationsbank – mit dem größten Portfolio von Innovationsvorhaben aller MDBs...

… und wir sind EU-Entwicklungsbank, mit einem Ausleihvolumen außerhalb der EU von immerhin EUR 10 Milliarden Euro pro Jahr.

Für mich ist es ganz wichtig, dieses breite Spektrum an Tätigkeiten aufzuzeigen. Denn bei allem was wir tun, gilt es meiner Meinung nach, immer den Dreiklang: Klima, Innovation und Entwicklung im Auge zu behalten.

Wir neigen leider zu oft dazu, in nur einer der Kategorien zu denken.

Nur, wenn wir es schaffen an allen drei Fronten im Zusammenhang zu arbeiten und erfolgreich zu sein, haben wir eine Chance, den Übergang zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem hinzubekommen…

… und die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, zu denen sich die Völkergemeinschaft feierlich bekannt hat, auch zu erreichen.  

Die große Stärke der EIB – ich darf das an einem Tag wie heute sagen! – liegt dabei, neben ihrer Finanzkraft, in ihrer einmaligen, technischen Expertise.

Bei uns prüft nämlich eine Armada an Top-Ingenieuren und -Naturwissenschaftlern, jedes einzelne Projekt auf Herz und Nieren …

… und gewährleistet so deren Nachhaltigkeit …

… was im Übrigen auch die Frage der Schuldentragfähigkeit jedes einzelnen Projektes angeht…

… und so sicherstellt, dass die Bank, die zwar von einem starken Shareholder-Support profitiert, trotz relativ niedriger Kapitalisierung, ein hohes Standing an den Kapitalmärkten genießt.

Darüber hinaus trägt die technische ‚due Diligence‘ unserer Ingenieure zu einem wichtigen Wissenstransfer innerhalb und außerhalb der EU bei.

Denn so viel ist auch klar, meine Damen und Herren: Wenn wir es den Chinesen und Russen überlassen, den steigenden Energiebedarf in Afrika zu decken, anstatt auch dort unsere eigenen europäischen Technologien voranzutreiben, dann werden unsere Klimaziele buchstäblich in Rauch aufgehen.

Die naturwissenschaftliche Kompetenz der Bank hat sich zuletzt auch im Bereich der Life Sciences bezahlt gemacht.

Ich bin sehr stolz darauf, dass die Bank – zusammen mit der Europäischen Kommission – als eine der ersten „Biontech“ bei der Entwicklung ihres COVID-19 Impfstoffes unterstützt hat …

… und so zu einer entschlossenen und effektiven Bekämpfung der Pandemie beitragen konnte.

Unsere Schnelligkeit war dabei der Tatsache geschuldet, dass unsere Fachleute das Unternehmen schon seit langem kannten: Wir haben es bereits vor mehreren Jahren im Zusammenhang mit seiner Krebsforschung unterstützt.  

Als das Unternehmen nun Anfang 2020 wieder auf uns zukam und meinte: „Wir glauben, dass wir mit unserer neuen mRNA Technologie aus der Krebst-Therapie vielleicht auch ein probates Instrument bei der Entwicklung eines COVID-19 Impfstoffes haben“…

… waren unsere in-house Fachleute bestens vorbereitet, und wir konnten die nötigen Mittel entsprechend schnell freischalten.

Diese Expertise ist jetzt wieder gefragt, wenn es darum geht, Impfstoff-Produktionskapazitäten in Afrika aufzubauen.

Denn, wie beim Klimawandel, gilt auch hier: ‚no one is safe until everyone is safe‘.

Als EIB sind wir hier – in enger Partnerschaft mit der europäischen Kommission, Gavi und auch der Gates Stiftung – sehr aktiv. Klar ist aber auch: das kann nur der Anfang sein!

Ich appelliere an die Politik überall, hier schnell voranzukommen. Wir verlieren sonst ein Rennen gegen die Zeit.

Als langjährigem Außenpolitiker ist mir das ein besonders wichtiges Anliegen: denn bei der Sicherstellung von Impfstoffen und Produktionskapazitäten auf dem Nachbarkontinent geht es um sehr viel mehr als nur ethische und gesundheitspolitische Überlegungen…

… Es geht darum, wie wir uns als Europäer in der Globalisierung positionieren wollen…

… und was wir der fragwürdigen – und oft doppelbödigen – Impfdiplomatie Russlands und Chinas als „Westen“ entgegensetzen wollen.

Wir dürfen diese globale Dimension nicht unterschätzen. 

 

Meine Damen und Herren,

 

So froh wir nun sein können, dass wir im Kampf gegen Corona – zumindest hier in Europa – endlich Fortschritte machen…

… so wichtig ist es, dass wir uns heute schon für zukünftige Gesundheitskrisen wappnen.

Ein wichtiges Stichwort lautet hier: Antibiotikaresistenzen.

Der Generaldirektor der WHO, Tedros Ghebreyesus hat Antibiotikaresistenzen kürzlich mit einem langsamen Tsunami verglichen – weniger sichtbar als Covid-19, aber auf lange Sicht sehr viel tödlicher.

