Worüber die Unterhändler auf der UN-Klimakonferenz in Bonn hinter den Kulissen wirklich reden

Überall laufen Leute herum, auf deren Teilnehmerausweis „Party Overflow“ steht, aber mit einer fetzigen Party hat das nichts zu tun. Die Realität der UN-Klimakonferenz, die auf Englisch „Conference of Parties“ heißt, ist eher nüchtern. „Parties“ sind die Staaten, die der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen beigetreten sind. „Party Overflow“ steht daher auf den Ausweisen der Teilnehmer, für die in der offiziellen Delegation ihres Landes kein Platz mehr war. Aber worüber reden all diese Leute?

Was gab es Anfang November in Bonn noch zu verhandeln, nachdem der Plan für den Kampf gegen den Klimawandel zwei Jahre zuvor mit dem historischen Abkommen von Paris besiegelt schien?

Wie es aussieht, eine ganze Menge. Das Abkommen von Paris ist die erste globale Übereinkunft zum Klimaschutz, doch bei der Umsetzung fängt die eigentliche Arbeit erst an.

Nehmen wir zum Beispiel die noch ausstehenden Ratifizierungen der Beschlüsse von Doha. Etwa zur Halbzeit der Konferenz hinterlegten Deutschland, Spanien, Belgien und Schweden die Ratifizierungsdokumente zur Doha-Änderung des Kyoto-Protokolls beim Sekretariat der Vereinten Nationen. Die Doha-Änderung sieht eine Verlängerung der Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll bis 2020 vor – dann tritt das berühmte Abkommen von Paris in Kraft. Offensichtlich hat die EU Druck gemacht, dass die Mitgliedstaaten ihren Papierkram erledigen. Man wollte den anderen Ländern keinen Grund liefern, sich noch mehr Zeit zu lassen. Das könnte schließlich als mangelndes Bekenntnis selbst zu bestehenden, weniger strengen Zielen ausgelegt werden – vom ehrgeizigeren Pariser Abkommen ganz zu schweigen.

Wie die Vereinbarungen von Paris umzusetzen sind – und was dies tatsächlich bedeutet – muss auch noch ausgearbeitet werden. Beispielsweise ist vorgesehen, dass die Industrieländer den Entwicklungsländern (ab 2020) jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen bereitstellen. Geht es dabei um Hilfsgelder? Oder um Investitionen? Und was zählt dazu? Nur Investitionen der Industrieländer? Oder auch Beiträge privater Geldgeber, die bei öffentlichen Investitionen mit einsteigen? Wenn beispielsweise die Europäische Investitionsbank 100 Millionen Euro für ein Solarkraftwerk in Indien gibt und private Investoren sich daraufhin in gleicher Höhe beteiligen – fließt das mit 100 Millionen Euro oder mit 200 Millionen Euro in die Rechnung ein?

Ist Korea gleich Korea?

Nicht weniger strittig ist die Frage, welche Länder zu den Entwicklungsländern zählen. Nach der Einstufung, die weitgehend auf der OECD-Mitgliedschaft vor 25 Jahren beruht, fällt Südkorea in die gleiche Kategorie wie Nordkorea. Das hat nicht gewollte Konsequenzen, wie ein Beobachter aus einem Industrieland berichtet.

„Im Grunde ist es so: Wenn wir ab sofort nichts mehr für den Klimaschutz in Bulgarien und Rumänien tun und das Geld stattdessen in Saudi-Arabien und Südkorea investieren, stehen wir besser da“, erklärt er bei Apfel-Zimt-Muffins in einer Ecke des Bonner Konferenzzentrums.

Niemand hatte erwartet, dass all diese Fragen bis zum Ende dieser Klimakonferenz geklärt sein würden. Trotzdem wurde ausführlich weiter diskutiert – nicht nur bei Apfel-Zimt-, sondern auch bei Schokoladen-Muffins. (Und wer sich im deutschen Pavillon in die Schlange stellte, bekam sogar gratis einen Kaffee dazu.)

Nur ein kleines Stück vom Infrastrukturkuchen

Nach einer Schätzung, die von Unterhändlern in Bonn zitiert wurde, liegen wir derzeit bei rund 65 Milliarden US-Dollar pro Jahr – ein guter Anfang mit Blick auf das Ziel von 100 Milliarden US-Dollar bis 2020. Das sind gewaltige Summen, die aber neben den Zahlen, die ein Vertreter des Weltwirtschaftsforums präsentierte, eher bescheiden anmuten: Nach seinen Berechnungen muss die Welt ohnehin jährlich fünf Billionen US-Dollar in Infrastruktur investieren – einen Großteil davon in Entwicklungsländern. Mit „nur“ 700 Milliarden US-Dollar mehr könnte man dafür sorgen, dass diese Infrastruktur nachhaltig ist und dem Klimawandel standhält.

Entsprechende Schätzungen der OECD liegen bei rund 6,3 Billionen US-Dollar jährlich für den Zeitraum 2016–2030 und 6,9 Billionen US-Dollar für eine Infrastruktur (Energie, Verkehr, Wasser etc.), die dem Zwei-Grad-Ziel entspricht. Viele fragten deshalb, wo die Zahl von 100 Milliarden US-Dollar eigentlich herkommt (Manche erinnerten sich, dass sie auf den früheren britischen Premierminister Gordon Brown zurückgeht. Er soll den Betrag auf der Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen vorgeschlagen haben, vermutlich, weil es eine „schöne runde Zahl“ war.). Es wurde diskutiert, ob das wirklich genug wäre – oder ob wir eher über 600–700 Milliarden US-Dollar pro Jahr sprechen sollten, wie die Zahlen des Weltwirtschaftsforums und der OECD nahelegen.

