Das Produktivitätswachstum in der EU und vielen anderen entwickelten Volkswirtschaften hat sich abgeschwächt. Dies muss dringend korrigiert werden, damit die Wirtschaft wieder neue Impulse erhält. In unserer Untersuchung analysieren wir, warum die Produktivität europäischer Unternehmen so unterschiedlich ist.

Von Jan Švejnar, Yuriy Gorodnichenko, Debora Revoltella und Christoph Weiss


Am 28. und am 29. November veranstalten die Europäische Investitionsbank und die Europäische Zentralbank gemeinsam mit dem Massachusetts Institute of Technology, der Columbia University und dem European Monetary and Finance Forum SUERF eine hochrangige Konferenz zum Thema „Investitionen, technologischer Wandel und Kompetenzaufbau“.

Das schwächere Produktivitätswachstum in der EU lässt sich dadurch erklären, dass sich Kapital und Arbeitskräfte sehr unausgewogen auf die Unternehmen in den verschiedenen Ländern und Sektoren des Binnenmarkts verteilen. Dies ist nach Jahren der wirtschaftlichen Neuorientierung ein wichtiges Thema für die Politik. Viele (mehr oder wenige formale) Hürden verhindern nach wie vor, dass Ressourcen zu den produktivsten und effizientesten Unternehmen in Europa fließen. Die Politik sollte daher versuchen, Unstimmigkeiten an den Produkt- und Arbeitsmärkten der EU zu beseitigen, um die fortgesetzte Fehlallokation zu beenden. Eine stärkere wirtschaftliche Harmonisierung und damit eine einfachere Neuverteilung der Ressourcen über Länder und Branchen hinweg würde die Produktivität der Unternehmen und das Gesamtwachstum in der EU erhöhen.

Unsere Untersuchung (Gorodnichenko, Revoltella, Švejnar und Weiss, 2018) 1 konzentriert sich auf die Fehlallokation von Ressourcen in Europa. Ihr Ansatz ist recht einfach. Wenn die EU eines ihrer wichtigsten Ziele erreichen würde – nämlich einen wirklichen Binnenmarkt zu schaffen –, dann wäre die Ressourcenverteilung effizient, und die Grenzprodukte der Unternehmen in allen 28 EU-Ländern wären ausgeglichen. Das ist natürlich ein ehrgeiziges Ziel. Es wäre schon viel gewonnen, wenn sich die Unterschiede zwischen den Grenzprodukten der Unternehmen in der EU nach Jahrzehnten der wirtschaftlichen Integration allmählich denen in den USA annähern würden.

Höheres BIP durch weniger Produktivitätsunterschiede

Wir zeigen in unserer Untersuchung, dass die Ressourcen in Europa alles andere als effizient verteilt sind. Dazu untersuchen wir unter anderem die Optimierungsbemühungen der Unternehmen. Auf Basis der Investitionsumfrage der EIB (EIBIS) unter Unternehmen aus den 28 EU-Ländern kommen wir zu folgendem Ergebnis: Würde man die Unterschiede zwischen den Grenzprodukten in der EU auf das Niveau der USA senken – was viele tief greifende Reformen erfordern dürfte –, dann könnte das BIP in der EU um mehr als 20 Prozent gesteigert werden. Durch eine Umverteilung von Kapital und Arbeit auf leistungsfähigere Unternehmen könnten die Volkswirtschaften in der EU ihre Produktivität und Produktion deutlich erhöhen.

Darüber hinaus untersuchen wir, warum die Grenzprodukte der Unternehmen so unterschiedlich ausfallen. Wir zeigen, dass das BIP der EU um mindestens 18 Prozent steigen könnte, wenn man länder- und sektorübergreifend Hindernisse beseitigt. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der EU-Binnenmarkt bisher recht fragmentiert ist.

Interessanterweise ist die Verteilung der Arbeitskraft auf Länderebene ungleichmäßiger als auf Sektorebene. Die Unterschiede beim Grenzprodukt der Arbeit sind also zwischen den Ländern höher als zwischen den einzelnen Sektoren. Das bedeutet, dass die Versetzung einer Arbeitskraft von einem Land in ein anderes „teurer“ ist als die Versetzung in einen anderen Sektor im selben Land bzw. dass die Qualitätsunterschiede zwischen den Arbeitskräften im Ländervergleich höher sind als im Sektorvergleich. Beim Kapital ist es genau umgekehrt: Die Umverteilung von Kapital von einem Land in ein anderes ist billiger (oder einfacher) als ein Transfer in eine andere Branche im selben Land. Die Qualitätsunterschiede beim Kapital sind also zwischen den Ländern kleiner als zwischen den Sektoren. Nationale Vorschriften und Sprachbarrieren haben daher möglicherweise großen Einfluss auf die ineffiziente Ressourcenallokation in der EU.