Antibiotikaresistenzen untergraben alle Aspekte der modernen Medizin.

Ohne wirksame Antibiotika werden häufige medizinische Behandlungen wie das Zähne Ziehen, Blinddarmoperationen oder Kaiserschnitte schwierig und gefährlich. Von komplexen Eingriffen wie Organtransplantationen oder Krebstherapien ganz zu schweigen.

Seriösen Prognosen zufolge könnten im Jahr 2050 Infektionskrankheiten Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei den Todesursachen überholen.

Bereits heute ist ein enormer Anstieg von Resistenzen zu beobachten, in Schwellenländern wie Indien genauso wie zunehmend auch in entwickelten Ländern in Europa und den USA.

Es ist daher extrem wichtig, dass wir frühzeitig gegensteuern – und auch Finanzierungskonzept erarbeiten, die uns dabei helfen, neuartige Antibiotika zu entwickeln und wirksam zu halten.

Keine ganz einfache Aufgabe, wenn das Ziel sein muss, diese Antibiotika so wenig wie möglich einzusetzen.  

Deshalb ist hier wiederum der Schulterschluss zwischen Politik, einer Institution wie der EIB und dem Privatsektor so wichtig.

Denn ohne Risikoabdeckung durch den EU Haushalt – oder nationale Haushalte – könnten auch wir, bei der EIB, bei manchen dieser Investitionen oft nur bedingt agieren.

Deshalb, an dieser Stelle, auch ein ganz großer Dank an Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Frau von der Leyen, für die immer ganz hervorragende Zusammenarbeit und Unterstützung Ihrer Bank!

Ohne die Europäische Kommission – und die Mandate, die sie uns gewährt – wären viele der bahnbrechenden Investitionen der vergangenen Jahre schlichtweg nicht möglich gewesen, sei es im Bereich Klima, Gesundheit, Innovation oder Entwicklung.

Als „Team Europe“ sind wir – wie Sie einmal so schön sagten –  “mehr als die Summe der einzelnen Teile.” Ich kann Ihnen da nur zustimmen.

Unsere Zusammenarbeit – das darf ich heute vielleicht auch verraten – beruht dabei auf einem langen gemeinsamen Weg. Ich weiß nicht, ob Sie sich noch daran erinnern, liebe Frau von der Leyen, aber eine der erfolgreichsten EIB Initiativen kam durch eine Zufallsbegegnung von uns beiden zustande.

Ich war gerade aus dem Kabinett ausgeschieden und hatte in Luxemburg angefangen, sie waren Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend…

…als wir uns auf der Freitreppe vor dem Plenarsaal des Bundestages über den Weg liefen….

… Ich war damals auf dem Weg ins Bundestagsbüro der Kanzlerin und etwas in Eile…

… da riefen Sie mir nach: „Herr Hoyer, was machen sie denn da jetzt in Luxemburg genau? Kann denn die EIB nicht mehr zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa beitragen? Mir sind die Vorschläge der Kommission in diesem Bereich nicht ambitioniert genug.“

Wenige Monate später, haben wir das Programm „Investing for Youth“ aufgelegt, mit dem wir Unternehmen – insbesondere kleineren und mittleren – einen starken Anreiz gaben, jungen Menschen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben…

… ein Programm, das sich später als riesen Erfolg herausstellte.

Ja, es muss nicht immer eine ‚elevator pitch‘ sein, der tolle Ideen hervorbringt. Manchmal tut es auch das Treppenhaus, oder besser die Freitreppe im Bundestag.

 

Meine Damen und Herren,

 

Politik und Finanzwirtschaft komplementieren sich im Idealfall nicht nur – sie lernen auch voneinander.

Als jemand, der in seinem Leben nun beide Seite kennenlernen durfte, kann ich ihnen verraten: Investoren und Politiker denken nicht immer gleich.

Investoren rechnen systematisch damit‚ dass ein Teil ihres Portfolios ausfällt. Wenn keines ihrer Investments scheitern würde, wären sie nicht risikofreudig genug, um eine gute Rendite einzufahren …

…oder im Fall der EIB: einen hohen gesamtgesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen.

In der Politik ist das anders: ein Fehler, und die Presse stürzt sich auf Sie.

Ich glaube hier könnte die Politik durchaus von der Finanzwirtschaft lernen…

…und auch von den Journalisten würde ich mir hie-und-da einen etwas ganzheitlicheren Blick wünschen, wenn es darum geht, das politische Tagesgeschäft zu beurteilen… anstatt sich auf isolierte Einzelfälle zu konzentrieren.

Unsere Maxime kann nicht lauten: „Scheitern ausgeschlossen!“ Vielmehr sollten wir von den angelsächsischen Wagniskapitalgebern lernen…

… wenn es darum geht, Scheitern als natürlichen Teil unseres Arbeitens zu akzeptieren…

…. und Leuten, die gescheitert sind, dabei zu helfen aufzustehen, die Ärmel hochzukrempeln, die richtigen Schlüsse zu ziehen und von vorn zu beginnen.

Soviel zur Frage, wo die Politik noch von der Finanzwirtschaft lernen kann.

Doch was kann die Finanzwirtschaft nun von der Politik lernen?