„Es geht nicht so sehr darum, wie viel Geld wir sowieso investieren. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass Klimaüberlegungen grundsätzlich in all unsere Investitionen mit einfließen.“ Das war für einen aufmerksamen Zuhörer das wichtigste

Eine Messe für Klimapolitik

Für viele war die Klimakonferenz in Bonn eine Gelegenheit, Kollegen aus anderen Institutionen in aller Welt zu treffen, die ein gemeinsames Ziel verbindet. Ein Unterhändler, der seit der Konferenz 1998 in Buenos Aires bei allen Veranstaltungen dabei war, beschreibt es so: „Es ist eine große Messe, auf der niemand etwas verkauft – außer Politik.“

Aber die Politik ist entscheidend.

„Diese Klimakonferenz und die nächsten werden darüber entscheiden, wie wir die grundsätzlichen Beschlüsse von Paris in die Tat umsetzen“, fasste ein Teilnehmer zusammen.

Und was ist mit China?

Es war erwartet worden, dass China bei der Konferenz in Bonn das Zepter des globalen Vorreiters im Klimaschutz übernehmen würde, nachdem die Vereinigten Staaten es unter Donald Trump abgegeben haben.

Vor dem eigentlichen Beginn der Konferenz hieß es: „China hat ein großes Interesse, viel mehr gegen den Klimawandel zu tun. Die Regierung hat Angst, dass die allgegenwärtige Umweltverschmutzung eine echte Revolution heraufbeschwören könnte. Die Industrie und die Regierung sind daher sehr motiviert.“

Auf der Veranstaltung selbst hatte China gleich neben dem Pavillon des World Wildlife Fund namens #Pandahub (allerdings ohne Pandas) einen eigenen schönen Pavillon, tat sich aber ansonsten nicht weiter hervor. „China war fast gar nicht da, sehr still“, meinte ein Beobachter. Außerdem hätten sich die Chinesen klar bei den Entwicklungsländern eingereiht und mehr Einsatz von den Industrieländern gefordert. Dabei zählen zu den Industrieländern in diesem Zusammenhang diejenigen Länder, deren Industrialisierung ursprünglich zu den hohen CO2-Emissionen führte.

China hat zwar angekündigt, die Zahl seiner Kohleminen von 10 800 im Jahr 2015 auf 7 000 im nächsten Jahr zu verringern, doch sind die Unterhändler skeptisch, ob sich das überhaupt überprüfen lässt. Ein Teilnehmer erinnert daran, dass trotz des Verbots neuer Golfplätze vor einigen Jahren mehr als 400 „illegale“ Plätze in China entstanden. Das zeigt, wie schwierig die Durchsetzung und Kontrolle von Zusagen ist.

Zarte Hoffnung für Amerika

Obwohl offiziell praktisch abwesend, waren die Vereinigten Staaten ein großes Thema. Mit America‘s Pledge nahm eine Gruppe an der Konferenz teil, an deren Spitze der ehemalige New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg und der Gouverneur Kaliforniens, Jerry Brown, stehen. Es handelt sich um eine Allianz von 2 300 Bundesstaaten, Städten und Unternehmen, die mehr als die Hälfte der Wirtschaftskraft der Vereinigten Staaten aufbringen. Sie können daher einen großen Teil der Zusagen erfüllen, die ihr Land für den Klimaschutz gemacht hat.

Dies und die einigende Wirkung der Aufkündigung des Pariser Abkommens durch Donald Trump löste bei den übrigen Teilnehmern Seufzer der Erleichterung aus.

Keine politische Sabotage

Einige Klimakonferenz-Veteranen waren froh, dass die Verhandlungen nicht durch die politische Führung sabotiert wurden. „In Paris kamen die Spitzenpolitiker zu Beginn der Konferenz herein und stärkten damit praktisch den Unterhändlern nochmal den Rücken“, so ein Teilnehmer kurz vor Beginn der Plenarsitzung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und anderen hochrangigen Vertretern der Politik. „Ohne die Minister kommen wir besser voran. Sie sind nicht lange genug hier, um wirklich zu verhandeln. Das übernehmen die Delegationen.“

Als Gerüchte aufkamen, dass für das kommende Jahr zwei Klimakonferenzen auf Ministerebene geplant seien, war er jedenfalls skeptisch, ob dies die Sache beschleunigen oder zu ehrgeizigeren Zielen beitragen würde.

So oder so bleibt für die Unterhändler noch viel zu tun. Gegen Ende der Konferenz hinterlegten auch Belgien und die Slowakei ihre Ratifizierungsdokumente zur Doha-Änderung und sorgten damit für weitere Entspannung bei der EU. Am allerletzten Tag folgte das Vereinigte Königreich.

Von Polen als Gastgeber der nächstjährigen Klimakonferenz in Kattowitz fehlten die Unterlagen da noch immer.