Einheitlichere Rahmenbedingungen führen zu mehr Produktivität

Mögliche Ursachen für die unterschiedlichen Grenzprodukte können Hindernisse und Verzerrungen sein. Zum Teil können die Unterschiede allerdings auch eine Folge von Optimierungsbemühungen der Unternehmen sein (z. B. zum Ausgleich von Unterschieden am Arbeitsmarkt). Ein solches Verhalten wäre aus Sicht der Unternehmen wirtschaftlich vernünftig und möglicherweise sogar optimal unter Wohlfahrtsgesichtspunkten. Die entscheidende Frage ist daher, welches dieser Phänomene sich durch unsere Daten belegen lässt.

In unserer Untersuchung analysieren wir außerdem, inwieweit sich Unterschiede bei den Grenzprodukten schon aus den Unternehmensmerkmalen ergeben. Wenn man die Auswirkungen dieser Unternehmensmerkmale so begrenzt, dass sie in allen EU-Ländern einheitlich sind, dann lassen sich dadurch 11 Prozent der Unterschiede beim Grenzprodukt des Kapitals und 27 Prozent der Unterschiede beim Grenzprodukt der Arbeit erklären – also ein erheblicher Teil der Unterschiede. Lässt man länderübergreifend unterschiedliche Auswirkungen dieser Variablen zu (erlaubt man also z. B., dass eine höhere Kapazitätsauslastung die Produktivität eines deutschen Unternehmens anders beeinflusst als die eines Unternehmens in Italien), dann erklären diese Auswirkungen einen Großteil der Unterschiede zwischen den Grenzprodukten.

Ausgehend von unserer Analyse kommen wir zu zwei wichtigen Ergebnissen. Erstens: Die „ursprünglichen“, unbearbeiteten Unterschiede der Grenzprodukte dürften das Ausmaß der Fehlallokation überbetonen, da sie zum Teil die Folge qualitativ uneinheitlicher Inputs sein könnten. Zweitens: Die Verzerrungen dürften erheblich sein, sodass ihre Beseitigung zu deutlichen Produktivitätszuwächsen führen könnte.

Mit einem mathematischen Verfahren konstruieren wir zudem künstliche Verteilungen von Grenzprodukten für jedes Land. So können wir besser nachvollziehen, wie die beobachteten Unterschiede bei den Grenzprodukten entstehen:

  • durch Unterschiede in den Unternehmensmerkmalen zwischen den einzelnen Ländern oder
  • durch länderspezifische Unterschiede im Einfluss des geschäftlichen, institutionellen und politischen Umfelds auf die Ressourcenverteilung, d. h. wie die Regressionskoeffizienten der Merkmale in Ergebnisse „überführt“ werden.

Wir kommen zu dem Schluss, dass die unterschiedlichen Grenzprodukte in den einzelnen Ländern vor allem auf die Unterschiede im geschäftlichen, institutionellen und politischen Umfeld zurückzuführen sind, und weniger auf die Unterschiede in den Unternehmensmerkmalen per se. Dieser Schluss ist insofern wichtig, als er umfassende mikroökonomische Belege dafür liefert, dass unterschiedliche Grenzprodukte von Unternehmen in der EU durch den institutionellen Rahmen verursacht werden können.

Für die Politik ergibt sich aus dieser Untersuchung ein klarer Auftrag. Sie kann zu einer höheren Unternehmensproduktivität und einem stärkeren Wirtschaftswachstum in der EU beitragen. Dazu muss sie Anreize setzen, Kapital und Arbeitskraft zwischen den Unternehmen in den verschiedenen Ländern und Sektoren besser zu verteilen. Um ein besseres Unternehmensumfeld zu schaffen, müssen die Unstimmigkeiten auf den Produkt- und Arbeitsmärkten in der EU beseitigt werden. Anderenfalls bleiben die Fehlallokationen bestehen.

Über die Autoren

Jan Švejnar ist Professor für globale politische Ökonomie und Direktor des Zentrums für globale Wirtschaftsführung der Columbia University. Yuriy Gorodnichenko ist Professor für Ökonomie an der University of California, Berkeley. Debora Revoltella ist Direktorin der Hauptabteilung Volkswirtschaftliche Analysen der Europäischen Investitionsbank.  Christoph Weiss ist Ökonom in der Hauptabteilung Volkswirtschaftliche Analysen der Europäischen Investitionsbank.

Referenzen

  1. Yuriy Gorodnichenko, Debora Revoltella, Jan Švejnar und Christoph T. Weiss, „Resource Misallocation in European Firms: The Role of Constraints, Firm Characteristics and Managerial Decisions“, CDEP-CGEG WP Nr. 51, Columbia University, März 2018;