Ich würde das so beantworten: Die Finanzwirtschaft kann von der Politik, zumindest den „Guten“ in der Politik, lernen, dass wir unsere Freiheit, unsere Werte und unseren Wohlstand nie als selbstverständlich ansehen dürfen …

… und dass es uns allen – verdammt nochmal – obliegt, Tag-ein-und-Tag-aus für diese zu kämpfen.

Das gilt übrigens nicht nur für uns hier in Deutschland und in der EU, sondern für Demokratien überall auf der Welt.

Die Ereignisse nach der Präsidentschaftswahl in Washington sind trauriger Beleg dafür. So klar Donald Trump die Verantwortung für den „Sturm auf das Kapitol“ trug, so sehr wäre es doch verfehlt zu glauben, die Vorfälle, die sich unlängst in Washington zutrugen, ließen sich alleine auf ihn, und seinen Mangel an Respekt für die Demokratie, reduzieren.

Viele Kommentatoren haben zurecht auf die Parallelen zwischen den Bildern aus den USA und dem Vordringen von Demonstranten auf das Reichstagsgebäude im letzten Sommer verwiesen – ebenso wie auf die enge Verknüpfung zwischen den Randalierern in den USA und den sogenannten „Querdenkern“, die wir Woche für Woche in unseren Straßen protestieren sehen.

Wir dürfen diese Bewegungen nicht verharmlosen. Und wir müssen verhindern, dass Autokraten und andere Feinde einer offenen Demokratie durch die Zusammenarbeit mit ihnen hoffähig gemacht werden.

Das darf aber gleichzeitig nicht bedeuten, dass sich Politik und Wirtschaft sich nicht mehr um die Anhänger solcher Bewegungen scheren.

Im Gegenteil: Hillary Clintons böses Wort vom "Haufen Verachtenswerter" entspricht genau jener überheblichen Geisteshaltung, die auch unter deutschen und europäischen Eliten immer wieder vorkommt…

… und die – genau wie mancher moralischer Fehltritt in der Bankenwelt in den vergangenen Jahren –  das Gefühl von „wir gegen die da oben“ noch weiter beflügelt.

Die Finanzwirtschaft hat hier einen wichtigen Beitrag zu leisten, insbesondere wenn es darum geht, sich viel mehr als bisher auch um die Verlierer der Globalisierung zu kümmern und ihnen berufliche Perspektiven und Wertschätzung zu geben.

Natürlich reicht es nicht aus, nur auf Output-Legitimation zu blicken, aber ohne sichtbaren Beitrag zur Problemlösung von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft wird es nicht gehen.

Nein, ohne diesen Beitrag werden die Gräben, die sich spätestens seit der globalen Finanzkrise in unserer Gesellschaft aufgetan haben, noch weiter öffnen. 

Deshalb, meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit einem Appel enden: einem Apell zu mehr Mut.

-         Mehr Mut, Risiken einzugehen, wenn es darum geht technologische Durchbrüche loszutreten und z.B. Technologien für eine klimaneutrale und wirklich digitale Wirtschaft zu entwickeln... und zu finanzieren.

-         Mehr Mut, die europäische Integration weiter voranzutreiben: Denn nur gemeinsam werden wir in der Lage sein unsere Werte, und Interessen in einer immer komplexeren Welt zu behaupten. Und:

-         Mehr Mut, die großen Herausforderungen unserer Zeit beherzt anzugehen: Dazu gehört neben der Transformation unserer Wirtschaft auch das Gefühl von Teilen unserer Bevölkerung, abgehängt zu werden. Und dazu gehört die extrem schwierige gesundheitliche und wirtschaftliche Lage in der EU Nachbarschaft.

Zusammen können so viel erreichen, wenn wir uns nur trauen.

Dafür müssen wir aber die Starre der letzten Jahre überwinden – und uns unserer Verantwortung für eine freiheitliche und solidarische Gesellschaft stellen. 

Ich bin mir sicher, dass wir uns heute noch gar kein Bild davon machen, welche Chancen mit der Transformation unserer Wirtschaft einhergehen werden, wenn wir sie nur aktiv angehen

… welche stabilisierende Rolle eine starke EU – mit einem klaren Außen-Mandat – in einer Welt spielen kann, in der bereits heute mehr als 80 Prozent der Bevölkerung in autokratischen oder illiberalen Ländern leben …

… und welche Märkte sich erst für uns auftun werden, wenn wir unsere Entwicklungsfinanzierung nur endlich als mehr begreifen, als die Vergabe von Almosen.

 

Meine Damen und Herren,

 

Lassen Sie es uns angehen. Mit Verantwortung und im Schulterschluss zwischen Politik, Finanzwirtschaft, und Zivilgesellschaft.

 

Vielen Dank für die Ehrung.

Vielen Dank, liebe Frau von der Leyen, für die sehr bewegenden Worte und Ihre Tatkraft an der Spitze der EU.

Und natürlich: vielen Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der EIB, für die ich hier heute stellvertretend diesen Preis in Empfang nehme.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Watch President Hoyer's acceptance speech at the European Banker of the year award ceremony